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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 4. Stuttgart u. a., 1858.

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kas glänzen und gravan Fels zu erkennen glaubte. (Vergl. meine Asie centrale T. I. p. 109.) Wenn etwa der Name Graucasus in Caucasus verstümmelt wurde, so konnte allerdings, wie Klausen in seinen Untersuchungen über die Wanderungen der Jo sagt (Rheinisches Museum für Philologie Jahrg. III. 1845 S. 298), ein Name, "in welchem jede seiner ersten Sylben den Griechen den Gedanken des Brennens erregte, einen Brandberg bezeichnen, an den sich die Geschichte des Feuerbrenners (Feuerzünders, purkaeus) leicht poetisch wie von selbst anknüpfte." Es ist nicht zu läugnen, daß Mythen bisweilen durch Namen veranlaßt werden; aber die Entstehung eines so großen und wichtigen Mythos, wie der typhonisch-caucasische, kann doch wohl nicht aus der zufälligen Klangähnlichkeit in einem mißverstandenen Gebirgsnamen herzuleiten sein. Es giebt bessere Argumente, deren auch Klausen eines erwähnt. Aus der sachlichen Zusammenstellung von Typhon und Caucasus, und durch das ausdrückliche Zeugniß des Pherecydes von Syros (zur Zeit der 58ten Olympiade) erhellt, daß das östliche Weltende für ein vulkanisches Gebirge galt. Nach einer der Scholien zum Apollonius (Scholia in Apoll. Rhod. ed. Schaefferi 1813 v. 1210 p. 524) sagt Pherecydes in der Theogonie: "daß Typhon, verfolgt, zum Caucasus floh und daß dort der Berg brannte (oder in Brand gerieth); daß Typhon von da nach Italien flüchtete, wo die Insel Pithecusa um ihn herumgeworfen (gleichsam herumgegossen) wurde." Die Insel Pithecusa ist aber die Insel Aenaria (jetzt Ischia), auf welcher der Epomeus (Epopon) nach Julius Obsequens 95 Jahre vor unsrer Zeitrechnung, dann unter Titus, unter Diocletian und zuletzt, nach der genauen Nachricht des Tolomeo Fiadoni von Lucca, zu derselben Zeit Priors von Santa Maria Novella, im Jahr 1302 Feuer und Laven auswarf. "Es ist seltsam", schreibt mir der tiefe Kenner des Alterthums, Böckh, "daß Pherecydes den Typhon vom Caucasus fliehen läßt, weil er brannte, da er selbst der Urheber der Erdbrände ist; daß aber sein Aufenthalt im Caucasus auf der Vorstellung vulkanischer Eruptionen daselbst beruht, scheint auch mir unläugbar." Apollonius der Rhodier, wo er (Apollon. Rhod. Argon. lib. II v. 1212-1217 ed. Beck) von der Geburt des colchischen Drachen spricht, versetzt ebenfalls in den Caucasus den Fels des Typhon, an welchem dieser von dem Blitze des
kâs glänzen und gravan Fels zu erkennen glaubte. (Vergl. meine Asie centrale T. I. p. 109.) Wenn etwa der Name Graucasus in Caucasus verstümmelt wurde, so konnte allerdings, wie Klausen in seinen Untersuchungen über die Wanderungen der Jo sagt (Rheinisches Museum für Philologie Jahrg. III. 1845 S. 298), ein Name, „in welchem jede seiner ersten Sylben den Griechen den Gedanken des Brennens erregte, einen Brandberg bezeichnen, an den sich die Geschichte des Feuerbrenners (Feuerzünders, πυρκαεύς) leicht poetisch wie von selbst anknüpfte." Es ist nicht zu läugnen, daß Mythen bisweilen durch Namen veranlaßt werden; aber die Entstehung eines so großen und wichtigen Mythos, wie der typhonisch-caucasische, kann doch wohl nicht aus der zufälligen Klangähnlichkeit in einem mißverstandenen Gebirgsnamen herzuleiten sein. Es giebt bessere Argumente, deren auch Klausen eines erwähnt. Aus der sachlichen Zusammenstellung von Typhon und Caucasus, und durch das ausdrückliche Zeugniß des Pherecydes von Syros (zur Zeit der 58ten Olympiade) erhellt, daß das östliche Weltende für ein vulkanisches Gebirge galt. Nach einer der Scholien zum Apollonius (Scholia in Apoll. Rhod. ed. Schaefferi 1813 v. 1210 