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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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Zahlenangabe der Jahre oder der Vorliebe der Fremden für Amerigo zugeschrieben; alles ist absichtsvoller Betrug, dessen Amerigo selbst sich schuldig gemacht (de industria lo hizo .... persistio en el enganno ... de falsedad esta claramente convencido). Bartholome de las Casas bemüht sich noch an beiden Stellen dem Amerigo speciell nachzuweisen, daß er in seinen Berichten die Reihefolge der Ereignisse der zwei ersten Reisen verfälscht, manches der ersten Reise zugetheilt habe, was auf der zweiten geschehen, und umgekehrt. Auffallend genug ist mir, daß der Ankläger nicht gefühlt zu haben scheint, wie sehr das Gewicht seiner Anklage dadurch vermindert wird, daß er von der entgegengesetzten Meinung und von der Gleichgültigkeit dessen spricht, der das lebhafteste Interesse hatte den Amerigo Vespucci anzugreifen, wenn er ihn für schuldig und seinem Vater feindlich gehalten hätte. "Ich muß mich wundern", sagt las Casas (cap. 164), "daß Hernando Colon, ein Mann von großer Einsicht, der, wie ich es bestimmt weiß, die Reiseberichte des Amerigo in Händen hatte, gar nicht darin Betrug und Ungerechtigkeit gegen den Admiral bemerkt hat." -- Da ich vor wenigen Monaten von neuem Gelegenheit gehabt das seltene Manuscript von Bartholome de las Casas zu untersuchen, so habe ich über einen so wichtigen und bisher so unvollständig behandelten historischen Gegenstand in dieser langen Anmerkung dasjenige einschalten wollen, was ich im Jahr 1839 in meinem Examen critique T. V. p. 178-217 noch nicht benutzt hatte. Die Ueberzeugung, welche ich damals äußerte (p. 217 und 224), ist unerschüttert geblieben: "Quand la denomination d'un grand continent, generalement adoptee et consacree par l'usage de plusieurs siecles, se presente comme un monument de l'injustice des hommes, il est naturel d'attribuer d'abord la cause de cette injustice a celui qui semblait le plus interesse a la commettre. L'etude des documens a prouve qu'aucun fait certain n'appuie cette supposition, et que le nom d' Amerique a pris naissance dans un pays eloigne (en France et en Allemagne), par un concours d'incidens qui paraissent ecarter jusqu'au soupcon d'une influence de la part de Vespuce. C'est la que s'arrete la critique historique. Le champ sans bornes des causes inconnues, ou des combinaisons morales possibles, n'est pas du domaine de l'histoire positive. Un homme qui pendant une longue carriere a joui de l'estime des plus
Zahlenangabe der Jahre oder der Vorliebe der Fremden für Amerigo zugeschrieben; alles ist absichtsvoller Betrug, dessen Amerigo selbst sich schuldig gemacht (de industria lo hizo .... persistió en el engaño ... de falsedad està claramente convencido). Bartholomé de las Casas bemüht sich noch an beiden Stellen dem Amerigo speciell nachzuweisen, daß er in seinen Berichten die Reihefolge der Ereignisse der zwei ersten Reisen verfälscht, manches der ersten Reise zugetheilt habe, was auf der zweiten geschehen, und umgekehrt. Auffallend genug ist mir, daß der Ankläger nicht gefühlt zu haben scheint, wie sehr das Gewicht seiner Anklage dadurch vermindert wird, daß er von der entgegengesetzten Meinung und von der Gleichgültigkeit dessen spricht, der das lebhafteste Interesse hatte den Amerigo Vespucci anzugreifen, wenn er ihn für schuldig und seinem Vater feindlich gehalten hätte. „Ich muß mich wundern", sagt las Casas (cap. 164), „daß Hernando Colon, ein Mann von großer Einsicht, der, wie ich es bestimmt weiß, die Reiseberichte des Amerigo in Händen hatte, gar nicht darin Betrug und Ungerechtigkeit gegen den Admiral bemerkt hat." — Da ich vor wenigen Monaten von neuem Gelegenheit gehabt das seltene Manuscript von Bartholomé de las Casas zu untersuchen, so habe ich über einen so wichtigen und bisher so unvollständig behandelten historischen Gegenstand in dieser langen Anmerkung dasjenige einschalten wollen, was ich im Jahr 1839 in meinem Examen critique T. V. p. 178–217 noch nicht benutzt hatte. Die Ueberzeugung, welche ich damals äußerte (p. 217 und 224), ist unerschüttert geblieben: »Quand la dénomination d'un grand continent, généralement adoptée et consacrée par l'usage de plusieurs siècles, se présente comme un monument de l'injustice des hommes, il est naturel d'attribuer d'abord la cause de cette injustice à celui qui semblait le plus intéressé à la commettre. L'étude des documens a prouvé qu'aucun fait certain n'appuie cette supposition, et que le nom d' Amèrique a pris naissance dans un pays éloigné (en France et en Allemagne), par un concours d'incidens qui paraissent écarter jusqu'au soupçon d'une influence de la part de Vespuce. C'est là que s'arrête la critique historique. Le champ sans bornes des causes inconnues, ou des combinaisons morales possibles, n'est pas du domaine de l'histoire positive. Un homme qui pendant une longue carrière a joui de l'estime des plus
