Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

zur Einsicht eines Naturganzen geführt hat, ist eben so wenig die ganze Culturgeschichte der Menschheit als sie, wie wir eben erinnert haben, eine Geschichte der Naturwissenschaften genannt werden kann. Allerdings ist die Einsicht in den Zusammenhang der lebendigen Kräfte des Weltalls als die edelste Frucht der menschlichen Cultur, als das Streben nach dem höchsten Gipfel, welchen die Vervollkommnung und Ausbildung der Intelligenz erreichen kann, zu betrachten; aber das, wovon wir hier Andeutungen geben, ist nur ein Theil der Culturgeschichte selbst. Diese umfaßt gleichzeitig, was den Fortschritt der einzelnen Völker nach allen Richtungen erhöhter Geistesbildung und Sittlichkeit bezeichnet. Wir gewinnen nach einem eingeschränkteren physikalischen Gesichtspunkte der Geschichte des menschlichen Wissens nur eine Seite ab; wir heften vorzugsweise den Blick auf das Verhältniß des allmälig Ergründeten zum Naturganzen; wir beharren minder bei der Erweiterung der einzelnen Disciplinen als bei Resultaten, welche einer Verallgemeinerung fähig sind oder kräftige materielle Hülfsmittel zu genauerer Beobachtung der Natur in verschiedenen Zeitaltern geliefert haben.

Vor allem müssen sorgfältig ein frühes Ahnden und ein wirkliches Wissen scharf von einander getrennt werden. Mit der zunehmenden Cultur des Menschengeschlechts geht von dem ersten vieles in das zweite über und ein solcher Uebergang verdunkelt die Geschichte der Erfindungen. Eine sinnige, ideelle Verknüpfung des früher Ergründeten leitet oft fast unbewußt das Ahndungsvermögen und erhöht dasselbe wie durch eine begeistigende Kraft. Wie manches ist bei Indern und Griechen, wie manches im Mittelalter über den

zur Einsicht eines Naturganzen geführt hat, ist eben so wenig die ganze Culturgeschichte der Menschheit als sie, wie wir eben erinnert haben, eine Geschichte der Naturwissenschaften genannt werden kann. Allerdings ist die Einsicht in den Zusammenhang der lebendigen Kräfte des Weltalls als die edelste Frucht der menschlichen Cultur, als das Streben nach dem höchsten Gipfel, welchen die Vervollkommnung und Ausbildung der Intelligenz erreichen kann, zu betrachten; aber das, wovon wir hier Andeutungen geben, ist nur ein Theil der Culturgeschichte selbst. Diese umfaßt gleichzeitig, was den Fortschritt der einzelnen Völker nach allen Richtungen erhöhter Geistesbildung und Sittlichkeit bezeichnet. Wir gewinnen nach einem eingeschränkteren physikalischen Gesichtspunkte der Geschichte des menschlichen Wissens nur eine Seite ab; wir heften vorzugsweise den Blick auf das Verhältniß des allmälig Ergründeten zum Naturganzen; wir beharren minder bei der Erweiterung der einzelnen Disciplinen als bei Resultaten, welche einer Verallgemeinerung fähig sind oder kräftige materielle Hülfsmittel zu genauerer Beobachtung der Natur in verschiedenen Zeitaltern geliefert haben.