p. 524) sagt Pherecydes in der Theogonie: „daß Typhon, verfolgt, zum Caucasus floh und daß dort der Berg brannte (oder in Brand gerieth); daß Typhon von da nach Italien flüchtete, wo die Insel Pithecusa um ihn herumgeworfen (gleichsam herumgegossen) wurde." Die Insel Pithecusa ist aber die Insel Aenaria (jetzt Ischia), auf welcher der Epomeus (Epopon) nach Julius Obsequens 95 Jahre vor unsrer Zeitrechnung, dann unter Titus, unter Diocletian und zuletzt, nach der genauen Nachricht des Tolomeo Fiadoni von Lucca, zu derselben Zeit Priors von Santa Maria Novella, im Jahr 1302 Feuer und Laven auswarf. „Es ist seltsam", schreibt mir der tiefe Kenner des Alterthums, Böckh, „daß Pherecydes den Typhon vom Caucasus fliehen läßt, weil er brannte, da er selbst der Urheber der Erdbrände ist; daß aber sein Aufenthalt im Caucasus auf der Vorstellung vulkanischer Eruptionen daselbst beruht, scheint auch mir unläugbar." Apollonius der Rhodier, wo er (Apollon. Rhod. Argon. lib. II v. 1212–1217 ed. Beck) von der Geburt des colchischen Drachen spricht, versetzt ebenfalls in den Caucasus den Fels des Typhon, an welchem dieser von dem Blitze des
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[508/0513] ⁶¹ kâs glänzen und gravan Fels zu erkennen glaubte. (Vergl. meine Asie centrale T. I. p. 109.) Wenn etwa der Name Graucasus in Caucasus verstümmelt wurde, so konnte allerdings, wie Klausen in seinen Untersuchungen über die Wanderungen der Jo sagt (Rheinisches Museum für Philologie Jahrg. III. 1845 S. 298), ein Name, „in welchem jede seiner ersten Sylben den Griechen den Gedanken des Brennens erregte, einen Brandberg bezeichnen, an den sich die Geschichte des Feuerbrenners (Feuerzünders, πυρκαεύς) leicht poetisch wie von selbst anknüpfte." Es ist nicht zu läugnen, daß Mythen bisweilen durch Namen veranlaßt werden; aber die Entstehung eines so großen und wichtigen Mythos, wie der typhonisch-caucasische, kann doch wohl nicht aus der zufälligen Klangähnlichkeit in einem mißverstandenen Gebirgsnamen herzuleiten sein. Es giebt bessere Argumente, deren auch Klausen eines erwähnt. Aus der sachlichen Zusammenstellung von Typhon und Caucasus, und durch das ausdrückliche Zeugniß des Pherecydes von Syros (zur Zeit der 58ten Olympiade) erhellt, daß das östliche Weltende für ein vulkanisches Gebirge galt. Nach einer der Scholien zum Apollonius (Scholia in Apoll. Rhod. ed. Schaefferi 1813 v. 1210 p. 524) sagt Pherecydes in der Theogonie: „daß Typhon, verfolgt, zum Caucasus floh und daß dort der Berg brannte (oder in Brand gerieth); daß Typhon von da nach Italien flüchtete, wo die Insel Pithecusa um ihn herumgeworfen (gleichsam herumgegossen) wurde." Die Insel Pithecusa ist aber die Insel Aenaria (jetzt Ischia), auf welcher der Epomeus (Epopon) nach Julius Obsequens 95 Jahre vor unsrer Zeitrechnung, dann unter Titus, unter Diocletian und zuletzt, nach der genauen Nachricht des Tolomeo Fiadoni von Lucca, zu derselben Zeit Priors von Santa Maria Novella, im Jahr 1302 Feuer und Laven auswarf. „Es ist seltsam", schreibt mir der tiefe Kenner des Alterthums, Böckh, „daß Pherecydes den Typhon vom Caucasus fliehen läßt, weil er brannte, da er selbst der Urheber der Erdbrände ist; daß aber sein Aufenthalt im Caucasus auf der Vorstellung vulkanischer Eruptionen daselbst beruht, scheint auch mir unläugbar." Apollonius der Rhodier, wo er (Apollon. Rhod. Argon. lib. II v. 1212–1217 ed. Beck) von der Geburt des colchischen Drachen spricht, versetzt ebenfalls in den Caucasus den Fels des Typhon, an welchem dieser von dem Blitze des

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 4. Stuttgart u. a., 1858, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos04_1858/513>, abgerufen am 15.08.2024.