Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 4. Stuttgart u. a., 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

durch auf dem Wasser schwimmende Magnetnadeln bis zu einer Epoche hinaufsteigen, welche vielleicht noch älter ist als die dorische Wanderung und die Rückkehr der Herakliden in den Peloponnes. Auffallend genug scheint es dazu, daß der Gebrauch der Süd-Weisung der Nadel im östlichsten Asien nicht in der Schifffahrt, sondern bei Landreisen angefangen hat. In dem Vordertheil der magnetischen Wagen bewegte eine frei schwimmende Nadel Arm und Hand einer kleinen Figur, welche nach dem Süden hinwies. Ein solcher Apparat, fse-nan (Andeuter des Südens) genannt, wurde unter der Dynastie der Tscheu 1100 Jahre vor unserer Zeitrechnung Gesandten von Tunkin und Cochinchina geschenkt, um ihre Rückkehr durch große Ebenen zu sichern. Der Magnetwagen54 bediente man sich noch bis in das 15te Jahrhundert nach Christus. Mehrere derselben wurden im kaiserlichen Pallaste aufbewahrt und bei Erbauung buddhistischer Klöster zur Orientirung der Hauptseiten der Gebäude benutzt. Die häufige Anwendung eines magnetischen Apparats leitete allmälig die Scharfsinnigeren unter dem Volke auf physikalische Betrachtungen über die Natur der magnetischen Erscheinungen. Der chinesische Lobredner der Magnetnadel, Kuopho (ein Schriftsteller aus dem Zeitalter Constantins des Großen), vergleicht, wie ich schon an einem anderen Orte angeführt, die Anziehungskraft des Magnets mit der des geriebenen Bernsteins. Es ist nach ihm "wie ein Windeshauch, der beide geheimnißvoll durchweht und pfeilschnell sich mitzutheilen vermag." Der symbolische Ausdruck Windeshauch erinnert an den gleich symbolischen der Beseelung, welche im griechischen Alterthume der Gründer der ionischen Schule, Thales, beiden attractorischen Substanzen zuschrieb.55 Seele heißt hier das innere Princip bewegender Thätigkeit.

durch auf dem Wasser schwimmende Magnetnadeln bis zu einer Epoche hinaufsteigen, welche vielleicht noch älter ist als die dorische Wanderung und die Rückkehr der Herakliden in den Peloponnes. Auffallend genug scheint es dazu, daß der Gebrauch der Süd-Weisung der Nadel im östlichsten Asien nicht in der Schifffahrt, sondern bei Landreisen angefangen hat. In dem Vordertheil der magnetischen Wagen bewegte eine frei schwimmende Nadel Arm und Hand einer kleinen Figur, welche nach dem Süden hinwies. Ein solcher Apparat, fse-nan (Andeuter des Südens) genannt, wurde unter der Dynastie der Tscheu 1100 Jahre vor unserer Zeitrechnung Gesandten von Tunkin und Cochinchina geschenkt, um ihre Rückkehr durch große Ebenen zu sichern. Der Magnetwagen54 bediente man sich noch bis in das 15te Jahrhundert nach Christus. Mehrere derselben wurden im kaiserlichen Pallaste aufbewahrt und bei Erbauung buddhistischer Klöster zur Orientirung der Hauptseiten der Gebäude benutzt. Die häufige Anwendung eines magnetischen Apparats leitete allmälig die Scharfsinnigeren unter dem Volke auf physikalische Betrachtungen über die Natur der magnetischen Erscheinungen. Der chinesische Lobredner der Magnetnadel, Kuopho (ein Schriftsteller aus dem Zeitalter Constantins des Großen), vergleicht, wie ich schon an einem anderen Orte angeführt, die Anziehungskraft des Magnets mit der des geriebenen Bernsteins. Es ist nach ihm „wie ein Windeshauch, der beide geheimnißvoll durchweht und pfeilschnell sich mitzutheilen vermag." Der symbolische Ausdruck Windeshauch erinnert an den gleich symbolischen der Beseelung, welche im griechischen Alterthume der Gründer der ionischen Schule, Thales, beiden attractorischen Substanzen zuschrieb.55 Seele heißt hier das innere Princip bewegender Thätigkeit.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0055" n="50"/>
