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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 4. Stuttgart u. a., 1858.

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wechsel, der den ewig wandelnden Schein des Werdens und der Vernichtung darbietet: strebt der ordnende Geist, bei Durchforschung des irdischen Reichs, oft mißmüthig nach einfachen Bewegungs-Gesetzen. Schon in der Physik des Aristoteles heißt es: "die Grundprincipien aller Natur sind das Veränderliche und die Bewegung; wer diese nicht anerkannt hat, erkennt auch die Natur nicht" (Phys. Auscult. III, 1 p. 200 Bekker); und, auf Stoff-Verschiedenheit, "Unterschied in der Wesenheit", hindeutend, nennt er Bewegung in Bezug auf die Kategorie des Qualitativen: Umwandlung, alloiosis: sehr verschieden von der bloßen Mischung, mexis, und einer Durchdringung, welche das Wiedertrennen nicht ausschließt (de gener. et corrupt. I, 1 p. 327).

Das ungleiche Steigen der Flüssigkeiten in Haarröhren; die in allen organischen Zellen so thätige Endosmose, welche wahrscheinlich eine Folge der Capillarität ist; die Verdichtung von Gas-Arten in den porösen Körpern (des Sauerstoff-Gases im Platinmohr, mit einem Drucke, der einer Kraft von mehr als 700 Atmosphären gleich ist; der Kohlensäure in Buchsbaum-Kohle, von der mehr als 1/3 an den Wänden der Zellen in tropfbar-flüssigem Zustand verdichtet wird); die chemische Wirkung der Contact-Substanzen, welche durch ihre Gegenwart (catalytisch) Verbindungen veranlassen oder zerstören, ohne selbst einen Antheil daran zu nehmen: -- alle diese Erscheinungen lehren, daß die Stoffe in unendlich kleinen Entfernungen eine Anziehung gegen einander ausüben, die von ihrer specifischen Wesenheit abhängt. Solche Anziehungen können nicht ohne, durch sie erregte, aber unserem Auge entschwindende, Bewegungen gedacht werden.

In welchem Verhältnisse die gegenseitige Molecular-

wechsel, der den ewig wandelnden Schein des Werdens und der Vernichtung darbietet: strebt der ordnende Geist, bei Durchforschung des irdischen Reichs, oft mißmüthig nach einfachen Bewegungs-Gesetzen. Schon in der Physik des Aristoteles heißt es: „die Grundprincipien aller Natur sind das Veränderliche und die Bewegung; wer diese nicht anerkannt hat, erkennt auch die Natur nicht“ (Phys. Auscult. III, 1 p. 200 Bekker); und, auf Stoff-Verschiedenheit, „Unterschied in der Wesenheit“, hindeutend, nennt er Bewegung in Bezug auf die Kategorie des Qualitativen: Umwandlung, ἀλλοίωσις: sehr verschieden von der bloßen Mischung, μέξις, und einer Durchdringung, welche das Wiedertrennen nicht ausschließt (de gener. et corrupt. I, 1 p. 327).

Das ungleiche Steigen der Flüssigkeiten in Haarröhren; die in allen organischen Zellen so thätige Endosmose, welche wahrscheinlich eine Folge der Capillarität ist; die Verdichtung von Gas-Arten in den porösen Körpern (des Sauerstoff-Gases im Platinmohr, mit einem Drucke, der einer Kraft von mehr als 700 Atmosphären gleich ist; der Kohlensäure in Buchsbaum-Kohle, von der mehr als ⅓ an den Wänden der Zellen in tropfbar-flüssigem Zustand verdichtet wird); die chemische Wirkung der Contact-Substanzen, welche durch ihre Gegenwart (catalytisch) Verbindungen veranlassen oder zerstören, ohne selbst einen Antheil daran zu nehmen: — alle diese Erscheinungen lehren, daß die Stoffe in unendlich kleinen Entfernungen eine Anziehung gegen einander ausüben, die von ihrer specifischen Wesenheit abhängt. Solche Anziehungen können nicht ohne, durch sie erregte, aber unserem Auge entschwindende, Bewegungen gedacht werden.

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[9/0014] wechsel, der den ewig wandelnden Schein des Werdens und der Vernichtung darbietet: strebt der ordnende Geist, bei Durchforschung des irdischen Reichs, oft mißmüthig nach einfachen Bewegungs-Gesetzen. Schon in der Physik des Aristoteles heißt es: „die Grundprincipien aller Natur sind das Veränderliche und die Bewegung; wer diese nicht anerkannt hat, erkennt auch die Natur nicht“ (Phys. Auscult. III, 1 p. 200 Bekker); und, auf Stoff-Verschiedenheit, „Unterschied in der Wesenheit“, hindeutend, nennt er Bewegung in Bezug auf die Kategorie des Qualitativen: Umwandlung, ἀλλοίωσις: sehr verschieden von der bloßen Mischung, μέξις, und einer Durchdringung, welche das Wiedertrennen nicht ausschließt (de gener. et corrupt. I, 1 p. 327). Das ungleiche Steigen der Flüssigkeiten in Haarröhren; die in allen organischen Zellen so thätige Endosmose, welche wahrscheinlich eine Folge der Capillarität ist; die Verdichtung von Gas-Arten in den porösen Körpern (des Sauerstoff-Gases im Platinmohr, mit einem Drucke, der einer Kraft von mehr als 700 Atmosphären gleich ist; der Kohlensäure in Buchsbaum-Kohle, von der mehr als ⅓ an den Wänden der Zellen in tropfbar-flüssigem Zustand verdichtet wird); die chemische Wirkung der Contact-Substanzen, welche durch ihre Gegenwart (catalytisch) Verbindungen veranlassen oder zerstören, ohne selbst einen Antheil daran zu nehmen: — alle diese Erscheinungen lehren, daß die Stoffe in unendlich kleinen Entfernungen eine Anziehung gegen einander ausüben, die von ihrer specifischen Wesenheit abhängt. Solche Anziehungen können nicht ohne, durch sie erregte, aber unserem Auge entschwindende, Bewegungen gedacht werden. In welchem Verhältnisse die gegenseitige Molecular-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 4. Stuttgart u. a., 1858, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos04_1858/14>, abgerufen am 24.04.2024.