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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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grünende Nacht der Epheugebüsche, die von himmlischem Thau getränkten Narcissen, den goldstrahlenden Krokos und den unvertilgbaren, stets selber sich wiedererzeugenden Oelbaum".12 Indem Sophokles seinen Geburtsort, den Gau von Kolonos, zu verherrlichen strebt, stellt er die hohe Gestalt des schicksalverfolgten, herumirrenden Königs an die schlummerlosen Gewässer des Kephissos, von heiteren Bildern sanft umgeben. Die Ruhe der Natur vermehrt den Eindruck des Schmerzes, welchen die hehre Gestalt des Erblindeten, das Opfer verhängnißvoller Leidenschaft, hervorruft. Auch Euripides13 gefällt sich in der malerischen Beschreibung von "Messeniens und Lakoniens Triften, die, unter dem ewig milden Himmel, durch tausend Quellenbrunnen genährt, von dem schönen Pamisos durchströmt werden".

Die bukolische Dichtung, in den Gefilden von Sicilien entstanden und zum Dramatischen volksthümlich hingeneigt, führt mit Recht den Namen einer Uebergangsform. Sie schildert im kleinen Hirten-Epos mehr den Naturmenschen als die Landschaft. So erscheint sie in ihrer anmuthigsten Vollendung, in Theokrit. Ein weiches elegisches Element ist übrigens dem Idyll eigen, gleichsam als wäre es "aus der Sehnsucht nach einem verlorenen Ideal" entstanden, als sei immerdar in der Brust des Menschen dem tiefen Naturgefühl eine gewisse Wehmuth beigemischt.

Wie nun mit dem freien Volksleben die Poesie in Hellas erstarb, wurde diese beschreibend, didactisch, eine Trägerinn des Wissens. Sternkunde, Erdbeschreibung, Jagd und Fischfang treten auf in der alexandrinischen Zeit als Gegenstände der Dichtkunst, oft geziert durch eine sehr vorzügliche metrische Technik. Die Gestalten und Sitten der

grünende Nacht der Epheugebüsche, die von himmlischem Thau getränkten Narcissen, den goldstrahlenden Krokos und den unvertilgbaren, stets selber sich wiedererzeugenden Oelbaum".12 Indem Sophokles seinen Geburtsort, den Gau von Kolonos, zu verherrlichen strebt, stellt er die hohe Gestalt des schicksalverfolgten, herumirrenden Königs an die schlummerlosen Gewässer des Kephissos, von heiteren Bildern sanft umgeben. Die Ruhe der Natur vermehrt den Eindruck des Schmerzes, welchen die hehre Gestalt des Erblindeten, das Opfer verhängnißvoller Leidenschaft, hervorruft. Auch Euripides13 gefällt sich in der malerischen Beschreibung von „Messeniens und Lakoniens Triften, die, unter dem ewig milden Himmel, durch tausend Quellenbrunnen genährt, von dem schönen Pamisos durchströmt werden".

Die bukolische Dichtung, in den Gefilden von Sicilien entstanden und zum Dramatischen volksthümlich hingeneigt, führt mit Recht den Namen einer Uebergangsform. Sie schildert im kleinen Hirten-Epos mehr den Naturmenschen als die Landschaft. So erscheint sie in ihrer anmuthigsten Vollendung, in Theokrit. Ein weiches elegisches Element ist übrigens dem Idyll eigen, gleichsam als wäre es „aus der Sehnsucht nach einem verlorenen Ideal" entstanden, als sei immerdar in der Brust des Menschen dem tiefen Naturgefühl eine gewisse Wehmuth beigemischt.

Wie nun mit dem freien Volksleben die Poesie in Hellas erstarb, wurde diese beschreibend, didactisch, eine Trägerinn des Wissens. Sternkunde, Erdbeschreibung, Jagd und Fischfang treten auf in der alexandrinischen Zeit als Gegenstände der Dichtkunst, oft geziert durch eine sehr vorzügliche metrische Technik. Die Gestalten und Sitten der

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[12/0017] grünende Nacht der Epheugebüsche, die von himmlischem Thau getränkten Narcissen, den goldstrahlenden Krokos und den unvertilgbaren, stets selber sich wiedererzeugenden Oelbaum". ¹² Indem Sophokles seinen Geburtsort, den Gau von Kolonos, zu verherrlichen strebt, stellt er die hohe Gestalt des schicksalverfolgten, herumirrenden Königs an die schlummerlosen Gewässer des Kephissos, von heiteren Bildern sanft umgeben. Die Ruhe der Natur vermehrt den Eindruck des Schmerzes, welchen die hehre Gestalt des Erblindeten, das Opfer verhängnißvoller Leidenschaft, hervorruft. Auch Euripides ¹³ gefällt sich in der malerischen Beschreibung von „Messeniens und Lakoniens Triften, die, unter dem ewig milden Himmel, durch tausend Quellenbrunnen genährt, von dem schönen Pamisos durchströmt werden". Die bukolische Dichtung, in den Gefilden von Sicilien entstanden und zum Dramatischen volksthümlich hingeneigt, führt mit Recht den Namen einer Uebergangsform. Sie schildert im kleinen Hirten-Epos mehr den Naturmenschen als die Landschaft. So erscheint sie in ihrer anmuthigsten Vollendung, in Theokrit. Ein weiches elegisches Element ist übrigens dem Idyll eigen, gleichsam als wäre es „aus der Sehnsucht nach einem verlorenen Ideal" entstanden, als sei immerdar in der Brust des Menschen dem tiefen Naturgefühl eine gewisse Wehmuth beigemischt. Wie nun mit dem freien Volksleben die Poesie in Hellas erstarb, wurde diese beschreibend, didactisch, eine Trägerinn des Wissens. Sternkunde, Erdbeschreibung, Jagd und Fischfang treten auf in der alexandrinischen Zeit als Gegenstände der Dichtkunst, oft geziert durch eine sehr vorzügliche metrische Technik. Die Gestalten und Sitten der

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/17>, abgerufen am 18.04.2024.