durch auf dem Wasser schwimmende Magnetnadeln bis zu einer Epoche hinaufsteigen, welche vielleicht noch älter ist als die dorische Wanderung und die Rückkehr der Herakliden in den Peloponnes. Auffallend genug scheint es dazu, daß der Gebrauch der <hi rendition="#g">Süd-Weisung</hi> der Nadel im östlichsten Asien nicht in der <hi rendition="#g">Schifffahrt,</hi> sondern bei <hi rendition="#g">Landreisen</hi> angefangen hat. In dem Vordertheil der <hi rendition="#g">magnetischen Wagen</hi> bewegte eine frei schwimmende Nadel Arm und Hand einer kleinen Figur, welche nach dem Süden hinwies. Ein solcher Apparat, fse-nan <hi rendition="#g">(Andeuter des Südens)</hi> genannt, wurde unter der Dynastie der Tscheu 1100 Jahre vor unserer Zeitrechnung Gesandten von Tunkin und Cochinchina geschenkt, um ihre Rückkehr durch große Ebenen zu sichern. Der Magnetwagen<note xml:id="ftn54" next="ftn54-text" place="end" n="54"/> bediente man sich noch bis in das 15te Jahrhundert nach Christus. Mehrere derselben wurden im kaiserlichen Pallaste aufbewahrt und bei Erbauung buddhistischer Klöster zur Orientirung der Hauptseiten der Gebäude benutzt. Die häufige Anwendung eines magnetischen Apparats leitete allmälig die Scharfsinnigeren unter dem Volke auf physikalische Betrachtungen über die Natur der magnetischen Erscheinungen. Der chinesische Lobredner der Magnetnadel, Kuopho (ein Schriftsteller aus dem Zeitalter Constantins des Großen), vergleicht, wie ich schon an einem anderen Orte angeführt, die Anziehungskraft des <hi rendition="#g">Magnets</hi> mit der des geriebenen <hi rendition="#g">Bernsteins.</hi> Es ist nach ihm &#x201E;wie ein <hi rendition="#g">Windeshauch,</hi> der beide geheimnißvoll durchweht und pfeilschnell sich mitzutheilen vermag." Der symbolische Ausdruck <hi rendition="#g">Windeshauch</hi> erinnert an den gleich symbolischen der <hi rendition="#g">Beseelung,</hi> welche im griechischen Alterthume der Gründer der ionischen Schule, Thales, beiden attractorischen Substanzen zuschrieb.<note xml:id="ftn55" next="ftn55-text" place="end" n="55"/> <hi rendition="#g">Seele</hi> heißt hier das innere Princip bewegender Thätigkeit.</p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0055] durch auf dem Wasser schwimmende Magnetnadeln bis zu einer Epoche hinaufsteigen, welche vielleicht noch älter ist als die dorische Wanderung und die Rückkehr der Herakliden in den Peloponnes. Auffallend genug scheint es dazu, daß der Gebrauch der Süd-Weisung der Nadel im östlichsten Asien nicht in der Schifffahrt, sondern bei Landreisen angefangen hat. In dem Vordertheil der magnetischen Wagen bewegte eine frei schwimmende Nadel Arm und Hand einer kleinen Figur, welche nach dem Süden hinwies. Ein solcher Apparat, fse-nan (Andeuter des Südens) genannt, wurde unter der Dynastie der Tscheu 1100 Jahre vor unserer Zeitrechnung Gesandten von Tunkin und Cochinchina geschenkt, um ihre Rückkehr durch große Ebenen zu sichern. Der Magnetwagen ⁵⁴ bediente man sich noch bis in das 15te Jahrhundert nach Christus. Mehrere derselben wurden im kaiserlichen Pallaste aufbewahrt und bei Erbauung buddhistischer Klöster zur Orientirung der Hauptseiten der Gebäude benutzt. Die häufige Anwendung eines magnetischen Apparats leitete allmälig die Scharfsinnigeren unter dem Volke auf physikalische Betrachtungen über die Natur der magnetischen Erscheinungen. Der chinesische Lobredner der Magnetnadel, Kuopho (ein Schriftsteller aus dem Zeitalter Constantins des Großen), vergleicht, wie ich schon an einem anderen Orte angeführt, die Anziehungskraft des Magnets mit der des geriebenen Bernsteins. Es ist nach ihm „wie ein Windeshauch, der beide geheimnißvoll durchweht und pfeilschnell sich mitzutheilen vermag." Der symbolische Ausdruck Windeshauch erinnert an den gleich symbolischen der Beseelung, welche im griechischen Alterthume der Gründer der ionischen Schule, Thales, beiden attractorischen Substanzen zuschrieb. ⁵⁵ Seele heißt hier das innere Princip bewegender Thätigkeit.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos04_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos04_1858/55
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 4. Stuttgart u. a., 1858, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos04_1858/55>, abgerufen am 05.05.2024.