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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845.

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den Thieren ist es ein wichtiger Unterschied ihrer Lebensweise, ob sie isolirt (vereinzelt) oder gesellig lebend gefunden werden. Die Arten, welche ich gesellige Pflanzen97 genannt habe, bedecken einförmig große Strecken. Dahin gehören viele Tang-Arten des Meeres, Cladonien und Moose in den öden Flachländern des nördlichen Asiens, Gräser und orgelartig aufstrebende Cacteen, Avicennia und Manglesträucher in der Tropenwelt, Wälder von Coniferen und Birken in den baltischen und sibirischen Ebnen. Diese Art der geographischen Vertheilung bestimmt, neben der individuellen Form der Pflanzengestalt, neben ihrer Größe, Blatt- und Blüthenform, hauptsächlich den physiognomischen Charakter98 einer Gegend. Das bewegliche Bild des Thierlebens, so mannigfaltig und reizend, so mehr angeeignet es unseren Gefühlen der Zuneigung oder des Abscheues ist, bleibt fast demselben fremd, wirkt wenigstens minder mächtig auf ihn. Die ackerbauenden Völker vermehren künstlich die Herrschaft geselliger Pflanzen, und so an vielen Punkten der gemäßigten und nördlichen Zone den Anblick der Einförmigkeit der Natur; auch bereiten sie den Untergang wildwachsenden Pflanzen und siedeln andere, die dem Menschen auf fernen Wanderungen folgen, absichtlos an. Die üppige Zone der Tropenwelt widersteht kräftiger diesen gewaltsamen Umwandlungen der Schöpfung.

Beobachter, welche in kurzer Zeit große Landstrecken durchzogen, Gebirgsgruppen bestiegen hatten, in denen die Klimate schichtenweise über einander gelagert sind, mußten sich früh angeregt fühlen von einer gesetzmäßigen Vertheilung der Pflanzenformen. Sie sammelten rohe Materialien für eine Wissenschaft, deren Name noch nicht ausgesprochen war.

den Thieren ist es ein wichtiger Unterschied ihrer Lebensweise, ob sie isolirt (vereinzelt) oder gesellig lebend gefunden werden. Die Arten, welche ich gesellige Pflanzen97 genannt habe, bedecken einförmig große Strecken. Dahin gehören viele Tang-Arten des Meeres, Cladonien und Moose in den öden Flachländern des nördlichen Asiens, Gräser und orgelartig aufstrebende Cacteen, Avicennia und Manglesträucher in der Tropenwelt, Wälder von Coniferen und Birken in den baltischen und sibirischen Ebnen. Diese Art der geographischen Vertheilung bestimmt, neben der individuellen Form der Pflanzengestalt, neben ihrer Größe, Blatt- und Blüthenform, hauptsächlich den physiognomischen Charakter98 einer Gegend. Das bewegliche Bild des Thierlebens, so mannigfaltig und reizend, so mehr angeeignet es unseren Gefühlen der Zuneigung oder des Abscheues ist, bleibt fast demselben fremd, wirkt wenigstens minder mächtig auf ihn. Die ackerbauenden Völker vermehren künstlich die Herrschaft geselliger Pflanzen, und so an vielen Punkten der gemäßigten und nördlichen Zone den Anblick der Einförmigkeit der Natur; auch bereiten sie den Untergang wildwachsenden Pflanzen und siedeln andere, die dem Menschen auf fernen Wanderungen folgen, absichtlos an. Die üppige Zone der Tropenwelt widersteht kräftiger diesen gewaltsamen Umwandlungen der Schöpfung.

Beobachter, welche in kurzer Zeit große Landstrecken durchzogen, Gebirgsgruppen bestiegen hatten, in denen die Klimate schichtenweise über einander gelagert sind, mußten sich früh angeregt fühlen von einer gesetzmäßigen Vertheilung der Pflanzenformen. Sie sammelten rohe Materialien für eine Wissenschaft, deren Name noch nicht ausgesprochen war.

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          <p>Beobachter, welche in kurzer Zeit große Landstrecken durchzogen, Gebirgsgruppen bestiegen hatten, in denen die Klimate schichtenweise über einander gelagert sind, mußten sich früh angeregt fühlen von einer gesetzmäßigen Vertheilung der Pflanzenformen. Sie sammelten rohe Materialien für eine Wissenschaft, deren Name noch nicht ausgesprochen war.
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[374/0393] den Thieren ist es ein wichtiger Unterschied ihrer Lebensweise, ob sie isolirt (vereinzelt) oder gesellig lebend gefunden werden. Die Arten, welche ich gesellige Pflanzen ⁹⁷ genannt habe, bedecken einförmig große Strecken. Dahin gehören viele Tang-Arten des Meeres, Cladonien und Moose in den öden Flachländern des nördlichen Asiens, Gräser und orgelartig aufstrebende Cacteen, Avicennia und Manglesträucher in der Tropenwelt, Wälder von Coniferen und Birken in den baltischen und sibirischen Ebnen. Diese Art der geographischen Vertheilung bestimmt, neben der individuellen Form der Pflanzengestalt, neben ihrer Größe, Blatt- und Blüthenform, hauptsächlich den physiognomischen Charakter ⁹⁸ einer Gegend. Das bewegliche Bild des Thierlebens, so mannigfaltig und reizend, so mehr angeeignet es unseren Gefühlen der Zuneigung oder des Abscheues ist, bleibt fast demselben fremd, wirkt wenigstens minder mächtig auf ihn. Die ackerbauenden Völker vermehren künstlich die Herrschaft geselliger Pflanzen, und so an vielen Punkten der gemäßigten und nördlichen Zone den Anblick der Einförmigkeit der Natur; auch bereiten sie den Untergang wildwachsenden Pflanzen und siedeln andere, die dem Menschen auf fernen Wanderungen folgen, absichtlos an. Die üppige Zone der Tropenwelt widersteht kräftiger diesen gewaltsamen Umwandlungen der Schöpfung. Beobachter, welche in kurzer Zeit große Landstrecken durchzogen, Gebirgsgruppen bestiegen hatten, in denen die Klimate schichtenweise über einander gelagert sind, mußten sich früh angeregt fühlen von einer gesetzmäßigen Vertheilung der Pflanzenformen. Sie sammelten rohe Materialien für eine Wissenschaft, deren Name noch nicht ausgesprochen war.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos01_1845/393>, abgerufen am 26.06.2024.