Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

und ihre Nähe zu Aegypten und einem europäischen Meeresbecken bietet ihr große Vortheile sowohl der politischen Weltstellung als des Handels dar. In dem mittleren Theile der arabischen Halbinsel lebte das Volk des Hedschaz, ein edler, kräftiger Menschenstamm, unwissend, aber nicht roh, phantasiereich und doch der sorgfältigen Beachtung aller Vorgänge in der freien Natur (an dem ewig heiteren Himmelsgewölbe und auf der Erdfläche) ergeben. Nachdem dies Volk, Jahrtausende lang fast ohne Berührung mit der übrigen Welt, größtentheils nomadisch umhergezogen, brach es plötzlich aus, bildete sich durch geistigen Contact mit den Bewohnern alter Cultursitze, bekehrte und herrschte von den Hercules-Säulen bis zum Indus, bis zu dem Punkt, wo die Bolor-Kette den Hindu-Kho durchschneidet. Schon seit der Mitte des neunten Jahrhunderts unterhielt es Handelsverkehr gleichzeitig mit den Nordländern Europa's und Madagascar, mit Ost-Afrika, Indien und China; es verbreitete Sprache, Münze und indische Zahlen; gründete einen mächtigen, langdauernden, durch religiösen Glauben zusammengehaltenen Länderverband. Oft bei diesen Zügen wurden große Provinzen nur vorübergehend durchstreift. Der schwärmende Haufe, von den Eingeborenen bedroht, lagerte sich (so sagt die einheimische Naturdichtung) "wie Wolkengruppen, die bald der Wind zerstreut". Eine lebensreichere Erscheinung hat keine andere Völkerbewegung dargeboten, und die dem Islam scheinbar inwohnende geistbedrückende Kraft hat sich im ganzen minder thätig und hemmend unter der arabischen Herrschaft als bei den türkischen Stämmen gezeigt. Religiöse Verfolgung war hier wie überall (auch unter christlichen Völkern) mehr

und ihre Nähe zu Aegypten und einem europäischen Meeresbecken bietet ihr große Vortheile sowohl der politischen Weltstellung als des Handels dar. In dem mittleren Theile der arabischen Halbinsel lebte das Volk des Hedschaz, ein edler, kräftiger Menschenstamm, unwissend, aber nicht roh, phantasiereich und doch der sorgfältigen Beachtung aller Vorgänge in der freien Natur (an dem ewig heiteren Himmelsgewölbe und auf der Erdfläche) ergeben. Nachdem dies Volk, Jahrtausende lang fast ohne Berührung mit der übrigen Welt, größtentheils nomadisch umhergezogen, brach es plötzlich aus, bildete sich durch geistigen Contact mit den Bewohnern alter Cultursitze, bekehrte und herrschte von den Hercules-Säulen bis zum Indus, bis zu dem Punkt, wo die Bolor-Kette den Hindu-Kho durchschneidet. Schon seit der Mitte des neunten Jahrhunderts unterhielt es Handelsverkehr gleichzeitig mit den Nordländern Europa's und Madagascar, mit Ost-Afrika, Indien und China; es verbreitete Sprache, Münze und indische Zahlen; gründete einen mächtigen, langdauernden, durch religiösen Glauben zusammengehaltenen Länderverband. Oft bei diesen Zügen wurden große Provinzen nur vorübergehend durchstreift. Der schwärmende Haufe, von den Eingeborenen bedroht, lagerte sich (so sagt die einheimische Naturdichtung) „wie Wolkengruppen, die bald der Wind zerstreut". Eine lebensreichere Erscheinung hat keine andere Völkerbewegung dargeboten, und die dem Islam scheinbar inwohnende geistbedrückende Kraft hat sich im ganzen minder thätig und hemmend unter der arabischen Herrschaft als bei den türkischen Stämmen gezeigt. Religiöse Verfolgung war hier wie überall (auch unter christlichen Völkern) mehr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0246" n="241"/>
