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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 4. Stuttgart u. a., 1858.

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Anschwellung des Bodens an (s. mein Examen crit. de la Geogr. T. III. p. 150-152). Beide behaupten nach dem Zeugniß des Strabo (II p. 97): "daß der dem Gleicher unterliegende Erdstrich der höchste sei; weshalb er auch beregnet werde, da bei dem Eintreten der nach den Jahreszeiten wechselnden Winde sehr viel nördliches Gewölk an der Höhe anhinge." Von diesen beiden Meinungen über die Erhöhung des Bodens im nördlichen Asien (dem scythischen Europa des Herodot) und in der Aequatorial-Zone hat die erste, mit der dem Irrthum eigenthümlichen Kraft, fast zweitausend Jahre sich erhalten, und zu der geologischen Mythe von dem ununterbrochenen tartarischen Hochlande nördlich vom Himalaya Anlaß gegeben: während daß die andere Meinung nur gerechtfertigt werden konnte für eine in Asien außerhalb der Tropenzone belegene Gegend: für die colossale "Hoch- oder Gebirgsebene Meru", welche in den ältesten und edelsten Denkmälern indischer Poesie gefeiert wird (s. Wilson's Dict. Sanscrit and English 1832 p. 674, wo Meru als Hochebene gedeutet wird). Ich habe geglaubt in diese umständliche Entwickelung eingehen zu müssen, um die Hypothese des geistreichen Freret zu widerlegen, der, ohne Stellen griechischer Schriftsteller anzuführen, und nur auf eine einzige vom Tropenregen anspielend, jene Meinungen von localen Anschwellungen des Bodens auf Abplattung oder Verlängerung der Pole deutet. "Pour expliquer les pluyes", sagt Freret (Mem. de l'Acad. des Inscriptions T. XVIII. 1753 p. 112), "dans les regions equinoxiales que les conquetes d'Alexandre firent connoeitre, on imagina des courans qui poussoient les nuages des poles vers l'equateur, ou, au defaut des montagnes qui les arretoient, les nuages l'etaient par la hauteur generale de la Terre, dont la surface sous l'equateur se trouvoit plus eloignee du centre que sous les poles. Quelques physiciens donnerent au globe la figure d'un spheroide renfle sous l'equateur et aplati vers les poles. Au contraire dans l'opinion de ceux des anciens qui croyoient la terre alongee aux poles, le pays voisin des poles se trouvoit plus eloigne du centre que sous l'equateur." Ich kann kein Zeugniß des Alterthums auffinden, welches diese Behauptungen rechtfertigte. Im dritten Abschnitt des ersten Buches des Strabo (pag. 48 Casaub.) heißt es ausdrücklich: "Nachdem Eratosthenes gesagt hat, daß die ganze Erde kugelförmig
Anschwellung des Bodens an (s. mein Examen crit. de la Géogr. T. III. p. 150–152). Beide behaupten nach dem Zeugniß des Strabo (II p. 97): „daß der dem Gleicher unterliegende Erdstrich der höchste sei; weshalb er auch beregnet werde, da bei dem Eintreten der nach den Jahreszeiten wechselnden Winde sehr viel nördliches Gewölk an der Höhe anhinge." Von diesen beiden Meinungen über die Erhöhung des Bodens im nördlichen Asien (dem scythischen Europa des Herodot) und in der Aequatorial-Zone hat die erste, mit der dem Irrthum eigenthümlichen Kraft, fast zweitausend Jahre sich erhalten, und zu der geologischen Mythe von dem ununterbrochenen tartarischen Hochlande nördlich vom Himalaya Anlaß gegeben: während daß die andere Meinung nur gerechtfertigt werden konnte für eine in Asien außerhalb der Tropenzone belegene Gegend: für die colossale „Hoch- oder Gebirgsebene Meru", welche in den ältesten und edelsten Denkmälern indischer Poesie gefeiert wird (s. Wilson's Dict. Sanscrit and English 1832 p. 674, wo Meru als Hochebene gedeutet wird). Ich habe geglaubt in diese umständliche Entwickelung eingehen zu müssen, um die Hypothese des geistreichen Fréret zu widerlegen, der, ohne Stellen griechischer Schriftsteller anzuführen, und nur auf eine einzige vom Tropenregen anspielend, jene Meinungen von localen Anschwellungen des Bodens auf Abplattung oder Verlängerung der Pole deutet. »Pour expliquer les pluyes«, sagt Fréret (Mém. de l'Acad. des Inscriptions T. XVIII. 