Humboldt, Alexander von: Ueber einige wichtige Punkte der Geographie Guyanas. In: Annalen der Erd-, Völker- und Staatenkunde, 5 (1837/1838), S. 35-62.Über die Geographie von Guyana. zeln finden, die vermittelst wandernder Stämme einen Raum von400-500 Lieues in der Richtung von Südwest nach Nordost durchlaufen haben. Am Ende des 16. Jahrhunderts ging Antonio de Berrio, Erbe des großen Adelantado Gonzalo Ximenez de Quesada, östlich von Tunja über die Cordilleren von Neü-Granada (Cundi- namarca) und gelangte auf dem Casanare, Meta und dem unteren Orenoko nach der Jnsel Trinidad. Seit dieser Zeit wurde die Mythe von dem Dorado in den östlichen Theil von Guyana, zwischen Long. 62 und 66°, verlegt, in eine Gegend, die ganz neüerdings wieder der Schauplatz nützlicher und mühsamer Forschungen gewor- den ist. Dieselben Namen wurden an andere Lokalitäten geknüpft; die geographische Mythe wurde nach der Konfiguration eines, haü- figen Überschwemmungen ausgesetzten Landes am Fuße der Pa- caraina-Kette modificirt. Da die Quellen großer Ströme stets die Neügierde des Menschen erregt haben, da sie den kühnsten Hy- pothesen ein weites Feld darbieten, so finden sich die Fragen über die Quellen des Orenoko direkt mit der Aufsuchung des Dorado im östlichen Guyana verbunden. Die Erzählungen eines gewissen Martinez, die durch Raleigh verbreitet wurden und der Geschichte der Abenteüer des Juan Martin de Albujar nachgeahmt waren, hatten im Jahre 1595 die Einbildungskraft Antonio's de Berrio und seines Maese de Campo, Domingo de Vera, erhitzt. Jener Martinez war von den Caraiben "von Stadt zu Stadt geführt worden, bis er nach Manoa, der Hauptstadt des Dorado, kam, wo er einen Verwandten des Jnca Atabalipa (Atahualpa) zu sehen glaubte, den er schon in Caxamarca gekannt zu haben behauptete." Da Martinez am oberen Caroni, der von der Pacaraina-Kette herabkommt, wohnte, und da er nach einer langen Abwesenheit un- ter den Jndianern, den Essequibo herabkommend, auf der Jnsel Trinidad wieder erschien, so hat er ohne Zweifel dazu beigetragen, den See Manoa auf den Jsthmus des Rupunuri oder Rupunn- wini zu verlegen. Dieser See wurde nach und nach zu einem Bin- nen-Meere (Laguna Parime oder Laguna de Roponowini des Je- docus Hondius) vergrößert. Jn dem Jahre, wo ich diese Zeilen schreibe, bewahren viele sehr neüe Karten noch immer die Spuren jener alten geographischen Mythe, wie sie eben so gewissenhaft die Mythe von einem großen Plateau im centralen Asien bewahren, das sich ununterbrochen von der Kette des Himalaya-Gebirges bis zu der des Altai erstrecken soll. Das zweite Dorado, das östliche, kann man vielleicht das Über die Geographie von Guyana. zeln finden, die vermittelſt wandernder Staͤmme einen Raum von400–500 Lieues in der Richtung von Suͤdweſt nach Nordoſt durchlaufen haben. Am Ende des 16. Jahrhunderts ging Antonio de Berrio, Erbe des großen Adelantado Gonzalo Ximenez de Queſada, oͤſtlich von Tunja uͤber die Cordilleren von Neuͤ-Granada (Cundi- namarca) und gelangte auf dem Caſanare, Meta und dem unteren Orenoko nach der Jnſel Trinidad. Seit dieſer Zeit wurde die Mythe von dem Dorado in den oͤſtlichen Theil von Guyana, zwiſchen Long. 62 und 66°, verlegt, in eine Gegend, die ganz neuͤerdings wieder der Schauplatz nuͤtzlicher und muͤhſamer Forſchungen gewor- den iſt. Dieſelben Namen wurden an andere Lokalitaͤten geknuͤpft; die geographiſche Mythe wurde nach der Konfiguration eines, hauͤ- figen Überſchwemmungen ausgeſetzten Landes am Fuße der Pa- caraina-Kette modificirt. Da die Quellen großer Stroͤme ſtets die Neuͤgierde des Menſchen erregt haben, da ſie den kuͤhnſten Hy- potheſen ein weites Feld darbieten, ſo finden ſich die Fragen uͤber die Quellen des Orenoko direkt mit der Aufſuchung des Dorado im oͤſtlichen Guyana verbunden. Die Erzaͤhlungen eines gewiſſen Martinez, die durch Raleigh verbreitet wurden und der Geſchichte der Abenteuͤer des Juan Martin de Albujar nachgeahmt waren, hatten im Jahre 1595 die Einbildungskraft Antonio's de Berrio und ſeines Maeſe de Campo, Domingo de Vera, erhitzt. Jener Martinez war von den Caraiben „von Stadt zu Stadt gefuͤhrt worden, bis er nach Manoa, der Hauptſtadt des Dorado, kam, wo er einen Verwandten des Jnca Atabalipa (Atahualpa) zu ſehen glaubte, den er ſchon in Caxamarca gekannt zu haben behauptete.