und ihre Nähe zu Aegypten und einem europäischen Meeresbecken bietet ihr große Vortheile sowohl der politischen Weltstellung als des Handels dar. In dem <hi rendition="#g">mittleren</hi> Theile der arabischen Halbinsel lebte das Volk des Hedschaz, ein edler, kräftiger Menschenstamm, unwissend, aber nicht roh, phantasiereich und doch der sorgfältigen Beachtung aller Vorgänge in der freien Natur (an dem ewig heiteren Himmelsgewölbe und auf der Erdfläche) ergeben. Nachdem dies Volk, Jahrtausende lang fast ohne Berührung mit der übrigen Welt, größtentheils nomadisch umhergezogen, brach es plötzlich aus, bildete sich durch geistigen Contact mit den Bewohnern alter Cultursitze, bekehrte und herrschte von den Hercules-Säulen bis zum Indus, bis zu dem Punkt, wo die Bolor-Kette den Hindu-Kho durchschneidet. Schon seit der Mitte des neunten Jahrhunderts unterhielt es Handelsverkehr gleichzeitig mit den Nordländern Europa's und Madagascar, mit Ost-Afrika, Indien und China; es verbreitete Sprache, Münze und indische Zahlen; gründete einen mächtigen, langdauernden, durch religiösen Glauben zusammengehaltenen Länderverband. Oft bei diesen Zügen wurden große Provinzen nur vorübergehend durchstreift. Der schwärmende Haufe, von den Eingeborenen bedroht, lagerte sich (so sagt die einheimische Naturdichtung) &#x201E;wie Wolkengruppen, die bald der Wind zerstreut". Eine lebensreichere Erscheinung hat keine andere Völkerbewegung dargeboten, und die dem Islam scheinbar inwohnende geistbedrückende Kraft hat sich im ganzen minder thätig und hemmend unter der arabischen Herrschaft als bei den türkischen Stämmen gezeigt. Religiöse Verfolgung war hier wie überall (auch unter christlichen Völkern) mehr
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[241/0246] und ihre Nähe zu Aegypten und einem europäischen Meeresbecken bietet ihr große Vortheile sowohl der politischen Weltstellung als des Handels dar. In dem mittleren Theile der arabischen Halbinsel lebte das Volk des Hedschaz, ein edler, kräftiger Menschenstamm, unwissend, aber nicht roh, phantasiereich und doch der sorgfältigen Beachtung aller Vorgänge in der freien Natur (an dem ewig heiteren Himmelsgewölbe und auf der Erdfläche) ergeben. Nachdem dies Volk, Jahrtausende lang fast ohne Berührung mit der übrigen Welt, größtentheils nomadisch umhergezogen, brach es plötzlich aus, bildete sich durch geistigen Contact mit den Bewohnern alter Cultursitze, bekehrte und herrschte von den Hercules-Säulen bis zum Indus, bis zu dem Punkt, wo die Bolor-Kette den Hindu-Kho durchschneidet. Schon seit der Mitte des neunten Jahrhunderts unterhielt es Handelsverkehr gleichzeitig mit den Nordländern Europa's und Madagascar, mit Ost-Afrika, Indien und China; es verbreitete Sprache, Münze und indische Zahlen; gründete einen mächtigen, langdauernden, durch religiösen Glauben zusammengehaltenen Länderverband. Oft bei diesen Zügen wurden große Provinzen nur vorübergehend durchstreift. Der schwärmende Haufe, von den Eingeborenen bedroht, lagerte sich (so sagt die einheimische Naturdichtung) „wie Wolkengruppen, die bald der Wind zerstreut". Eine lebensreichere Erscheinung hat keine andere Völkerbewegung dargeboten, und die dem Islam scheinbar inwohnende geistbedrückende Kraft hat sich im ganzen minder thätig und hemmend unter der arabischen Herrschaft als bei den türkischen Stämmen gezeigt. Religiöse Verfolgung war hier wie überall (auch unter christlichen Völkern) mehr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/246
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/246>, abgerufen am 08.05.2024.