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Humboldt, Wilhelm von: Ueber die Buchstabenschrift und ihren Zusammenhang mit dem Sprachbau. In: Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin, 1826. S. 161-188.

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Geistesanlagen zusammen auf sie; die Auffindung einer harmonischen Verflechtung von Sylben-Längen und Kürzen aber zeugt von der Empfindung der Sprache in ihrer wahren Eigenthümlichkeit, von der Regsamkeit des Ohrs und des Gemüths, durch das Verhältniß der Articulationen dergestalt getroffen und bewegt zu werden, daß man die einzelnen in den verbundenen unterscheidet, und ihre Tongeltung bestimmt und richtig erkennt.

Dies liegt allerdings zum Theil auch in dem, der Sprache nicht unmittelbar angehörenden musikalischen Gefühl. Denn der Ton besitzt die glückliche Eigenthümlichkeit, das Idealische auf zwei Wegen, durch die Musik und die Sprache, berühren, und diese beiden mit einander verbinden zu können, woher der von Worten begleitete Gesang wohl unbestreitbar im ganzen Gebiete der Kunst, weil sich zwei ihrer bedeutendsten Formen in ihm vereinen, die vollste und erhebendste Empfindung hervorbringt. Je lebendiger aber jene Sylbenmaaße auch für die musikalische Anlage ihrer Erfinder sprechen, desto mehr zeugen sie von der Stärke ihres Sprachsinnes, da gerade durch sie dem articulirten Laut, also der Sprache, neben der hinreißenden Gewalt der Musik, sein volles Recht erhalten wird. Denn die antiken Sylbenmaaße unterscheiden sich eben dadurch am allgemeinsten von den modernen, daß sie, auch in dem musikalischen Ausdruck, den Laut immer wahrhaft als Sprachlaut behandeln, die wiederkehrende, vollständige oder unvollständige Gleichheit verbundener Laute (Reim und Assonanz), die auf den bloßen Klang hinausläuft, verschmähen, und nur sehr selten die Sylben gegen ihre Natur, bloß der Gewalt des Rhythmus gehorchend, zu dehnen oder zu verkürzen erlauben, sondern genau dafür sorgen, daß sie in ihrer natürlichen Geltung, klar und unverändert austönend, harmonisch zusammenklingen.

Die Beugung, auf welcher das Wesen der grammatischen Formen beruht, führt nothwendig auf die Unterscheidung und Beachtung der einzelnen Articulationen. Wenn eine Sprache nur bedeutsame Laute an einander knüpft, oder es wenigstens nicht versteht, die grammatischen Bezeichnungen mit den Wörtern fest zusammenzuschmelzen, so hat sie es nur mit Lautganzen zu thun, und wird nicht zu der Unterscheidung einer einzelnen Articulation, wie durch das Erscheinen des nemlichen,

Geistesanlagen zusammen auf sie; die Auffindung einer harmonischen Verflechtung von Sylben-Längen und Kürzen aber zeugt von der Empfindung der Sprache in ihrer wahren Eigenthümlichkeit, von der Regsamkeit des Ohrs und des Gemüths, durch das Verhältniß der Articulationen dergestalt getroffen und bewegt zu werden, daß man die einzelnen in den verbundenen unterscheidet, und ihre Tongeltung bestimmt und richtig erkennt.

Dies liegt allerdings zum Theil auch in dem, der Sprache nicht unmittelbar angehörenden musikalischen Gefühl. Denn der Ton besitzt die glückliche Eigenthümlichkeit, das Idealische auf zwei Wegen, durch die Musik und die Sprache, berühren, und diese beiden mit einander verbinden zu können, woher der von Worten begleitete Gesang wohl unbestreitbar im ganzen Gebiete der Kunst, weil sich zwei ihrer bedeutendsten Formen in ihm vereinen, die vollste und erhebendste Empfindung hervorbringt. Je lebendiger aber jene Sylbenmaaße auch für die musikalische Anlage ihrer Erfinder sprechen, desto mehr zeugen sie von der Stärke ihres Sprachsinnes, da gerade durch sie dem articulirten Laut, also der Sprache, neben der hinreißenden Gewalt der Musik, sein volles Recht erhalten wird. Denn die antiken Sylbenmaaße unterscheiden sich eben dadurch am allgemeinsten von den modernen, daß sie, auch in dem musikalischen Ausdruck, den Laut immer wahrhaft als Sprachlaut behandeln, die wiederkehrende, vollständige oder unvollständige Gleichheit verbundener Laute (Reim und Assonanz), die auf den bloßen Klang hinausläuft, verschmähen, und nur sehr selten die Sylben gegen ihre Natur, bloß der Gewalt des Rhythmus gehorchend, zu dehnen oder zu verkürzen erlauben, sondern genau dafür sorgen, daß sie in ihrer natürlichen Geltung, klar und unverändert austönend, harmonisch zusammenklingen.