“ Da Martinez am oberen Caroni, der von der Pacaraina-Kette herabkommt, wohnte, und da er nach einer langen Abweſenheit un- ter den Jndianern, den Eſſequibo herabkommend, auf der Jnſel Trinidad wieder erſchien, ſo hat er ohne Zweifel dazu beigetragen, den See Manoa auf den Jſthmus des Rupunuri oder Rupunn- wini zu verlegen. Dieſer See wurde nach und nach zu einem Bin- nen-Meere (Laguna Parime oder Laguna de Roponowini des Je- docus Hondius) vergroͤßert. Jn dem Jahre, wo ich dieſe Zeilen ſchreibe, bewahren viele ſehr neuͤe Karten noch immer die Spuren jener alten geographiſchen Mythe, wie ſie eben ſo gewiſſenhaft die Mythe von einem großen Plateau im centralen Aſien bewahren, das ſich ununterbrochen von der Kette des Himalaya-Gebirges bis zu der des Altai erſtrecken ſoll. Das zweite Dorado, das oͤſtliche, kann man vielleicht das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0013" n="47"/><fw place="top" type="header">Über die Geographie von Guyana.</fw><lb/><hi rendition="#g">zeln</hi> finden, die vermittelſt wandernder Staͤmme einen Raum von<lb/> 400–500 Lieues in der Richtung von Suͤdweſt nach Nordoſt<lb/> durchlaufen haben. Am Ende des 16. Jahrhunderts ging Antonio de<lb/> Berrio, Erbe des großen Adelantado Gonzalo Ximenez de Queſada,<lb/> oͤſtlich von Tunja uͤber die Cordilleren von Neuͤ-Granada (Cundi-<lb/> namarca) und gelangte auf dem Caſanare, Meta und dem unteren<lb/> Orenoko nach der Jnſel Trinidad. 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Über die Geographie von Guyana.
zeln finden, die vermittelſt wandernder Staͤmme einen Raum von
400–500 Lieues in der Richtung von Suͤdweſt nach Nordoſt
durchlaufen haben. Am Ende des 16. Jahrhunderts ging Antonio de
Berrio, Erbe des großen Adelantado Gonzalo Ximenez de Queſada,
oͤſtlich von Tunja uͤber die Cordilleren von Neuͤ-Granada (Cundi-
namarca) und gelangte auf dem Caſanare, Meta und dem unteren
Orenoko nach der Jnſel Trinidad. Seit dieſer Zeit wurde die Mythe
von dem Dorado in den oͤſtlichen Theil von Guyana, zwiſchen
Long. 62 und 66°, verlegt, in eine Gegend, die ganz neuͤerdings
wieder der Schauplatz nuͤtzlicher und muͤhſamer Forſchungen gewor-
den iſt. Dieſelben Namen wurden an andere Lokalitaͤten geknuͤpft;
die geographiſche Mythe wurde nach der Konfiguration eines, hauͤ-
figen Überſchwemmungen ausgeſetzten Landes am Fuße der Pa-
caraina-Kette modificirt. Da die Quellen großer Stroͤme ſtets
die Neuͤgierde des Menſchen erregt haben, da ſie den kuͤhnſten Hy-
potheſen ein weites Feld darbieten, ſo finden ſich die Fragen uͤber
die Quellen des Orenoko direkt mit der Aufſuchung des Dorado im
oͤſtlichen Guyana verbunden. Die Erzaͤhlungen eines gewiſſen
Martinez, die durch Raleigh verbreitet wurden und der Geſchichte
der Abenteuͤer des Juan Martin de Albujar nachgeahmt waren,
hatten im Jahre 1595 die Einbildungskraft Antonio's de Berrio
und ſeines Maeſe de Campo, Domingo de Vera, erhitzt. Jener
Martinez war von den Caraiben „von Stadt zu Stadt gefuͤhrt
worden, bis er nach Manoa, der Hauptſtadt des Dorado, kam, wo
er einen Verwandten des Jnca Atabalipa (Atahualpa) zu ſehen
glaubte, den er ſchon in Caxamarca gekannt zu haben behauptete.“
Da Martinez am oberen Caroni, der von der Pacaraina-Kette
herabkommt, wohnte, und da er nach einer langen Abweſenheit un-
ter den Jndianern, den Eſſequibo herabkommend, auf der Jnſel
Trinidad wieder erſchien, ſo hat er ohne Zweifel dazu beigetragen,
den See Manoa auf den Jſthmus des Rupunuri oder Rupunn-
wini zu verlegen. Dieſer See wurde nach und nach zu einem Bin-
nen-Meere (Laguna Parime oder Laguna de Roponowini des Je-
docus Hondius) vergroͤßert. Jn dem Jahre, wo ich dieſe Zeilen
ſchreibe, bewahren viele ſehr neuͤe Karten noch immer die Spuren
jener alten geographiſchen Mythe, wie ſie eben ſo gewiſſenhaft die
Mythe von einem großen Plateau im centralen Aſien bewahren,
das ſich ununterbrochen von der Kette des Himalaya-Gebirges bis
zu der des Altai erſtrecken ſoll.
Das zweite Dorado, das oͤſtliche, kann man vielleicht das
Dorado der Parime oder des Raleigh nennen; denn dieſer
große Mann unternahm vom Jahre 1595 bis zum Jahre 1617 vier
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