Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.erzählt, wenn auch nicht beredter, doch anregender als der allegorische Schäferroman des Boccaccio und die zwei Arcadien von Sannazaro und Sidney, als Garcilasso's Salicio y Nemoroso oder die Diana des Jorge de Montemayor. Das elegisch idyllische Element war leider! nur zu lange vorherrschend in der italiänischen und in der spanischen Litteratur. Es bedurfte des lebensfrischen Bildes, in dem Cervantes die Abenteuer des Ritters aus der Mancha darstellte, um die Galatea desselben Schriftstellers zu verdunkeln. Der Hirtenroman, so sehr ihn auch bei den eben genannten großen Dichtern Schönheit der Sprache und Zartheit der Empfindungen veredelten, bleibt seiner Natur nach, wie die allegorischen Verstandeskünsteleien des Mittelalters, frostig und ermüdend. Individualität des Beobachteten führt allein zur Naturwahrheit in der Darstellung; auch hat man in den herrlichsten beschreibenden Stanzen87 des befreiten Jerusalem Eindrücke von der malerischen Umgebung des Dichters, Erinnerungen an die anmuthige Landschaft von Sorrent zu erkennen geglaubt. Jene individuelle Naturwahrheit, die aus eigner Anschauung entspringt, glänzt im reichsten Maaße in dem großen National-Epos der portugiesischen Litteratur. Es weht wie ein indischer Blüthenduft durch das ganze unter dem Tropen-Himmel (in der Felsgrotte bei Macao und in den Molukken) geschriebene Gedicht. Mir geziemt es nicht einen kühnen Ausspruch Friedrich Schlegel's zu bekräftigen, nach welchem die Lusiaden des Camoens "an Farbe und Fülle der Phantasie den Ariost bei weitem übertreffen"88; aber als Naturbeobachter darf ich wohl hinzufügen, daß in den beschreibenden Theilen der Lusiaden erzählt, wenn auch nicht beredter, doch anregender als der allegorische Schäferroman des Boccaccio und die zwei Arcadien von Sannazaro und Sidney, als Garcilasso's Salicio y Nemoroso oder die Diana des Jorge de Montemayor. Das elegisch idyllische Element war leider! nur zu lange vorherrschend in der italiänischen und in der spanischen Litteratur. Es bedurfte des lebensfrischen Bildes, in dem Cervantes die Abenteuer des Ritters aus der Mancha darstellte, um die Galatea desselben Schriftstellers zu verdunkeln. Der Hirtenroman, so sehr ihn auch bei den eben genannten großen Dichtern Schönheit der Sprache und Zartheit der Empfindungen veredelten, bleibt seiner Natur nach, wie die allegorischen Verstandeskünsteleien des Mittelalters, frostig und ermüdend. Individualität des Beobachteten führt allein zur Naturwahrheit in der Darstellung; auch hat man in den herrlichsten beschreibenden Stanzen87 des befreiten Jerusalem Eindrücke von der malerischen Umgebung des Dichters, Erinnerungen an die anmuthige Landschaft von Sorrent zu erkennen geglaubt. Jene individuelle Naturwahrheit, die aus eigner Anschauung entspringt, glänzt im reichsten Maaße in dem großen National-Epos der portugiesischen Litteratur. Es weht wie ein indischer Blüthenduft durch das ganze unter dem Tropen-Himmel (in der Felsgrotte bei Macao und in den Molukken) geschriebene Gedicht. Mir geziemt es nicht einen kühnen Ausspruch Friedrich Schlegel's zu bekräftigen, nach welchem die Lusiaden des Camoens „an Farbe und Fülle der Phantasie den Ariost bei weitem übertreffen"88; aber als Naturbeobachter darf ich wohl hinzufügen, daß in den beschreibenden Theilen der Lusiaden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0063" n="58"/> erzählt, wenn auch nicht beredter, doch anregender als der allegorische Schäferroman des Boccaccio und die zwei Arcadien von Sannazaro und Sidney, als Garcilasso's <hi rendition="#g">Salicio y Nemoroso</hi> oder die Diana des Jorge de Montemayor. Das elegisch idyllische Element war leider! nur zu lange vorherrschend in der italiänischen und in der spanischen Litteratur. Es bedurfte des lebensfrischen Bildes, in dem Cervantes die Abenteuer des Ritters aus der Mancha darstellte, um die Galatea desselben Schriftstellers zu verdunkeln. Der Hirtenroman, so sehr ihn auch bei den eben genannten großen Dichtern Schönheit der Sprache und Zartheit der Empfindungen veredelten, bleibt seiner Natur nach, wie die allegorischen Verstandeskünsteleien des Mittelalters, frostig und ermüdend. Individualität des Beobachteten führt allein zur Naturwahrheit in der Darstellung; auch hat man in den herrlichsten beschreibenden Stanzen<note xml:id="ftn86" next="#ftn86-text" place="end" n="87"/> des <hi rendition="#g">befreiten Jerusalem</hi> Eindrücke von der malerischen Umgebung des Dichters, Erinnerungen an die anmuthige Landschaft von Sorrent zu erkennen geglaubt.</p> <p>Jene individuelle Naturwahrheit, die aus eigner Anschauung entspringt, glänzt im reichsten Maaße in dem großen National-Epos der portugiesischen Litteratur. Es weht wie ein indischer Blüthenduft durch das ganze unter dem Tropen-Himmel (in der Felsgrotte bei Macao und in den Molukken) geschriebene Gedicht. 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erzählt, wenn auch nicht beredter, doch anregender als der allegorische Schäferroman des Boccaccio und die zwei Arcadien von Sannazaro und Sidney, als Garcilasso's Salicio y Nemoroso oder die Diana des Jorge de Montemayor. Das elegisch idyllische Element war leider! nur zu lange vorherrschend in der italiänischen und in der spanischen Litteratur. Es bedurfte des lebensfrischen Bildes, in dem Cervantes die Abenteuer des Ritters aus der Mancha darstellte, um die Galatea desselben Schriftstellers zu verdunkeln. Der Hirtenroman, so sehr ihn auch bei den eben genannten großen Dichtern Schönheit der Sprache und Zartheit der Empfindungen veredelten, bleibt seiner Natur nach, wie die allegorischen Verstandeskünsteleien des Mittelalters, frostig und ermüdend. Individualität des Beobachteten führt allein zur Naturwahrheit in der Darstellung; auch hat man in den herrlichsten beschreibenden Stanzen
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des befreiten Jerusalem Eindrücke von der malerischen Umgebung des Dichters, Erinnerungen an die anmuthige Landschaft von Sorrent zu erkennen geglaubt.
Jene individuelle Naturwahrheit, die aus eigner Anschauung entspringt, glänzt im reichsten Maaße in dem großen National-Epos der portugiesischen Litteratur. Es weht wie ein indischer Blüthenduft durch das ganze unter dem Tropen-Himmel (in der Felsgrotte bei Macao und in den Molukken) geschriebene Gedicht. Mir geziemt es nicht einen kühnen Ausspruch Friedrich Schlegel's zu bekräftigen, nach welchem die Lusiaden des Camoens „an Farbe und Fülle der Phantasie den Ariost bei weitem übertreffen"
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; aber als Naturbeobachter darf ich wohl hinzufügen, daß in den beschreibenden Theilen der Lusiaden
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