Die Beugung, auf welcher das Wesen der grammatischen Formen beruht, führt nothwendig auf die Unterscheidung und Beachtung der einzelnen Articulationen. Wenn eine Sprache nur bedeutsame Laute an einander knüpft, oder es wenigstens nicht versteht, die grammatischen Bezeichnungen mit den Wörtern fest zusammenzuschmelzen, so hat sie es nur mit Lautganzen zu thun, und wird nicht zu der Unterscheidung einer einzelnen Articulation, wie durch das Erscheinen des nemlichen,

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[175/0015] Geistesanlagen zusammen auf sie; die Auffindung einer harmonischen Verflechtung von Sylben-Längen und Kürzen aber zeugt von der Empfindung der Sprache in ihrer wahren Eigenthümlichkeit, von der Regsamkeit des Ohrs und des Gemüths, durch das Verhältniß der Articulationen dergestalt getroffen und bewegt zu werden, daß man die einzelnen in den verbundenen unterscheidet, und ihre Tongeltung bestimmt und richtig erkennt. Dies liegt allerdings zum Theil auch in dem, der Sprache nicht unmittelbar angehörenden musikalischen Gefühl. Denn der Ton besitzt die glückliche Eigenthümlichkeit, das Idealische auf zwei Wegen, durch die Musik und die Sprache, berühren, und diese beiden mit einander verbinden zu können, woher der von Worten begleitete Gesang wohl unbestreitbar im ganzen Gebiete der Kunst, weil sich zwei ihrer bedeutendsten Formen in ihm vereinen, die vollste und erhebendste Empfindung hervorbringt. Je lebendiger aber jene Sylbenmaaße auch für die musikalische Anlage ihrer Erfinder sprechen, desto mehr zeugen sie von der Stärke ihres Sprachsinnes, da gerade durch sie dem articulirten Laut, also der Sprache, neben der hinreißenden Gewalt der Musik, sein volles Recht erhalten wird. Denn die antiken Sylbenmaaße unterscheiden sich eben dadurch am allgemeinsten von den modernen, daß sie, auch in dem musikalischen Ausdruck, den Laut immer wahrhaft als Sprachlaut behandeln, die wiederkehrende, vollständige oder unvollständige Gleichheit verbundener Laute (Reim und Assonanz), die auf den bloßen Klang hinausläuft, verschmähen, und nur sehr selten die Sylben gegen ihre Natur, bloß der Gewalt des Rhythmus gehorchend, zu dehnen oder zu verkürzen erlauben, sondern genau dafür sorgen, daß sie in ihrer natürlichen Geltung, klar und unverändert austönend, harmonisch zusammenklingen. Die Beugung, auf welcher das Wesen der grammatischen Formen beruht, führt nothwendig auf die Unterscheidung und Beachtung der einzelnen Articulationen. Wenn eine Sprache nur bedeutsame Laute an einander knüpft, oder es wenigstens nicht versteht, die grammatischen Bezeichnungen mit den Wörtern fest zusammenzuschmelzen, so hat sie es nur mit Lautganzen zu thun, und wird nicht zu der Unterscheidung einer einzelnen Articulation, wie durch das Erscheinen des nemlichen,

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ueber die Buchstabenschrift und ihren Zusammenhang mit dem Sprachbau. In: Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin, 1826. S. 161-188, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_sprachbau_1826/15>, abgerufen am 20.04.2024.