Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.des allgemeinen Naturwissens, welche in dem großen Werke fast ungeordnet vertheilt liegen. "Der Weg, den ich wandeln werde", sagt Plinius mit edler Zuversicht zu sich selbst, "ist unbetreten (non trita auctoribus via); keiner unter uns, keiner unter den Griechen hat unternommen, einer, das Ganze (der Natur) zu behandeln (nemo apud Graecos qui unus omnia tractaverit). Wenn mein Unternehmen mir nicht gelingt, so ist es doch etwas schönes und glänzendes (pulchrum atque magnificum) dergleichen versucht zu haben." Es schwebte dem geistreichen Manne ein einiges großes Bild vor; aber, durch Einzelheiten zerstreut, bei mangelnder lebendiger Selbstanschauung der Natur, hat er dies Bild nicht festzuhalten gewußt. Die Ausführung ist unvollkommen geblieben: nicht etwa bloß wegen der Flüchtigkeit und oftmaligen Unkenntniß der zu behandelnden Gegenstände (wir urtheilen nach den excerpirten Werken, welche uns noch heute zugänglich sind) als wegen der Fehler in der Anordnung. Man erkennt in dem Verfasser einen vielbeschäftigten vornehmen Mann, der sich gern seiner Schlaflosigkeit und nächtlichen Arbeit rühmte, aber als Statthalter in Spanien und Oberaufseher der Flotte in Unteritalien gewiß nur zu oft seinen wenig gebildeten Untergebenen das lockere Gewebe einer endlosen Compilation anvertraute. Dies Streben nach Compilation, d. h. nach mühevollem Sammeln einzelner Beobachtungen und Thatsachen, wie sie das damalige Wissen liefern konnte, ist an sich keinesweges zu tadeln; das unvollkommene Gelingen des Unternehmens lag in der Unfähigkeit den eingesammelten Stoff zu beherrschen, das Naturbeschreibende höheren, allgemeineren Ansichten des allgemeinen Naturwissens, welche in dem großen Werke fast ungeordnet vertheilt liegen. „Der Weg, den ich wandeln werde", sagt Plinius mit edler Zuversicht zu sich selbst, „ist unbetreten (non trita auctoribus via); keiner unter uns, keiner unter den Griechen hat unternommen, einer, das Ganze (der Natur) zu behandeln (nemo apud Graecos qui unus omnia tractaverit). Wenn mein Unternehmen mir nicht gelingt, so ist es doch etwas schönes und glänzendes (pulchrum atque magnificum) dergleichen versucht zu haben." Es schwebte dem geistreichen Manne ein einiges großes Bild vor; aber, durch Einzelheiten zerstreut, bei mangelnder lebendiger Selbstanschauung der Natur, hat er dies Bild nicht festzuhalten gewußt. Die Ausführung ist unvollkommen geblieben: nicht etwa bloß wegen der Flüchtigkeit und oftmaligen Unkenntniß der zu behandelnden Gegenstände (wir urtheilen nach den excerpirten Werken, welche uns noch heute zugänglich sind) als wegen der Fehler in der Anordnung. Man erkennt in dem Verfasser einen vielbeschäftigten vornehmen Mann, der sich gern seiner Schlaflosigkeit und nächtlichen Arbeit rühmte, aber als Statthalter in Spanien und Oberaufseher der Flotte in Unteritalien gewiß nur zu oft seinen wenig gebildeten Untergebenen das lockere Gewebe einer endlosen Compilation anvertraute. Dies Streben nach Compilation, d. h. nach mühevollem Sammeln einzelner Beobachtungen und Thatsachen, wie sie das damalige Wissen liefern konnte, ist an sich keinesweges zu tadeln; das unvollkommene Gelingen des Unternehmens lag in der Unfähigkeit den eingesammelten Stoff zu beherrschen, das Naturbeschreibende höheren, allgemeineren Ansichten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0236" n="231"/> des allgemeinen Naturwissens, welche in dem großen Werke fast ungeordnet vertheilt liegen. „Der Weg, den ich wandeln werde", sagt Plinius mit edler Zuversicht zu sich selbst, „ist unbetreten (non trita auctoribus via); keiner unter uns, keiner unter den Griechen hat unternommen, einer, das Ganze (der Natur) zu behandeln (nemo apud Graecos qui unus omnia tractaverit). 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Dies Streben nach Compilation, d. h. nach mühevollem Sammeln einzelner Beobachtungen und Thatsachen, wie sie das damalige Wissen liefern konnte, ist an sich keinesweges zu tadeln; das unvollkommene Gelingen des Unternehmens lag in der Unfähigkeit den eingesammelten Stoff zu beherrschen, das Naturbeschreibende höheren, allgemeineren Ansichten </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [231/0236]
des allgemeinen Naturwissens, welche in dem großen Werke fast ungeordnet vertheilt liegen. „Der Weg, den ich wandeln werde", sagt Plinius mit edler Zuversicht zu sich selbst, „ist unbetreten (non trita auctoribus via); keiner unter uns, keiner unter den Griechen hat unternommen, einer, das Ganze (der Natur) zu behandeln (nemo apud Graecos qui unus omnia tractaverit). Wenn mein Unternehmen mir nicht gelingt, so ist es doch etwas schönes und glänzendes (pulchrum atque magnificum) dergleichen versucht zu haben."
Es schwebte dem geistreichen Manne ein einiges großes Bild vor; aber, durch Einzelheiten zerstreut, bei mangelnder lebendiger Selbstanschauung der Natur, hat er dies Bild nicht festzuhalten gewußt. Die Ausführung ist unvollkommen geblieben: nicht etwa bloß wegen der Flüchtigkeit und oftmaligen Unkenntniß der zu behandelnden Gegenstände (wir urtheilen nach den excerpirten Werken, welche uns noch heute zugänglich sind) als wegen der Fehler in der Anordnung. Man erkennt in dem Verfasser einen vielbeschäftigten vornehmen Mann, der sich gern seiner Schlaflosigkeit und nächtlichen Arbeit rühmte, aber als Statthalter in Spanien und Oberaufseher der Flotte in Unteritalien gewiß nur zu oft seinen wenig gebildeten Untergebenen das lockere Gewebe einer endlosen Compilation anvertraute. Dies Streben nach Compilation, d. h. nach mühevollem Sammeln einzelner Beobachtungen und Thatsachen, wie sie das damalige Wissen liefern konnte, ist an sich keinesweges zu tadeln; das unvollkommene Gelingen des Unternehmens lag in der Unfähigkeit den eingesammelten Stoff zu beherrschen, das Naturbeschreibende höheren, allgemeineren Ansichten
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