Vor allem müssen sorgfältig ein frühes Ahnden und ein wirkliches Wissen scharf von einander getrennt werden. Mit der zunehmenden Cultur des Menschengeschlechts geht von dem ersten vieles in das zweite über und ein solcher Uebergang verdunkelt die Geschichte der Erfindungen. Eine sinnige, ideelle Verknüpfung des früher Ergründeten leitet oft fast unbewußt das Ahndungsvermögen und erhöht dasselbe wie durch eine begeistigende Kraft. Wie manches ist bei Indern und Griechen, wie manches im Mittelalter über den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0142" n="137"/>
zur Einsicht eines Naturganzen geführt hat, ist eben so wenig die ganze <hi rendition="#g">Culturgeschichte der Menschheit</hi> als sie, wie wir eben erinnert haben, eine <hi rendition="#g">Geschichte der Naturwissenschaften</hi> genannt werden kann. Allerdings ist die Einsicht in den Zusammenhang der lebendigen Kräfte des Weltalls als die edelste Frucht der menschlichen Cultur, als das Streben nach dem höchsten Gipfel, welchen die Vervollkommnung und Ausbildung der Intelligenz erreichen kann, zu betrachten; aber das, wovon wir hier Andeutungen geben, ist nur ein Theil der Culturgeschichte selbst. Diese umfaßt gleichzeitig, was den Fortschritt der einzelnen Völker nach allen Richtungen erhöhter Geistesbildung und Sittlichkeit bezeichnet. Wir gewinnen nach einem eingeschränkteren physikalischen Gesichtspunkte der Geschichte des menschlichen Wissens nur eine Seite ab; wir heften vorzugsweise den Blick auf das Verhältniß des allmälig Ergründeten zum Naturganzen; wir beharren minder bei der Erweiterung der einzelnen Disciplinen als bei Resultaten, welche einer Verallgemeinerung fähig sind oder kräftige materielle Hülfsmittel zu genauerer Beobachtung der Natur in verschiedenen Zeitaltern geliefert haben.</p>
          <p>Vor allem müssen sorgfältig ein frühes <hi rendition="#g">Ahnden</hi> und ein wirkliches <hi rendition="#g">Wissen</hi> scharf von einander getrennt werden. Mit der zunehmenden Cultur des Menschengeschlechts geht von dem ersten vieles in das zweite über und ein solcher Uebergang verdunkelt die Geschichte der Erfindungen. Eine sinnige, ideelle Verknüpfung des früher Ergründeten leitet oft fast unbewußt das Ahndungsvermögen und erhöht dasselbe wie durch eine begeistigende Kraft. Wie manches ist bei Indern und Griechen, wie manches im Mittelalter über den
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0142] zur Einsicht eines Naturganzen geführt hat, ist eben so wenig die ganze Culturgeschichte der Menschheit als sie, wie wir eben erinnert haben, eine Geschichte der Naturwissenschaften genannt werden kann. Allerdings ist die Einsicht in den Zusammenhang der lebendigen Kräfte des Weltalls als die edelste Frucht der menschlichen Cultur, als das Streben nach dem höchsten Gipfel, welchen die Vervollkommnung und Ausbildung der Intelligenz erreichen kann, zu betrachten; aber das, wovon wir hier Andeutungen geben, ist nur ein Theil der Culturgeschichte selbst. Diese umfaßt gleichzeitig, was den Fortschritt der einzelnen Völker nach allen Richtungen erhöhter Geistesbildung und Sittlichkeit bezeichnet. Wir gewinnen nach einem eingeschränkteren physikalischen Gesichtspunkte der Geschichte des menschlichen Wissens nur eine Seite ab; wir heften vorzugsweise den Blick auf das Verhältniß des allmälig Ergründeten zum Naturganzen; wir beharren minder bei der Erweiterung der einzelnen Disciplinen als bei Resultaten, welche einer Verallgemeinerung fähig sind oder kräftige materielle Hülfsmittel zu genauerer Beobachtung der Natur in verschiedenen Zeitaltern geliefert haben. Vor allem müssen sorgfältig ein frühes Ahnden und ein wirkliches Wissen scharf von einander getrennt werden. Mit der zunehmenden Cultur des Menschengeschlechts geht von dem ersten vieles in das zweite über und ein solcher Uebergang verdunkelt die Geschichte der Erfindungen. Eine sinnige, ideelle Verknüpfung des früher Ergründeten leitet oft fast unbewußt das Ahndungsvermögen und erhöht dasselbe wie durch eine begeistigende Kraft. Wie manches ist bei Indern und Griechen, wie manches im Mittelalter über den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/142
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/142>, abgerufen am 22.11.2024.