Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845.38 (S. 127.) Die planetarische Translations-Geschwindigkeit, das Fortrücken in der Bahn, ist bei Merkur 6,6; bei Venus 4,8; bei der Erde 4,1 Meilen in der Secunde. 39 (S. 128.) Chladni hat aufgefunden, daß ein italiänischer Physiker, Paolo Maria Terzago, 1660, bei Gelegenheit eines Aerolithenfalles zu Mailand, in dem ein Franciscaner-Mönch getödtet wurde, zuerst von der Möglichkeit gesprochen habe, daß die Aerolithen Mondsteine sein könnten. Labant philosophorum mentes, sagt er in seiner Schrift (Musaeum Septalianum, Manfredi Septalae, Patricii Mediolanensis, industrioso labore constructum, Tortona 1664 p. 44), sub horum lapidum ponderibus; ni dicere velimus, lunam terram alteram, sive mundum esse, ex cujus montibus divisa frusta in inferiorem nostrum hunc orbem delabantur. Ohne von dieser Vermuthung etwas zu wissen, wurde Olbers im Jahr 1795 nach dem berühmten Steinfall von Siena (16 Jun. 1794) auf die Untersuchung geleitet, wie groß die anfängliche Wurfkraft sein müsse, wenn vom Monde ausgeworfene Massen bis zur Erde gelangen sollten. Ein solches ballistisches Problem beschäftigte zehn bis zwölf Jahre lang die Geometer Laplace, Biot, Brandes und Poisson. Die damals noch sehr verbreitete, jetzt aufgegebene Meinung von thätigen Vulkanen im luft- und wasserleeren Monde begünstigte im Publikum die Verwechselung von dem, was mathematisch möglich und physikalisch wahrscheinlich, d. h. anderen Hypothesen vorzuziehen sei. Olbers, Brandes und Chladni glaubten "in der relativen Geschwindigkeit von 4 bis 8 Meilen, mit welcher Feuerkugeln und Sternschnuppen in unsere Atmosphäre kommen", die Widerlegung ihres selenitischen Ursprungs zu finden. Um die Erde zu erreichen, würde nach Olbers, ohne den Widerstand der Luft in Anschlag zu bringen, eine anfängliche Geschwindigkeit von 7780 Fuß in der Secunde (nach Laplace 7377 F., nach Biot 7771 F., nach Poisson 7123 F.) hinlänglich sein. Laplace nennt diese Anfangs-Geschwindigkeit nur 5 bis 6mal größer als diejenige, welche die Kraft unserer Geschütze hervorbringt; aber Olbers hat gezeigt, "daß bei einer solchen anfänglichen Geschwindigkeit von 7500 bis 8000 Fuß in der Secunde die Meteorsteine nur mit der Geschwindigkeit von 35000 Fuß (1,53 geogr. Meilen) an die Oberfläche unserer Erde gelangen würden. Da nun die gemessene Geschwin- 38 (S. 127.) Die planetarische Translations-Geschwindigkeit, das Fortrücken in der Bahn, ist bei Merkur 6,6; bei Venus 4,8; bei der Erde 4,1 Meilen in der Secunde. 39 (S. 128.) Chladni hat aufgefunden, daß ein italiänischer Physiker, Paolo Maria Terzago, 1660, bei Gelegenheit eines Aërolithenfalles zu Mailand, in dem ein Franciscaner-Mönch getödtet wurde, zuerst von der Möglichkeit gesprochen habe, daß die Aërolithen Mondsteine sein könnten. Labant philosophorum mentes, sagt er in seiner Schrift (Musaeum Septalianum, Manfredi Septalae, Patricii Mediolanensis, industrioso labore constructum, Tortona 1664 p. 44), sub horum lapidum ponderibus; ni dicere velimus, lunam terram alteram, sive mundum esse, ex cujus montibus divisa frusta in inferiorem nostrum hunc orbem delabantur. Ohne von dieser Vermuthung etwas zu wissen, wurde Olbers im Jahr 