Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

stehen. Der Verfasser des Vorberichts ist, wie Gassendi in seinem Leben des großen Mannes auf das bestimmteste sagt, ein damals in Nürnberg lebender Mathematiker, Andreas Osiander, der mit Schoner den Druck des Buches de Revolutionibus besorgte und, ob er gleich keines biblischen Scrupels ausdrücklich Erwähnung thut, es doch für rathsam hielt die neuen Ansichten eine Hypothese und nicht, wie Copernicus, eine erwiesene Wahrheit zu nennen.

Der Gründer unseres jetzigen Weltsystems (die wichtigsten Theile desselben, die großartigsten Züge des Weltgemäldes gehören allerdings ihm) war durch seinen Muth und die Zuversicht, mit welcher er auftrat, fast noch ausgezeichneter als durch sein Wissen. Er verdiente in hohem Grade das schöne Lob, das ihm Kepler giebt, wenn er ihn in der Einleitung zu den Rudolphinischen Tafeln "den Mann freien Geistes" nennt; "vir fuit maximo ingenio et, quod in hoc exercitio (in der Bekämpfung der Vorurtheile) magni momenti est, animo liber." Da, wo Copernicus in der Zueignung an den Pabst die Entstehung seines Werkes schildert, steht er nicht an, die auch unter den Theologen allgemein verbreitete Meinung von der Unbeweglichkeit und der Centralstellung der Erde ein "absurdes acroama" zu nennen und die Stupidität derer anzugreifen, welche einem so irrigen Glauben anhingen. "Wenn etwa leere Schwätzer (mataiologoi), alles mathematischen Wissens unkundig, sich doch ein Urtheil über sein Werk anmaßen wollten durch absichtliche Verdrehung irgend einer Stelle der heiligen Schrift (propter aliquem locum scripturae male ad suum propositum detortum), so werde er einen solchen verwegenen Angriff verachten! Es sei ja

stehen. Der Verfasser des Vorberichts ist, wie Gassendi in seinem Leben des großen Mannes auf das bestimmteste sagt, ein damals in Nürnberg lebender Mathematiker, Andreas Osiander, der mit Schoner den Druck des Buches de Revolutionibus besorgte und, ob er gleich keines biblischen Scrupels ausdrücklich Erwähnung thut, es doch für rathsam hielt die neuen Ansichten eine Hypothese und nicht, wie Copernicus, eine erwiesene Wahrheit zu nennen.

Der Gründer unseres jetzigen Weltsystems (die wichtigsten Theile desselben, die großartigsten Züge des Weltgemäldes gehören allerdings ihm) war durch seinen Muth und die Zuversicht, mit welcher er auftrat, fast noch ausgezeichneter als durch sein Wissen. Er verdiente in hohem Grade das schöne Lob, das ihm Kepler giebt, wenn er ihn in der Einleitung zu den Rudolphinischen Tafeln „den Mann freien Geistes" nennt; »vir fuit maximo ingenio et, quod in hoc exercitio (in der Bekämpfung der Vorurtheile) magni momenti est, animo liber.« Da, wo Copernicus in der Zueignung an den Pabst die Entstehung seines Werkes schildert, steht er nicht an, die auch unter den Theologen allgemein verbreitete Meinung von der Unbeweglichkeit und der Centralstellung der Erde ein „absurdes acroama" zu nennen und die Stupidität derer anzugreifen, welche einem so irrigen Glauben anhingen. „Wenn etwa leere Schwätzer (ματαιολόγοι), alles mathematischen Wissens unkundig, sich doch ein Urtheil über sein Werk anmaßen wollten durch absichtliche Verdrehung irgend einer Stelle der heiligen Schrift (propter aliquem locum scripturae male ad suum propositum detortum), so werde er einen solchen verwegenen Angriff verachten! Es sei ja

