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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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in dem Glanz der lyrischen Poesie unter David, in der Seher- und Prophetenschule, deren hohe Begeisterung, der Vergangenheit fast entfremdet, ahndungsvoll auf die Zukunft gerichtet ist.

Die hebräische Dichtungsweise bietet den Bewohnern des Abendlandes bei ihrer inneren, erhabnen Größe noch den besonderen Reiz, daß sie mit den localen Glaubens-Erinnerungen der Anhänger von drei weitverbreiteten Religionen, der mosaischen, christlichen und mohammedanischen, vielfach verwebt ist. Durch Missionen, welche der Handelsgeist und die Eroberungssucht schiffahrender Nationen begünstigen, sind geographische Namen und Naturschilderungen des Morgenlandes, wie sie die Schriften des alten Bundes uns aufbewahrt, tief in die Wälder der Neuen Welt und in die Inseln der Südsee eingedrungen.

Es ist ein charakteristisches Kennzeichen der Naturpoesie der Hebräer, daß, als Reflex des Monotheismus, sie stets das Ganze des Weltalls in seiner Einheit umfaßt, sowohl das Erdenleben als die leuchtenden Himmelsräume. Sie weilt seltener bei dem Einzelnen der Erscheinung, sondern erfreut sich der Anschauung großer Massen. Die Natur wird nicht geschildert als ein für sich Bestehendes, durch eigene Schönheit Verherrlichtes; dem hebräischen Sänger erscheint sie immer in Beziehung auf eine höher waltende geistige Macht. Die Natur ist ihm ein Geschaffenes, Angeordnetes, der lebendige Ausdruck der Allgegenwart Gottes in den Werken der Sinnenwelt. Deshalb ist die lyrische Dichtung der Hebräer schon ihrem Inhalte nach großartig und von feierlichem Ernst, sie ist trübe und sehnsuchtsvoll, wenn sie die irdischen Zustände der Menschheit

in dem Glanz der lyrischen Poesie unter David, in der Seher- und Prophetenschule, deren hohe Begeisterung, der Vergangenheit fast entfremdet, ahndungsvoll auf die Zukunft gerichtet ist.

Die hebräische Dichtungsweise bietet den Bewohnern des Abendlandes bei ihrer inneren, erhabnen Größe noch den besonderen Reiz, daß sie mit den localen Glaubens-Erinnerungen der Anhänger von drei weitverbreiteten Religionen, der mosaischen, christlichen und mohammedanischen, vielfach verwebt ist. Durch Missionen, welche der Handelsgeist und die Eroberungssucht schiffahrender Nationen begünstigen, sind geographische Namen und Naturschilderungen des Morgenlandes, wie sie die Schriften des alten Bundes uns aufbewahrt, tief in die Wälder der Neuen Welt und in die Inseln der Südsee eingedrungen.

Es ist ein charakteristisches Kennzeichen der Naturpoesie der Hebräer, daß, als Reflex des Monotheismus, sie stets das Ganze des Weltalls in seiner Einheit umfaßt, sowohl das Erdenleben als die leuchtenden Himmelsräume. Sie weilt seltener bei dem Einzelnen der Erscheinung, sondern erfreut sich der Anschauung großer Massen. Die Natur wird nicht geschildert als ein für sich Bestehendes, durch eigene Schönheit Verherrlichtes; dem hebräischen Sänger erscheint sie immer in Beziehung auf eine höher waltende geistige Macht. Die Natur ist ihm ein Geschaffenes, Angeordnetes, der lebendige Ausdruck der Allgegenwart Gottes in den Werken der Sinnenwelt. Deshalb ist die lyrische Dichtung der Hebräer schon ihrem Inhalte nach großartig und von feierlichem Ernst, sie ist trübe und sehnsuchtsvoll, wenn sie die irdischen Zustände der Menschheit

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/50>, abgerufen am 19.04.2024.