1795 nach dem berühmten Steinfall von Siena (16 Jun. 1794) auf die Untersuchung geleitet, wie groß die anfängliche Wurfkraft sein müsse, wenn vom Monde ausgeworfene Massen bis zur Erde gelangen sollten. Ein solches ballistisches Problem beschäftigte zehn bis zwölf Jahre lang die Geometer Laplace, Biot, Brandes und Poisson. Die damals noch sehr verbreitete, jetzt aufgegebene Meinung von thätigen Vulkanen im luft- und wasserleeren Monde begünstigte im Publikum die Verwechselung von dem, was mathematisch möglich und physikalisch wahrscheinlich, d. h. anderen Hypothesen vorzuziehen sei. Olbers, Brandes und Chladni glaubten „in der relativen Geschwindigkeit von 4 bis 8 Meilen, mit welcher Feuerkugeln und Sternschnuppen in unsere Atmosphäre kommen“, die Widerlegung ihres selenitischen Ursprungs zu finden. Um die Erde zu erreichen, würde nach Olbers, ohne den Widerstand der Luft in Anschlag zu bringen, eine anfängliche Geschwindigkeit von 7780 Fuß in der Secunde (nach Laplace 7377 F., nach Biot 7771 F., nach Poisson 7123 F.) hinlänglich sein. Laplace nennt diese Anfangs-Geschwindigkeit nur 5 bis 6mal größer als diejenige, welche die Kraft unserer Geschütze hervorbringt; aber Olbers hat gezeigt, „daß bei einer solchen anfänglichen Geschwindigkeit von 7500 bis 8000 Fuß in der Secunde die Meteorsteine nur mit der Geschwindigkeit von 35000 Fuß (1,53 geogr. Meilen) an die Oberfläche unserer Erde gelangen würden. Da nun die gemessene Geschwin- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0419" n="400"/> <note place="end" n="38" xml:id="ftn68-text" prev="#ftn68">(S. 127.) Die planetarische Translations-Geschwindigkeit, das Fortrücken in der Bahn, ist bei Merkur 6,6; bei Venus 4,8; bei der Erde 4,1 Meilen in der Secunde.</note> <note place="end" n="39" xml:id="ftn69-text" prev="#ftn69">(S. 128.) Chladni hat aufgefunden, daß ein italiänischer Physiker, Paolo Maria <hi rendition="#g">Terzago,</hi> 1660, bei Gelegenheit eines Aërolithenfalles zu Mailand, in dem ein Franciscaner-Mönch getödtet wurde, zuerst von der Möglichkeit gesprochen habe, daß die Aërolithen Mondsteine sein könnten. Labant philosophorum mentes, sagt er in seiner Schrift <hi rendition="#g">(Musaeum Septalianum, Manfredi Septalae, Patricii Mediolanensis, industrioso labore constructum,</hi> Tortona 1664 p. 44), sub horum lapidum ponderibus; ni dicere velimus, lunam terram alteram, sive mundum esse, ex cujus montibus divisa frusta in inferiorem nostrum hunc orbem delabantur. Ohne von dieser Vermuthung etwas zu wissen, wurde Olbers im Jahr 1795 nach dem berühmten Steinfall von Siena (16 Jun. 1794) auf die Untersuchung geleitet, wie groß die anfängliche Wurfkraft sein müsse, wenn vom Monde ausgeworfene Massen bis zur Erde gelangen sollten. Ein solches ballistisches Problem beschäftigte zehn bis zwölf Jahre lang die Geometer Laplace, Biot, Brandes und Poisson. Die damals noch sehr verbreitete, jetzt aufgegebene Meinung von thätigen Vulkanen im luft- und wasserleeren Monde begünstigte im Publikum die Verwechselung von dem, was mathematisch möglich und physikalisch wahrscheinlich, d. h. anderen Hypothesen vorzuziehen sei. Olbers, Brandes und Chladni glaubten „in der relativen Geschwindigkeit von 4 bis 