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Zahlenangabe der Jahre oder der Vorliebe der Fremden für Amerigo zugeschrieben; alles ist absichtsvoller Betrug, dessen Amerigo selbst sich schuldig gemacht (de industria lo hizo .... persistió en el engaño ... de falsedad està claramente convencido). Bartholomé de las Casas bemüht sich noch an beiden Stellen dem Amerigo speciell nachzuweisen, daß er in seinen Berichten die Reihefolge der Ereignisse der zwei ersten Reisen verfälscht, manches der ersten Reise zugetheilt habe, was auf der zweiten geschehen, und umgekehrt. Auffallend genug ist mir, daß der Ankläger nicht gefühlt zu haben scheint, wie sehr das Gewicht seiner Anklage dadurch vermindert wird, daß er von der entgegengesetzten Meinung und von der Gleichgültigkeit dessen spricht, der das lebhafteste Interesse hatte den Amerigo Vespucci anzugreifen, wenn er ihn für schuldig und seinem Vater feindlich gehalten hätte. &#x201E;Ich muß mich wundern", sagt las Casas (cap. 164), &#x201E;daß Hernando Colon, ein Mann von großer Einsicht, der, wie ich es bestimmt weiß, die Reiseberichte des Amerigo in Händen hatte, gar nicht darin Betrug und Ungerechtigkeit gegen den Admiral bemerkt hat." &#x2014; Da ich vor wenigen Monaten von neuem Gelegenheit gehabt das seltene Manuscript von Bartholomé de las Casas zu untersuchen, so habe ich über einen so wichtigen und bisher so unvollständig behandelten historischen Gegenstand in dieser langen Anmerkung dasjenige einschalten wollen, was ich im Jahr 1839 in meinem <hi rendition="#g">Examen critique</hi> T. V. p. 178&#x2013;217 noch nicht benutzt hatte. Die Ueberzeugung, welche ich damals äußerte (p. 217 und 224), ist unerschüttert geblieben: »Quand la dénomination d'un grand continent, généralement adoptée et consacrée par l'usage de plusieurs siècles, se présente comme un monument de l'injustice des hommes, il est naturel d'attribuer d'abord la cause de cette injustice à celui qui semblait le plus intéressé à la commettre. L'étude des documens a prouvé qu'aucun fait certain n'appuie cette supposition, et que le nom d' <hi rendition="#g">Amèrique</hi> a pris naissance dans un pays éloigné (en France et en Allemagne), par un concours d'incidens qui paraissent écarter jusqu'au soupçon d'une influence de la part de Vespuce. C'est là que s'arrête la critique historique. Le champ sans bornes des causes <hi rendition="#g">inconnues,</hi> ou des combinaisons morales <hi rendition="#g">possibles,</hi> n'est pas du domaine de l'histoire positive. Un homme qui pendant une longue carrière a joui de l'estime des plus
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[495/0500] ¹⁷ Zahlenangabe der Jahre oder der Vorliebe der Fremden für Amerigo zugeschrieben; alles ist absichtsvoller Betrug, dessen Amerigo selbst sich schuldig gemacht (de industria lo hizo .... persistió en el engaño ... de falsedad està claramente convencido). Bartholomé de las Casas bemüht sich noch an beiden Stellen dem Amerigo speciell nachzuweisen, daß er in seinen Berichten die Reihefolge der Ereignisse der zwei ersten Reisen verfälscht, manches der ersten Reise zugetheilt habe, was auf der zweiten geschehen, und umgekehrt. Auffallend genug ist mir, daß der Ankläger nicht gefühlt zu haben scheint, wie sehr das Gewicht seiner Anklage dadurch vermindert wird, daß er von der entgegengesetzten Meinung und von der Gleichgültigkeit dessen spricht, der das lebhafteste Interesse hatte den Amerigo Vespucci anzugreifen, wenn er ihn für schuldig und seinem Vater feindlich gehalten hätte. „Ich muß mich wundern", sagt las Casas (cap. 164), „daß Hernando Colon, ein Mann von großer Einsicht, der, wie ich es bestimmt weiß, die Reiseberichte des Amerigo in Händen hatte, gar nicht darin Betrug und Ungerechtigkeit gegen den Admiral bemerkt hat." — Da ich vor wenigen Monaten von neuem Gelegenheit gehabt das seltene Manuscript von Bartholomé de las Casas zu untersuchen, so habe ich über einen so wichtigen und bisher so unvollständig behandelten historischen Gegenstand in dieser langen Anmerkung dasjenige einschalten wollen, was ich im Jahr 1839 in meinem Examen critique T. V. p. 178–217 noch nicht benutzt hatte. Die Ueberzeugung, welche ich damals äußerte (p. 217 und 224), ist unerschüttert geblieben: »Quand la dénomination d'un grand continent, généralement adoptée et consacrée par l'usage de plusieurs siècles, se présente comme un monument de l'injustice des hommes, il est naturel d'attribuer d'abord la cause de cette injustice à celui qui semblait le plus intéressé à la commettre. L'étude des documens a prouvé qu'aucun fait certain n'appuie cette supposition, et que le nom d' Amèrique a pris naissance dans un pays éloigné (en France et en Allemagne), par un concours d'incidens qui paraissent écarter jusqu'au soupçon d'une influence de la part de Vespuce. C'est là que s'arrête la critique historique. Le champ sans bornes des causes inconnues, ou des combinaisons morales possibles, n'est pas du domaine de l'histoire positive. Un homme qui pendant une longue carrière a joui de l'estime des plus

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/500>, abgerufen am 10.05.2024.