Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

Welt-Mittelpunkt (centrum mundi), die Sonne, aus der Schwerkraft in kugelförmigen Körpern geschlossen, scheint dem großen Manne vorgeschwebt zu haben, wie eine denkwürdige Stelle26 des 9ten Capitels im ersten Buche der Revolutionen beweist.

Wenn wir die verschiedenen Entwickelungsstufen kosmischer Anschauungen durchlaufen, so sehen wir in den frühesten Zeiten Ahndungen von Massen-Anziehung und Centrifugalkräften. Jacobi in seinen, leider noch handschriftlichen Untersuchungen über das mathematische Wissen der Griechen verweilt mit Recht bei der "tiefen Naturbetrachtung des Anaxagoras, von dem wir nicht ohne Staunen vernehmen, daß der Mond27, wenn seine Schwungkraft aufhörte, zur Erde fallen würde, wie der Stein in der Schleuder." Von ähnlichen Aeußerungen des Klazomeniers und des Diogenes von Apollonia über "Nachlassung im Umschwunge" habe ich bei Gelegenheit der Aerolithenfälle schon früher gehandelt.28 Von der Ziehkraft, welche das Centrum der Erde ausübt gegen alle schwere Massen, die man von demselben trennt, hatte allerdings Plato einen klareren Begriff als Aristoteles: der zwar, wie Hipparch, die Beschleunigung der Körper im Fall kannte, ohne jedoch ihren Grund richtig aufzufassen. Im Plato und bei Democritus wird die Anziehung auf die Affinität, das Streben gleichartiger elementarer Stoffe beschränkt.29 Nur der Alexandriner Johannes Philoponus, ein Schüler des Ammonius Hermeae, wahrscheinlich erst aus dem 6ten Jahrhundert, schreibt die Bewegung der Weltkörper einem primitiven Stoße zu, und verbindet mit dieser Idee die des Falles, des Strebens aller schweren und leichten Stoffe gegen die

Welt-Mittelpunkt (centrum mundi), die Sonne, aus der Schwerkraft in kugelförmigen Körpern geschlossen, scheint dem großen Manne vorgeschwebt zu haben, wie eine denkwürdige Stelle26 des 9ten Capitels im ersten Buche der Revolutionen beweist.

