Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845.Zeichen des Nebels, der veränderten Luft-Electricität, der Windstille dürfen nicht als allgemein bedeutsam, als mit der Erschütterung nothwendig zusammenhangend betrachtet werden: da man in Quito, Peru und Chili, wie in Canada und Italien so viele Erdbeben bei dem reinsten, völlig dunstfreien Himmel, bei dem frischesten Land- und Seewinde beobachtet hat. Wenn aber auch an dem Tage des Erdbebens selbst oder einige Tage vorher kein meteorologisches Zeichen die Erschütterung verkündigt, so ist doch der Einfluß der Jahreszeiten (der Frühjahr- und Herbst-Aequinoctien), des Eintritts der Regenzeit nach langer Dürre unter den Tropen, und des Wechsels der Moussons, für die der allgemeine Volksglaube spricht, nicht darum ganz wegzuläugnen, weil uns bis jetzt der genetische Zusammenhang meteorologischer Processe mit dem, was in dem Innern der Erdrinde vorgeht, wenig klar ist. Numerische Untersuchungen über die Vertheilung der Erdbeben unter die verschiedenen Jahreszeiten, wie sie von Herrn von Hoff, Peter Merian und Friedrich Hoffmann mit vielem Fleiße angestellt worden sind, sprechen für die Epochen der Tag- und Nachtgleichen. -- Auffallend ist es, wie Plinius am Ende seiner phantastischen Erdbeben-Theorie die ganze furchtbare Erscheinung ein unterirdisches Gewitter nennt; nicht sowohl wegen des rollenden Getöses, welches die Erdstöße so oft begleitet, sondern weil die elastischen, durch Spannung erschütternden Kräfte sich in inneren Erdräumen anhäufen, wenn sie in dem Luftkreise fehlen! Ventos in causa esse non dubium reor. Neque enim unquam intremiscunt terrae, nisi sopito mari caeloque adeo tranquillo, ut volatus avium non pendeant, subtracto omni spiritu qui vehit; nec unquam nisi post ventos conditos, scilicet in venas et cavernas ejus occulto afflatu. Neque aliud est in terra tremor, quam in nube tonitruum; nec hiatus aliud quam cum fulmen erumpit, incluso spiritu luctante et ad libertatem exire nitente. (Plin. II, 79.) In Seneca (Nat. Quaest. VI, 4-31) liegt übrigens ziemlich vollständig der Keim von allem, was man bis zur neuesten Zeit über die Ursachen der Erdbeben beobachtet und gefabelt hat. 55 (S. 213.) Beweise, daß der Gang der stündlichen Barometer-Veränderungen vor und nach den Erdstößen nicht gestört werde, habe ich gegeben in Rel. hist. T. I. p. 311 und 513. 56 (S. 213.) Humboldt, Rel. hist. T. I. p. 515-517. Zeichen des Nebels, der veränderten Luft-Electricität, der Windstille dürfen nicht als allgemein bedeutsam, als mit der Erschütterung nothwendig zusammenhangend betrachtet werden: da man in Quito, Peru und Chili, wie in Canada und Italien so viele Erdbeben bei dem reinsten, völlig dunstfreien Himmel, bei dem frischesten Land- und Seewinde beobachtet hat. Wenn aber auch an dem Tage des Erdbebens selbst oder einige Tage vorher kein meteorologisches Zeichen die Erschütterung verkündigt, so ist doch der Einfluß der Jahreszeiten (der Frühjahr- und Herbst-Aequinoctien), des Eintritts der Regenzeit nach langer Dürre unter den Tropen, und des Wechsels der Moussons, für die der allgemeine Volksglaube spricht, nicht darum ganz wegzuläugnen, weil uns bis jetzt der genetische Zusammenhang meteorologischer Processe mit dem, was in dem Innern der Erdrinde vorgeht, wenig klar ist. Numerische Untersuchungen über die Vertheilung der Erdbeben unter die verschiedenen Jahreszeiten, wie sie von Herrn von Hoff, Peter Merian und Friedrich Hoffmann mit vielem Fleiße angestellt worden sind, sprechen für die Epochen der Tag- und Nachtgleichen. — Auffallend ist es, wie Plinius am Ende seiner phantastischen Erdbeben-Theorie die ganze furchtbare Erscheinung ein unterirdisches Gewitter nennt; nicht sowohl wegen des rollenden Getöses, welches die Erdstöße so oft begleitet, sondern weil die elastischen, durch Spannung erschütternden Kräfte sich in inneren Erdräumen anhäufen, wenn sie in dem Luftkreise fehlen! Ventos in causa esse non dubium reor. Neque enim unquam intremiscunt terrae, nisi sopito mari caeloque adeo tranquillo, ut volatus avium non pendeant, subtracto omni spiritu qui vehit; nec unquam nisi post ventos conditos, scilicet in venas et cavernas ejus occulto afflatu. Neque aliud est in terra tremor, quam in nube tonitruum; nec hiatus aliud quam cum fulmen erumpit, incluso spiritu luctante et ad libertatem exire nitente. (Plin. II, 79.) In Seneca (Nat. Quaest. VI, 4–31) liegt übrigens ziemlich vollständig der Keim von allem, was man bis zur neuesten Zeit über die Ursachen der Erdbeben beobachtet und gefabelt hat. 55 (S. 213.) Beweise, daß der Gang der stündlichen Barometer-Veränderungen vor und nach den Erdstößen nicht gestört werde, habe ich gegeben in Rel. hist. T. I. p. 311 und 513. 