1753 p. 112), »dans les régions équinoxiales que les conquêtes d'Alexandre firent connoître, on imagina des courans qui poussoient les nuages des pôles vers l'équateur, où, au défaut des montagnes qui les arrêtoient, les nuages l'étaient par la hauteur générale de la Terre, dont la surface sous l'équateur se trouvoit plus éloignée du centre que sous les pôles. Quelques physiciens donnèrent au globe la figure d'un sphéroïde renflé sous l'équateur et aplati vers les pôles. Au contraire dans l'opinion de ceux des anciens qui croyoient la terre alongée aux pôles, le pays voisin des pôles se trouvoit plus éloigné du centre que sous l'équateur.« Ich kann kein Zeugniß des Alterthums auffinden, welches diese Behauptungen rechtfertigte. Im dritten Abschnitt des ersten Buches des Strabo (pag. 48 Casaub.) heißt es ausdrücklich: „Nachdem Eratosthenes gesagt hat, daß die ganze Erde kugelförmig
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[159/0164] ²³ Anschwellung des Bodens an (s. mein Examen crit. de la Géogr. T. III. p. 150–152). Beide behaupten nach dem Zeugniß des Strabo (II p. 97): „daß der dem Gleicher unterliegende Erdstrich der höchste sei; weshalb er auch beregnet werde, da bei dem Eintreten der nach den Jahreszeiten wechselnden Winde sehr viel nördliches Gewölk an der Höhe anhinge." Von diesen beiden Meinungen über die Erhöhung des Bodens im nördlichen Asien (dem scythischen Europa des Herodot) und in der Aequatorial-Zone hat die erste, mit der dem Irrthum eigenthümlichen Kraft, fast zweitausend Jahre sich erhalten, und zu der geologischen Mythe von dem ununterbrochenen tartarischen Hochlande nördlich vom Himalaya Anlaß gegeben: während daß die andere Meinung nur gerechtfertigt werden konnte für eine in Asien außerhalb der Tropenzone belegene Gegend: für die colossale „Hoch- oder Gebirgsebene Meru", welche in den ältesten und edelsten Denkmälern indischer Poesie gefeiert wird (s. Wilson's Dict. Sanscrit and English 1832 p. 674, wo Meru als Hochebene gedeutet wird). Ich habe geglaubt in diese umständliche Entwickelung eingehen zu müssen, um die Hypothese des geistreichen Fréret zu widerlegen, der, ohne Stellen griechischer Schriftsteller anzuführen, und nur auf eine einzige vom Tropenregen anspielend, jene Meinungen von localen Anschwellungen des Bodens auf Abplattung oder Verlängerung der Pole deutet. »Pour expliquer les pluyes«, sagt Fréret (Mém. de l'Acad. des Inscriptions T. XVIII. 1753 p. 112), »dans les régions équinoxiales que les conquêtes d'Alexandre firent connoître, on imagina des courans qui poussoient les nuages des pôles vers l'équateur, où, au défaut des montagnes qui les arrêtoient, les nuages l'étaient par la hauteur générale de la Terre, dont la surface sous l'équateur se trouvoit plus éloignée du centre que sous les pôles. Quelques physiciens donnèrent au globe la figure d'un sphéroïde renflé sous l'équateur et aplati vers les pôles. Au contraire dans l'opinion de ceux des anciens qui croyoient la terre alongée aux pôles, le pays voisin des pôles se trouvoit plus éloigné du centre que sous l'équateur.« Ich kann kein Zeugniß des Alterthums auffinden, welches diese Behauptungen rechtfertigte. Im dritten Abschnitt des ersten Buches des Strabo (pag. 48 Casaub.) heißt es ausdrücklich: „Nachdem Eratosthenes gesagt hat, daß die ganze Erde kugelförmig

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Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 4. Stuttgart u. a., 1858, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos04_1858/164>, abgerufen am 03.05.2024.