Wenn wir die verschiedenen Entwickelungsstufen kosmischer Anschauungen durchlaufen, so sehen wir in den frühesten Zeiten Ahndungen von Massen-Anziehung und Centrifugalkräften. Jacobi in seinen, leider noch handschriftlichen Untersuchungen über das mathematische Wissen der Griechen verweilt mit Recht bei der „tiefen Naturbetrachtung des Anaxagoras, von dem wir nicht ohne Staunen vernehmen, daß der Mond27, wenn seine Schwungkraft aufhörte, zur Erde fallen würde, wie der Stein in der Schleuder." Von ähnlichen Aeußerungen des Klazomeniers und des Diogenes von Apollonia über „Nachlassung im Umschwunge" habe ich bei Gelegenheit der Aërolithenfälle schon früher gehandelt.28 Von der Ziehkraft, welche das Centrum der Erde ausübt gegen alle schwere Massen, die man von demselben trennt, hatte allerdings Plato einen klareren Begriff als Aristoteles: der zwar, wie Hipparch, die Beschleunigung der Körper im Fall kannte, ohne jedoch ihren Grund richtig aufzufassen. Im Plato und bei Democritus wird die Anziehung auf die Affinität, das Streben gleichartiger elementarer Stoffe beschränkt.29 Nur der Alexandriner Johannes Philoponus, ein Schüler des Ammonius Hermeae, wahrscheinlich erst aus dem 6ten Jahrhundert, schreibt die Bewegung der Weltkörper einem primitiven Stoße zu, und verbindet mit dieser Idee die des Falles, des Strebens aller schweren und leichten Stoffe gegen die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0353" n="348"/>
Welt-Mittelpunkt (centrum mundi), die Sonne, aus der Schwerkraft in kugelförmigen Körpern geschlossen, scheint dem großen Manne vorgeschwebt zu haben, wie eine denkwürdige Stelle<note xml:id="ftn465" next="ftn465-text" place="end" n="26"/> des 9ten Capitels im ersten Buche der <hi rendition="#g">Revolutionen</hi> beweist.</p>
              <p>Wenn wir die verschiedenen Entwickelungsstufen kosmischer Anschauungen durchlaufen, so sehen wir in den frühesten Zeiten Ahndungen von Massen-Anziehung und Centrifugalkräften. Jacobi in seinen, leider noch handschriftlichen Untersuchungen über das mathematische Wissen der Griechen verweilt mit Recht bei der &#x201E;tiefen Naturbetrachtung des Anaxagoras, von dem wir nicht ohne Staunen vernehmen, daß der Mond<note xml:id="ftn466" next="ftn466-text" place="end" n="27"/>, wenn seine Schwungkraft aufhörte, zur Erde fallen würde, wie der Stein in der Schleuder." Von ähnlichen Aeußerungen des Klazomeniers und des Diogenes von Apollonia über &#x201E;Nachlassung im Umschwunge" habe ich bei Gelegenheit der Aërolithenfälle schon früher gehandelt.<note xml:id="ftn467" next="ftn467-text" place="end" n="28"/> Von der <hi rendition="#g">Ziehkraft,</hi> welche das Centrum der Erde ausübt gegen alle schwere Massen, die man von demselben trennt, hatte allerdings Plato einen klareren Begriff als Aristoteles: der zwar, wie Hipparch, die Beschleunigung der Körper im Fall kannte, ohne jedoch ihren Grund richtig aufzufassen. Im Plato und bei Democritus wird die <hi rendition="#g">Anziehung</hi> auf die Affinität, das Streben <hi rendition="#g">gleichartiger</hi> elementarer Stoffe beschränkt.<note xml:id="ftn468" next="ftn468-text" place="end" n="29"/> Nur der Alexandriner Johannes Philoponus, ein Schüler des Ammonius Hermeae, wahrscheinlich erst aus dem 6ten Jahrhundert, schreibt die Bewegung der Weltkörper einem primitiven Stoße zu, und verbindet mit dieser Idee die des Falles, des Strebens aller schweren und leichten Stoffe gegen die
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[348/0353] Welt-Mittelpunkt (centrum mundi), die Sonne, aus der Schwerkraft in kugelförmigen Körpern geschlossen, scheint dem großen Manne vorgeschwebt zu haben, wie eine denkwürdige Stelle ²⁶ des 9ten Capitels im ersten Buche der Revolutionen beweist. Wenn wir die verschiedenen Entwickelungsstufen kosmischer Anschauungen durchlaufen, so sehen wir in den frühesten Zeiten Ahndungen von Massen-Anziehung und Centrifugalkräften. Jacobi in seinen, leider noch handschriftlichen Untersuchungen über das mathematische Wissen der Griechen verweilt mit Recht bei der „tiefen Naturbetrachtung des Anaxagoras, von dem wir nicht ohne Staunen vernehmen, daß der Mond ²⁷ , wenn seine Schwungkraft aufhörte, zur Erde fallen würde, wie der Stein in der Schleuder." Von ähnlichen Aeußerungen des Klazomeniers und des Diogenes von Apollonia über „Nachlassung im Umschwunge" habe ich bei Gelegenheit der Aërolithenfälle schon früher gehandelt. ²⁸ Von der Ziehkraft, welche das Centrum der Erde ausübt gegen alle schwere Massen, die man von demselben trennt, hatte allerdings Plato einen klareren Begriff als Aristoteles: der zwar, wie Hipparch, die Beschleunigung der Körper im Fall kannte, ohne jedoch ihren Grund richtig aufzufassen. Im Plato und bei Democritus wird die Anziehung auf die Affinität, das Streben gleichartiger elementarer Stoffe beschränkt. ²⁹ Nur der Alexandriner Johannes Philoponus, ein Schüler des Ammonius Hermeae, wahrscheinlich erst aus dem 6ten Jahrhundert, schreibt die Bewegung der Weltkörper einem primitiven Stoße zu, und verbindet mit dieser Idee die des Falles, des Strebens aller schweren und leichten Stoffe gegen die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/353
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/353>, abgerufen am 12.05.2024.