56 (S. 213.) Humboldt, Rel. hist. T. I. p. 515–517. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <note place="end" n="54" xml:id="ftn184-text" prev="#ftn184"><pb facs="#f0462" n="443"/> Zeichen des Nebels, der veränderten Luft-Electricität, der Windstille dürfen nicht als <hi rendition="#g">allgemein bedeutsam,</hi> als mit der Erschütterung <hi rendition="#g">nothwendig</hi> zusammenhangend betrachtet werden: da man in Quito, Peru und Chili, wie in Canada und Italien so viele Erdbeben bei dem reinsten, völlig dunstfreien Himmel, bei dem frischesten Land- und Seewinde beobachtet hat. Wenn aber auch an dem Tage des Erdbebens selbst oder einige Tage vorher kein meteorologisches Zeichen die Erschütterung verkündigt, so ist doch der Einfluß der Jahreszeiten (der Frühjahr- und Herbst-Aequinoctien), des Eintritts der Regenzeit nach langer Dürre unter den Tropen, und des Wechsels der Moussons, für die der allgemeine Volksglaube spricht, nicht darum ganz wegzuläugnen, weil uns bis jetzt der genetische Zusammenhang meteorologischer Processe mit dem, was in dem Innern der Erdrinde vorgeht, wenig klar ist. Numerische Untersuchungen über die Vertheilung der Erdbeben unter die verschiedenen Jahreszeiten, wie sie von Herrn von Hoff, Peter Merian und Friedrich Hoffmann mit vielem Fleiße angestellt worden sind, sprechen für die Epochen der Tag- und Nachtgleichen. — Auffallend ist es, wie <hi rendition="#g">Plinius</hi> am Ende seiner phantastischen Erdbeben-Theorie die ganze furchtbare Erscheinung ein <hi rendition="#g">unterirdisches Gewitter</hi> nennt; nicht sowohl wegen des rollenden Getöses, welches die Erdstöße so oft begleitet, sondern weil die elastischen, durch Spannung erschütternden Kräfte sich in inneren Erdräumen anhäufen, wenn sie in dem Luftkreise fehlen! Ventos in causa esse non dubium reor. Neque enim unquam intremiscunt terrae, nisi sopito mari caeloque adeo tranquillo, ut volatus avium non pendeant, subtracto omni spiritu qui vehit; nec unquam nisi post ventos conditos, scilicet in venas et cavernas ejus occulto afflatu. 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⁵⁴ Zeichen des Nebels, der veränderten Luft-Electricität, der Windstille dürfen nicht als allgemein bedeutsam, als mit der Erschütterung nothwendig zusammenhangend betrachtet werden: da man in Quito, Peru und Chili, wie in Canada und Italien so viele Erdbeben bei dem reinsten, völlig dunstfreien Himmel, bei dem frischesten Land- und Seewinde beobachtet hat. Wenn aber auch an dem Tage des Erdbebens selbst oder einige Tage vorher kein meteorologisches Zeichen die Erschütterung verkündigt, so ist doch der Einfluß der Jahreszeiten (der Frühjahr- und Herbst-Aequinoctien), des Eintritts der Regenzeit nach langer Dürre unter den Tropen, und des Wechsels der Moussons, für die der allgemeine Volksglaube spricht, nicht darum ganz wegzuläugnen, weil uns bis jetzt der genetische Zusammenhang meteorologischer Processe mit dem, was in dem Innern der Erdrinde vorgeht, wenig klar ist. Numerische Untersuchungen über die Vertheilung der Erdbeben unter die verschiedenen Jahreszeiten, wie sie von Herrn von Hoff, Peter Merian und Friedrich Hoffmann mit vielem Fleiße angestellt worden sind, sprechen für die Epochen der Tag- und Nachtgleichen. — Auffallend ist es, wie Plinius am Ende seiner phantastischen Erdbeben-Theorie die ganze furchtbare Erscheinung ein unterirdisches Gewitter nennt; nicht sowohl wegen des rollenden Getöses, welches die Erdstöße so oft begleitet, sondern weil die elastischen, durch Spannung erschütternden Kräfte sich in inneren Erdräumen anhäufen, wenn sie in dem Luftkreise fehlen! Ventos in causa esse non dubium reor. Neque enim unquam intremiscunt terrae, nisi sopito mari caeloque adeo tranquillo, ut volatus avium non pendeant, subtracto omni spiritu qui vehit; nec unquam nisi post ventos conditos, scilicet in venas et cavernas ejus occulto afflatu. Neque aliud est in terra tremor, quam in nube tonitruum; nec hiatus aliud quam cum fulmen erumpit, incluso spiritu luctante et ad libertatem exire nitente. (Plin. II, 79.) In Seneca (Nat. Quaest. VI, 4–31) liegt übrigens ziemlich vollständig der Keim von allem, was man bis zur neuesten Zeit über die Ursachen der Erdbeben beobachtet und gefabelt hat.
⁵⁵ (S. 213.) Beweise, daß der Gang der stündlichen Barometer-Veränderungen vor und nach den Erdstößen nicht gestört werde, habe ich gegeben in Rel. hist. T. I. p. 311 und 513.
⁵⁶ (S. 213.) Humboldt, Rel. hist. T. I. p. 515–517.
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