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Humboldt, Alexander von: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse. Tübingen, 1806.

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Blume, von vier Fuss Umfang, sich die indischen
Knaben in ihren Spielen über den Scheitel ziehen.

Die ausserordentliche Höhe, zu welcher sich unter
den Wendekreisen nicht blos einzelne Berge, sondern
ganze Länder erheben, und die Kälte, welche Folge
dieser Höhe ist, gewähren dem Tropen-Bewohner
einen seltsamen Anblik. Ausser den Palmen und Pisanggebüschen
umgeben ihn auch die Pflanzenformen,
welche nur den nordischen Ländern anzugehören
scheinen. Cypressen, Tannen und Eichen, Berberissträucher
und Erlen (nahe mit den unsrigen verwandt)
bedekken die Gebirgsebenen im südlichen
Mexiko, wie die Andeskette unter dem Aequator.
So hat die Natur dem Menschen in der heissen Zone
verliehen, ohne seine Heimath zu verlassen, alle
Pflanzengestalten der Erde zu sehen; wie das Himmelsgewölbe
von Pol zu Pol ihm keine seiner leuchtenden
Welten verbirgt.

Diesen und so manchen andern Naturgenuss entbehren
die nordischen Völker. Viele Gestirne und
viele Pflanzenformen, von diesen gerade die schönsten,
(Palmen und Pisanggewächse, baumartige Gräser
und feingefiederte Mimosen) bleiben ihnen ewig
unbekannt. Die krankenden Gewächse, welche unsere
Treibhäuser einschliessen, gewähren nur ein
schwaches Bild von der Majestät der Tropenvegetation.
Aber in der Ausbildung unserer Sprache, in
der glühenden Phantasie des Dichters, in der darstellenden
Kunst der Maler, ist uns eine reiche Quelle
des Ersatzes geöfnet. Aus ihr schöpft unsere Einbildungskraft

Blume, von vier Fuſs Umfang, sich die indischen
Knaben in ihren Spielen über den Scheitel ziehen.

Die auſserordentliche Höhe, zu welcher sich unter
den Wendekreisen nicht blos einzelne Berge, sondern
ganze Länder erheben, und die Kälte, welche Folge
dieser Höhe ist, gewähren dem Tropen-Bewohner
einen seltsamen Anblik. Auſser den Palmen und Pisanggebüschen
umgeben ihn auch die Pflanzenformen,
welche nur den nordischen Ländern anzugehören
scheinen. Cypressen, Tannen und Eichen, Berberissträucher
und Erlen (nahe mit den unsrigen verwandt)
bedekken die Gebirgsebenen im südlichen
Mexiko, wie die Andeskette unter dem Aequator.
So hat die Natur dem Menschen in der heiſsen Zone
verliehen, ohne seine Heimath zu verlassen, alle
Pflanzengestalten der Erde zu sehen; wie das Himmelsgewölbe
von Pol zu Pol ihm keine seiner leuchtenden
Welten verbirgt.

Diesen und so manchen andern Naturgenuſs entbehren
die nordischen Völker. Viele Gestirne und
viele Pflanzenformen, von diesen gerade die schönsten,
(Palmen und Pisanggewächse, baumartige Gräser
und feingefiederte Mimosen) bleiben ihnen ewig
unbekannt. Die krankenden Gewächse, welche unsere
Treibhäuser einschlieſsen, gewähren nur ein
schwaches Bild von der Majestät der Tropenvegetation.
Aber in der Ausbildung unserer Sprache, in
der glühenden Phantasie des Dichters, in der darstellenden
Kunst der Maler, ist uns eine reiche Quelle
des Ersatzes geöfnet. Aus ihr schöpft unsere Einbildungskraft

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[27/0027] Blume, von vier Fuſs Umfang, sich die indischen Knaben in ihren Spielen über den Scheitel ziehen. Die auſserordentliche Höhe, zu welcher sich unter den Wendekreisen nicht blos einzelne Berge, sondern ganze Länder erheben, und die Kälte, welche Folge dieser Höhe ist, gewähren dem Tropen-Bewohner einen seltsamen Anblik. Auſser den Palmen und Pisanggebüschen umgeben ihn auch die Pflanzenformen, welche nur den nordischen Ländern anzugehören scheinen. Cypressen, Tannen und Eichen, Berberissträucher und Erlen (nahe mit den unsrigen verwandt) bedekken die Gebirgsebenen im südlichen Mexiko, wie die Andeskette unter dem Aequator. So hat die Natur dem Menschen in der heiſsen Zone verliehen, ohne seine Heimath zu verlassen, alle Pflanzengestalten der Erde zu sehen; wie das Himmelsgewölbe von Pol zu Pol ihm keine seiner leuchtenden Welten verbirgt. Diesen und so manchen andern Naturgenuſs entbehren die nordischen Völker. Viele Gestirne und viele Pflanzenformen, von diesen gerade die schönsten, (Palmen und Pisanggewächse, baumartige Gräser und feingefiederte Mimosen) bleiben ihnen ewig unbekannt. Die krankenden Gewächse, welche unsere Treibhäuser einschlieſsen, gewähren nur ein schwaches Bild von der Majestät der Tropenvegetation. Aber in der Ausbildung unserer Sprache, in der glühenden Phantasie des Dichters, in der darstellenden Kunst der Maler, ist uns eine reiche Quelle des Ersatzes geöfnet. Aus ihr schöpft unsere Einbildungskraft

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse. Tübingen, 1806, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_physiognomik_1806/27>, abgerufen am 29.03.2024.