Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.aller inneren Anregung in rhetorische Schwülstigkeit und trübe Sentimentalität ausartet. Naturbeschreibungen, wiederhole ich hier, können scharf umgrenzt und wissenschaftlich genau sein, ohne daß ihnen darum der belebende Hauch der Einbildungskraft entzogen bleibt. Das Dichterische muß aus dem geahndeten Zusammenhange des Sinnlichen mit dem Intellectuellen, aus dem Gefühl der Allverbreitung, der gegenseitigen Begrenzung und der Einheit des Naturlebens hervorgehen. Je erhabener die Gegenstände sind, desto sorgfältiger muß der äußere Schmuck der Rede vermieden werden. Die eigentliche Wirkung eines Naturgemäldes ist in seiner Composition begründet; jede geflissentliche Anregung von Seiten dessen, der es aufstellt, kann nur störend sein. Wer, mit den großen Werken des Alterthums vertraut, in sicherem Besitze des Reichthums seiner Sprache, einfach und individualisirend wiederzugeben weiß, was er durch eigene Anschauung empfangen, wird den Eindruck nicht verfehlen; er wird es um so weniger, als er, die äußere, ihn umgebende Natur und nicht seine eigene Stimmung schildernd, die Freiheit des Gefühls in anderen unbeschränkt läßt. Aber nicht die lebendige Beschreibung jener reich geschmückten Länder der Aequinoctial-Zone allein, in welcher Intensität des Lichts und feuchte Wärme die Entwicklung aller organischen Keime beschleunigen und erhöhen, hat in unseren Tagen dem gesammten Naturstudium einen mächtigen Reiz verschafft. Der geheime Zauber, durch den ein tiefer Blick in das organische Leben anregend wirkt, ist nicht auf die Tropenwelt allein beschränkt. Jeder Erdstrich bietet die Wunder fortschreitender Gestaltung und Gliederung, aller inneren Anregung in rhetorische Schwülstigkeit und trübe Sentimentalität ausartet. Naturbeschreibungen, wiederhole ich hier, können scharf umgrenzt und wissenschaftlich genau sein, ohne daß ihnen darum der belebende Hauch der Einbildungskraft entzogen bleibt. Das Dichterische muß aus dem geahndeten Zusammenhange des Sinnlichen mit dem Intellectuellen, aus dem Gefühl der Allverbreitung, der gegenseitigen Begrenzung und der Einheit des Naturlebens hervorgehen. Je erhabener die Gegenstände sind, desto sorgfältiger muß der äußere Schmuck der Rede vermieden werden. Die eigentliche Wirkung eines Naturgemäldes ist in seiner Composition begründet; jede geflissentliche Anregung von Seiten dessen, der es aufstellt, kann nur störend sein. Wer, mit den großen Werken des Alterthums vertraut, in sicherem Besitze des Reichthums seiner Sprache, einfach und individualisirend wiederzugeben weiß, was er durch eigene Anschauung empfangen, wird den Eindruck nicht verfehlen; er wird es um so weniger, als er, die äußere, ihn umgebende Natur und nicht seine eigene Stimmung schildernd, die Freiheit des Gefühls in anderen unbeschränkt läßt. Aber nicht die lebendige Beschreibung jener reich geschmückten Länder der Aequinoctial-Zone allein, in welcher Intensität des Lichts und feuchte Wärme die Entwicklung aller organischen Keime beschleunigen und erhöhen, hat in unseren Tagen dem gesammten Naturstudium einen mächtigen Reiz verschafft. Der geheime Zauber, durch den ein tiefer Blick in das organische Leben anregend wirkt, ist nicht auf die Tropenwelt allein beschränkt. Jeder Erdstrich bietet die Wunder fortschreitender Gestaltung und Gliederung, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0079" n="74"/> aller inneren Anregung in rhetorische Schwülstigkeit und trübe Sentimentalität ausartet.</p> <p>Naturbeschreibungen, wiederhole ich hier, können scharf umgrenzt und wissenschaftlich genau sein, ohne daß ihnen darum der belebende Hauch der Einbildungskraft entzogen bleibt. Das Dichterische muß aus dem geahndeten Zusammenhange des Sinnlichen mit dem Intellectuellen, aus dem Gefühl der Allverbreitung, der gegenseitigen Begrenzung und der Einheit des Naturlebens hervorgehen. Je erhabener die Gegenstände sind, desto sorgfältiger muß der äußere Schmuck der Rede vermieden werden. Die eigentliche Wirkung eines Naturgemäldes ist in seiner Composition begründet; jede geflissentliche Anregung von Seiten dessen, der es aufstellt, kann nur störend sein. Wer, mit den großen Werken des Alterthums vertraut, in sicherem Besitze des Reichthums seiner Sprache, einfach und individualisirend wiederzugeben weiß, was er durch eigene Anschauung empfangen, wird den Eindruck nicht verfehlen; er wird es um so weniger, als er, die äußere, ihn umgebende Natur und nicht seine eigene Stimmung schildernd, die Freiheit des Gefühls in anderen unbeschränkt läßt.</p> <p>Aber nicht die lebendige Beschreibung jener reich geschmückten Länder der Aequinoctial-Zone allein, in welcher Intensität des Lichts und feuchte Wärme die Entwicklung aller organischen Keime beschleunigen und erhöhen, hat in unseren Tagen dem gesammten Naturstudium einen mächtigen Reiz verschafft. Der geheime Zauber, durch den ein tiefer Blick in das organische Leben anregend wirkt, ist nicht auf die Tropenwelt allein beschränkt. Jeder Erdstrich bietet die Wunder fortschreitender Gestaltung und Gliederung, </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [74/0079]
aller inneren Anregung in rhetorische Schwülstigkeit und trübe Sentimentalität ausartet.
Naturbeschreibungen, wiederhole ich hier, können scharf umgrenzt und wissenschaftlich genau sein, ohne daß ihnen darum der belebende Hauch der Einbildungskraft entzogen bleibt. Das Dichterische muß aus dem geahndeten Zusammenhange des Sinnlichen mit dem Intellectuellen, aus dem Gefühl der Allverbreitung, der gegenseitigen Begrenzung und der Einheit des Naturlebens hervorgehen. Je erhabener die Gegenstände sind, desto sorgfältiger muß der äußere Schmuck der Rede vermieden werden. Die eigentliche Wirkung eines Naturgemäldes ist in seiner Composition begründet; jede geflissentliche Anregung von Seiten dessen, der es aufstellt, kann nur störend sein. Wer, mit den großen Werken des Alterthums vertraut, in sicherem Besitze des Reichthums seiner Sprache, einfach und individualisirend wiederzugeben weiß, was er durch eigene Anschauung empfangen, wird den Eindruck nicht verfehlen; er wird es um so weniger, als er, die äußere, ihn umgebende Natur und nicht seine eigene Stimmung schildernd, die Freiheit des Gefühls in anderen unbeschränkt läßt.
Aber nicht die lebendige Beschreibung jener reich geschmückten Länder der Aequinoctial-Zone allein, in welcher Intensität des Lichts und feuchte Wärme die Entwicklung aller organischen Keime beschleunigen und erhöhen, hat in unseren Tagen dem gesammten Naturstudium einen mächtigen Reiz verschafft. Der geheime Zauber, durch den ein tiefer Blick in das organische Leben anregend wirkt, ist nicht auf die Tropenwelt allein beschränkt. Jeder Erdstrich bietet die Wunder fortschreitender Gestaltung und Gliederung,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/79 |
Zitationshilfe: | Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/79>, abgerufen am 22.07.2024. |