8 Meilen, mit welcher Feuerkugeln und Sternschnuppen in unsere Atmosphäre kommen“, die Widerlegung ihres selenitischen Ursprungs zu finden. Um die Erde zu erreichen, würde nach Olbers, ohne den Widerstand der Luft in Anschlag zu bringen, eine anfängliche Geschwindigkeit von 7780 Fuß in der Secunde (nach Laplace 7377 F., nach Biot 7771 F., nach Poisson 7123 F.) hinlänglich sein. Laplace nennt diese Anfangs-Geschwindigkeit nur 5 bis 6mal größer als diejenige, welche die Kraft unserer Geschütze hervorbringt; aber Olbers hat gezeigt, „daß bei einer solchen anfänglichen Geschwindigkeit von 7500 bis 8000 Fuß in der Secunde die Meteorsteine nur mit der Geschwindigkeit von 35000 Fuß (1,53 geogr. Meilen) an die Oberfläche unserer Erde gelangen würden. Da nun die gemessene Geschwin- </note> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [400/0419]
³⁸ (S. 127.) Die planetarische Translations-Geschwindigkeit, das Fortrücken in der Bahn, ist bei Merkur 6,6; bei Venus 4,8; bei der Erde 4,1 Meilen in der Secunde.
³⁹ (S. 128.) Chladni hat aufgefunden, daß ein italiänischer Physiker, Paolo Maria Terzago, 1660, bei Gelegenheit eines Aërolithenfalles zu Mailand, in dem ein Franciscaner-Mönch getödtet wurde, zuerst von der Möglichkeit gesprochen habe, daß die Aërolithen Mondsteine sein könnten. Labant philosophorum mentes, sagt er in seiner Schrift (Musaeum Septalianum, Manfredi Septalae, Patricii Mediolanensis, industrioso labore constructum, Tortona 1664 p. 44), sub horum lapidum ponderibus; ni dicere velimus, lunam terram alteram, sive mundum esse, ex cujus montibus divisa frusta in inferiorem nostrum hunc orbem delabantur. Ohne von dieser Vermuthung etwas zu wissen, wurde Olbers im Jahr 1795 nach dem berühmten Steinfall von Siena (16 Jun. 1794) auf die Untersuchung geleitet, wie groß die anfängliche Wurfkraft sein müsse, wenn vom Monde ausgeworfene Massen bis zur Erde gelangen sollten. Ein solches ballistisches Problem beschäftigte zehn bis zwölf Jahre lang die Geometer Laplace, Biot, Brandes und Poisson. Die damals noch sehr verbreitete, jetzt aufgegebene Meinung von thätigen Vulkanen im luft- und wasserleeren Monde begünstigte im Publikum die Verwechselung von dem, was mathematisch möglich und physikalisch wahrscheinlich, d. h. anderen Hypothesen vorzuziehen sei. Olbers, Brandes und Chladni glaubten „in der relativen Geschwindigkeit von 4 bis 8 Meilen, mit welcher Feuerkugeln und Sternschnuppen in unsere Atmosphäre kommen“, die Widerlegung ihres selenitischen Ursprungs zu finden. Um die Erde zu erreichen, würde nach Olbers, ohne den Widerstand der Luft in Anschlag zu bringen, eine anfängliche Geschwindigkeit von 7780 Fuß in der Secunde (nach Laplace 7377 F., nach Biot 7771 F., nach Poisson 7123 F.) hinlänglich sein. Laplace nennt diese Anfangs-Geschwindigkeit nur 5 bis 6mal größer als diejenige, welche die Kraft unserer Geschütze hervorbringt; aber Olbers hat gezeigt, „daß bei einer solchen anfänglichen Geschwindigkeit von 7500 bis 8000 Fuß in der Secunde die Meteorsteine nur mit der Geschwindigkeit von 35000 Fuß (1,53 geogr. Meilen) an die Oberfläche unserer Erde gelangen würden. Da nun die gemessene Geschwin-
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