Humboldt, Alexander von: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse. Tübingen, 1806.mit unnachahmlicher Wahrheit den Charakter einzelner mit unnachahmlicher Wahrheit den Charakter einzelner <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0013" n="13"/> mit unnachahmlicher Wahrheit den Charakter einzelner<lb/> Himmelsstriche geschildert. Solche Schilderungen<lb/> sind aber nicht blos dazu geeignet, dem Gemüthe einen<lb/> Genuſs der edelsten Art zu verschaffen; nein,<lb/> die Kenntniſs von dem Naturcharakter verschiedener<lb/> Weltgegenden ist mit der Geschichte des Menschengeschlechtes,<lb/> und mit der seiner Kultur, aufs innigste<lb/> verknüpft. Denn wenn auch der Anfang dieser Kultur<lb/> nicht durch physische Einflüsse allein bestimmt<lb/> wird; so hangt doch die Richtung derselben, so hängen<lb/> Volkscharacter, düstere oder heitere Stimmung<lb/> der Menschheit, groſsentheils von klimatischen Verhältnissen<lb/> ab. Wie mächtig hat der griechische Himmel<lb/> auf seine Bewohner gewirkt! Wie sind nicht in<lb/> dem schönen und glücklichen Erdstriche zwischen dem<lb/><placeName>Oxus</placeName>, dem <placeName>Tigris</placeName>, und dem <placeName>ägeischen Meere</placeName>, die<lb/> sich ansiedelnden Völker zuerst zu sittlicher Anmuth<lb/> und zarteren Gefühlen erwacht? Und haben nicht,<lb/> als <placeName>Europa</placeName> in neue Barbarei versank, und religiöse<lb/> Begeisterung plözlich den heiligen <placeName>Orient</placeName> öfnete, unsere<lb/> Vorältern aus jenen milden Thälern von neuem<lb/> mildere Sitten heimgebracht! Die Dichterwerke der<lb/> Griechen und die rauheren Gesänge der nordischen Urvölker<lb/> verdankten gröſstentheils ihren eigenthümlichen<lb/> Charakter der Gestalt der Pflanzen und Thiere,<lb/> den Gebirgsthälern, die den Dichter umgaben, und<lb/> der Luft, die ihn umwehte. Wer fühlt sich nicht,<lb/> um selbst nur an nahe Gegenstände zu erinnern, anders<lb/> gestimmt, in dem dunkeln Schatten der Buchen,<lb/> oder auf Hügeln, die mit einzeln stehenden Tannen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [13/0013]
mit unnachahmlicher Wahrheit den Charakter einzelner
Himmelsstriche geschildert. Solche Schilderungen
sind aber nicht blos dazu geeignet, dem Gemüthe einen
Genuſs der edelsten Art zu verschaffen; nein,
die Kenntniſs von dem Naturcharakter verschiedener
Weltgegenden ist mit der Geschichte des Menschengeschlechtes,
und mit der seiner Kultur, aufs innigste
verknüpft. Denn wenn auch der Anfang dieser Kultur
nicht durch physische Einflüsse allein bestimmt
wird; so hangt doch die Richtung derselben, so hängen
Volkscharacter, düstere oder heitere Stimmung
der Menschheit, groſsentheils von klimatischen Verhältnissen
ab. Wie mächtig hat der griechische Himmel
auf seine Bewohner gewirkt! Wie sind nicht in
dem schönen und glücklichen Erdstriche zwischen dem
Oxus, dem Tigris, und dem ägeischen Meere, die
sich ansiedelnden Völker zuerst zu sittlicher Anmuth
und zarteren Gefühlen erwacht? Und haben nicht,
als Europa in neue Barbarei versank, und religiöse
Begeisterung plözlich den heiligen Orient öfnete, unsere
Vorältern aus jenen milden Thälern von neuem
mildere Sitten heimgebracht! Die Dichterwerke der
Griechen und die rauheren Gesänge der nordischen Urvölker
verdankten gröſstentheils ihren eigenthümlichen
Charakter der Gestalt der Pflanzen und Thiere,
den Gebirgsthälern, die den Dichter umgaben, und
der Luft, die ihn umwehte. Wer fühlt sich nicht,
um selbst nur an nahe Gegenstände zu erinnern, anders
gestimmt, in dem dunkeln Schatten der Buchen,
oder auf Hügeln, die mit einzeln stehenden Tannen
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