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Humboldt, Alexander von: Ueber die Anwendung des Galvanischen Reizmittels auf die praktische Heilkunde. Ein Schreiben des Hrn. Obergerbraths von Humboldt an den Herausgeber. In: Journal für die Chirurgie, Geburtshülfe und gerichtliche Arzneykunde, Bd. 1 (1797), S. 447-471.

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auf dem Schlachtfelde zu! Wer keine Zeichen willkührli-
cher Bewegung von sich gibt, wird für eine Leiche er-
klärt, bleibt von anderen Leichen bedeckt, den Einwir-
kungen der Atmosphäre ausgesetzt, oder wird gar vom
Landvolk in eine Grube geworfen. Beyspiele von Ver-
wundeten, welche, für tod gehalten, unter den Cadavern
liegen blieben und mehrere Stunden nachher Lebenszei-
chen von sich gaben, sind, leider! nicht gar selten. Wie
wohlthätig wäre es, wenn in solchen Fällen die Feld-
chirurgen mit dem einfachen Galvanischen Bogen (zu-
sammengeschrobener Zink und Silber) versehen wären!
Der biceps brachii, die m. gastrocnemii, der pectoralis
major
ist bald entblößt, und, da kein Nerve präparirt
zu werden braucht*), so ist das Experiment schnell ge-
macht. Freylich würde es unmöglich seyn, selbst wenn
die Armee das Schlachtfeld bleibend behauptet, das
Prüfungsmittel an allen Leichen anzustellen. Wer
würde sich nur eine solche Forderung erlauben? Aber,
zeichnen sich unter den entstellten Körpern nicht immer
einige aus, über deren wahren Tod der geschickte Wund-
arzt in Zweifel ist? Werden nicht auf schnellen Rückzü-
gen (an denen der gegenwärtige Feldzug so reich ist) Lei-
chen vom Kranken-Wagen geworfen, die bey mangeln-
der willkührlicher Bewegung vielleicht noch ein dunkles
Gefühl ihres hülflosen Schicksals haben? Jch fordere ei-
nen Baldinger auf, einen Görcke, einen Mursin-

*) Creve, S. 189.

auf dem Schlachtfelde zu! Wer keine Zeichen willkuͤhrli-
cher Bewegung von ſich gibt, wird fuͤr eine Leiche er-
klaͤrt, bleibt von anderen Leichen bedeckt, den Einwir-
kungen der Atmoſphaͤre ausgeſetzt, oder wird gar vom
Landvolk in eine Grube geworfen. Beyſpiele von Ver-
wundeten, welche, fuͤr tod gehalten, unter den Cadavern
liegen blieben und mehrere Stunden nachher Lebenszei-
chen von ſich gaben, ſind, leider! nicht gar ſelten. Wie
wohlthaͤtig waͤre es, wenn in ſolchen Faͤllen die Feld-
chirurgen mit dem einfachen Galvaniſchen Bogen (zu-
ſammengeſchrobener Zink und Silber) verſehen waͤren!
Der biceps brachii, die m. gaſtrocnemii, der pectoralis
major
iſt bald entbloͤßt, und, da kein Nerve praͤparirt
zu werden braucht*), ſo iſt das Experiment ſchnell ge-
macht. Freylich wuͤrde es unmoͤglich ſeyn, ſelbſt wenn
die Armee das Schlachtfeld bleibend behauptet, das
Pruͤfungsmittel an allen Leichen anzuſtellen. Wer
wuͤrde ſich nur eine ſolche Forderung erlauben? Aber,
zeichnen ſich unter den entſtellten Koͤrpern nicht immer
einige aus, uͤber deren wahren Tod der geſchickte Wund-
arzt in Zweifel iſt? Werden nicht auf ſchnellen Ruͤckzuͤ-
gen (an denen der gegenwaͤrtige Feldzug ſo reich iſt) Lei-
chen vom Kranken-Wagen geworfen, die bey mangeln-
der willkuͤhrlicher Bewegung vielleicht noch ein dunkles
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nen Baldinger auf, einen Goͤrcke, einen Murſin-

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[460/0015] auf dem Schlachtfelde zu! Wer keine Zeichen willkuͤhrli- cher Bewegung von ſich gibt, wird fuͤr eine Leiche er- klaͤrt, bleibt von anderen Leichen bedeckt, den Einwir- kungen der Atmoſphaͤre ausgeſetzt, oder wird gar vom Landvolk in eine Grube geworfen. Beyſpiele von Ver- wundeten, welche, fuͤr tod gehalten, unter den Cadavern liegen blieben und mehrere Stunden nachher Lebenszei- chen von ſich gaben, ſind, leider! nicht gar ſelten. Wie wohlthaͤtig waͤre es, wenn in ſolchen Faͤllen die Feld- chirurgen mit dem einfachen Galvaniſchen Bogen (zu- ſammengeſchrobener Zink und Silber) verſehen waͤren! Der biceps brachii, die m. gaſtrocnemii, der pectoralis major iſt bald entbloͤßt, und, da kein Nerve praͤparirt zu werden braucht *), ſo iſt das Experiment ſchnell ge- macht. Freylich wuͤrde es unmoͤglich ſeyn, ſelbſt wenn die Armee das Schlachtfeld bleibend behauptet, das Pruͤfungsmittel an allen Leichen anzuſtellen. Wer wuͤrde ſich nur eine ſolche Forderung erlauben? Aber, zeichnen ſich unter den entſtellten Koͤrpern nicht immer einige aus, uͤber deren wahren Tod der geſchickte Wund- arzt in Zweifel iſt? Werden nicht auf ſchnellen Ruͤckzuͤ- gen (an denen der gegenwaͤrtige Feldzug ſo reich iſt) Lei- chen vom Kranken-Wagen geworfen, die bey mangeln- der willkuͤhrlicher Bewegung vielleicht noch ein dunkles Gefuͤhl ihres huͤlfloſen Schickſals haben? Jch fordere ei- nen Baldinger auf, einen Goͤrcke, einen Murſin- *) Creve, S. 189.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ueber die Anwendung des Galvanischen Reizmittels auf die praktische Heilkunde. Ein Schreiben des Hrn. Obergerbraths von Humboldt an den Herausgeber. In: Journal für die Chirurgie, Geburtshülfe und gerichtliche Arzneykunde, Bd. 1 (1797), S. 447-471, hier S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_reizmittel_1797/15>, abgerufen am 27.04.2024.