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0351" n="346"/>
stehen. Der Verfasser des Vorberichts ist, wie Gassendi in seinem Leben des großen Mannes auf das bestimmteste sagt, ein damals in Nürnberg lebender Mathematiker, Andreas Osiander, der mit Schoner den Druck des Buches <hi rendition="#g">de Revolutionibus</hi> besorgte und, ob er gleich keines biblischen Scrupels ausdrücklich Erwähnung thut, es doch für rathsam hielt die neuen Ansichten eine Hypothese und nicht, wie Copernicus, eine erwiesene Wahrheit zu nennen.</p>
              <p>Der Gründer unseres jetzigen Weltsystems (die wichtigsten Theile desselben, die großartigsten Züge des Weltgemäldes gehören allerdings ihm) war durch seinen Muth und die Zuversicht, mit welcher er auftrat, fast noch ausgezeichneter als durch sein Wissen. Er verdiente in hohem Grade das schöne Lob, das ihm Kepler giebt, wenn er ihn in der Einleitung zu den <hi rendition="#g">Rudolphinischen Tafeln</hi> &#x201E;den Mann freien Geistes" nennt; »vir fuit maximo ingenio et, quod in hoc exercitio (in der Bekämpfung der Vorurtheile) magni momenti est, <hi rendition="#g">animo liber.«</hi> Da, wo Copernicus in der Zueignung an den Pabst die Entstehung seines Werkes schildert, steht er nicht an, die auch unter den Theologen allgemein verbreitete Meinung von der Unbeweglichkeit und der Centralstellung der Erde ein &#x201E;absurdes acroama" zu nennen und die Stupidität derer anzugreifen, welche einem so irrigen Glauben anhingen. &#x201E;Wenn etwa leere Schwätzer (<hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">&#x03BC;&#x03B1;&#x03C4;&#x03B1;&#x03B9;&#x03BF;&#x03BB;&#x03CC;&#x03B3;&#x03BF;&#x03B9;</foreign></hi>), alles mathematischen Wissens unkundig, sich doch ein Urtheil über sein Werk anmaßen wollten durch absichtliche Verdrehung irgend einer Stelle der heiligen Schrift (propter aliquem locum scripturae male ad suum propositum detortum), so werde er einen solchen verwegenen Angriff verachten! Es sei ja
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[346/0351] stehen. Der Verfasser des Vorberichts ist, wie Gassendi in seinem Leben des großen Mannes auf das bestimmteste sagt, ein damals in Nürnberg lebender Mathematiker, Andreas Osiander, der mit Schoner den Druck des Buches de Revolutionibus besorgte und, ob er gleich keines biblischen Scrupels ausdrücklich Erwähnung thut, es doch für rathsam hielt die neuen Ansichten eine Hypothese und nicht, wie Copernicus, eine erwiesene Wahrheit zu nennen. Der Gründer unseres jetzigen Weltsystems (die wichtigsten Theile desselben, die großartigsten Züge des Weltgemäldes gehören allerdings ihm) war durch seinen Muth und die Zuversicht, mit welcher er auftrat, fast noch ausgezeichneter als durch sein Wissen. Er verdiente in hohem Grade das schöne Lob, das ihm Kepler giebt, wenn er ihn in der Einleitung zu den Rudolphinischen Tafeln „den Mann freien Geistes" nennt; »vir fuit maximo ingenio et, quod in hoc exercitio (in der Bekämpfung der Vorurtheile) magni momenti est, animo liber.« Da, wo Copernicus in der Zueignung an den Pabst die Entstehung seines Werkes schildert, steht er nicht an, die auch unter den Theologen allgemein verbreitete Meinung von der Unbeweglichkeit und der Centralstellung der Erde ein „absurdes acroama" zu nennen und die Stupidität derer anzugreifen, welche einem so irrigen Glauben anhingen. „Wenn etwa leere Schwätzer (ματαιολόγοι), alles mathematischen Wissens unkundig, sich doch ein Urtheil über sein Werk anmaßen wollten durch absichtliche Verdrehung irgend einer Stelle der heiligen Schrift (propter aliquem locum scripturae male ad suum propositum detortum), so werde er einen solchen verwegenen Angriff verachten! Es sei ja

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/351
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/351>, abgerufen am 13.05.2024.