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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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fing, keine Ursache, die Erinnerung an die Ideale zu fliehen,
denen er einst in der vorliegenden Schrift Ausdruck gegeben
hatte 1). -- Mit denselben Worten fast, mit denen er am Schlusse
derselben den Geist bezeichnet, aus dem heraus er sie geschrie-
ben habe, könnte man treffend das Wesen seiner politischen
Laufbahn charakterisiren. Wenn Humboldt gegen das Ende
seines Lebens in einem seiner schönen Sonnette mit innerster
Befriedigung von sich sagte, dass er seiner Jugend treu ge-
blieben sei, dass er Einheit in des Geistes Streben bewahrt
habe, so wird kein Einsichtiger ihm auf Grund der vorliegen-
den Schrift das Recht zu solchem Ausspruche streitig machen
wollen. Er hat in Wahrheit "fromm und treu der Jugend
Genius sein Herz führen lassen."

Worein wir nun aber eigentlich den Hauptgewinn setzen,
der sich aus der hier mitgetheilten Schrift für Humboldts Ver-
ständniss ergiebt, -- das ist, dass eben der Genius seiner
Jugend, der ihn durchs Leben geführt, in all seiner Frische
und Ursprünglichkeit uns hier zum ersten Male näher tritt.

1) In den von Pertz herausgegebenen "Denkschriften des Ministers Freiherrn
vom Stein über deutsche Verfassungen." Berlin 1848; ist auch eine ausführliche
Denkschrift Wilh. v. Humboldts über Preussens ständische Verfassung mitge-
theilt (p. 97--175) datirt von Frankfurt, den 4. Februar 1819. Es lässt sich
rücksichtlich der ganzen Anlage und der schriftstellerischen Intention kaum ein
grösserer Gegensatz denken, als zwischen dieser Denkschrift und unseren "Ideen."
Dort durchweg das engste Anschliessen an die Wirklichkeit, die strengste Be-
schränkung auf das unter den gegebenen Verhältnissen Ausführbare, -- eine
durchaus praktische Tendenz; -- hier eine ausdrückliche Verleugnung dieser
Rücksichten, der kühnste und freieste Schwung zum Idealen hin. Hier bewegt
sich Alles um die Bestimmung des Inhalts der Staatsgewalt, dort um die Formen.
Um so bemerkenswerther ist die Verwandtschaft in den Grundanschauungen des
Staatslebens, die durch alle diese Verschiedenheit hindurch für Jeden, der nur
ein Auge für dergleichen hat, wahrnehmbar ist. In beiden Schriften dieselbe
Hervorhebung des Bestrebens, die sittliche Kraft der Nation zu steigern, das in-
dividuelle Leben zu höherer Geltung zu bringen, das Regieren zu vereinfachen,
Thätigkeit und Energie an die Stelle der Passivität und der Trägheit zu setzen.
Selbst in gewissen besonders hervortretenden Abneigungen zeigt sich in beiden
Schriften eine auffallende Uebereinstimmung, namentlich in dem Misfallen an
dem hohlen formalen Wesen einer allmächtigen sich überhebenden Büreaukratie.

fing, keine Ursache, die Erinnerung an die Ideale zu fliehen,
denen er einst in der vorliegenden Schrift Ausdruck gegeben
hatte 1). — Mit denselben Worten fast, mit denen er am Schlusse
derselben den Geist bezeichnet, aus dem heraus er sie geschrie-
ben habe, könnte man treffend das Wesen seiner politischen
Laufbahn charakterisiren. Wenn Humboldt gegen das Ende
seines Lebens in einem seiner schönen Sonnette mit innerster
Befriedigung von sich sagte, dass er seiner Jugend treu ge-
blieben sei, dass er Einheit in des Geistes Streben bewahrt
habe, so wird kein Einsichtiger ihm auf Grund der vorliegen-
den Schrift das Recht zu solchem Ausspruche streitig machen
wollen. Er hat in Wahrheit „fromm und treu der Jugend
Genius sein Herz führen lassen.“

Worein wir nun aber eigentlich den Hauptgewinn setzen,
der sich aus der hier mitgetheilten Schrift für Humboldts Ver-
ständniss ergiebt, — das ist, dass eben der Genius seiner
Jugend, der ihn durchs Leben geführt, in all seiner Frische
und Ursprünglichkeit uns hier zum ersten Male näher tritt.

1) In den von Pertz herausgegebenen „Denkschriften des Ministers Freiherrn
vom Stein über deutsche Verfassungen.“ Berlin 1848; ist auch eine ausführliche
Denkschrift Wilh. v. Humboldts über Preussens ständische Verfassung mitge-
theilt (p. 97—175) datirt von Frankfurt, den 4. Februar 1819. Es lässt sich
rücksichtlich der ganzen Anlage und der schriftstellerischen Intention kaum ein
grösserer Gegensatz denken, als zwischen dieser Denkschrift und unseren „Ideen.“
Dort durchweg das engste Anschliessen an die Wirklichkeit, die strengste Be-
schränkung auf das unter den gegebenen Verhältnissen Ausführbare, — eine
durchaus praktische Tendenz; — hier eine ausdrückliche Verleugnung dieser
Rücksichten, der kühnste und freieste Schwung zum Idealen hin. Hier bewegt
sich Alles um die Bestimmung des Inhalts der Staatsgewalt, dort um die Formen.
Um so bemerkenswerther ist die Verwandtschaft in den Grundanschauungen des
Staatslebens, die durch alle diese Verschiedenheit hindurch für Jeden, der nur
ein Auge für dergleichen hat, wahrnehmbar ist. In beiden Schriften dieselbe
Hervorhebung des Bestrebens, die sittliche Kraft der Nation zu steigern, das in-
dividuelle Leben zu höherer Geltung zu bringen, das Regieren zu vereinfachen,
Thätigkeit und Energie an die Stelle der Passivität und der Trägheit zu setzen.
Selbst in gewissen besonders hervortretenden Abneigungen zeigt sich in beiden
Schriften eine auffallende Uebereinstimmung, namentlich in dem Misfallen an
dem hohlen formalen Wesen einer allmächtigen sich überhebenden Büreaukratie.
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[XVIII/0026] fing, keine Ursache, die Erinnerung an die Ideale zu fliehen, denen er einst in der vorliegenden Schrift Ausdruck gegeben hatte 1). — Mit denselben Worten fast, mit denen er am Schlusse derselben den Geist bezeichnet, aus dem heraus er sie geschrie- ben habe, könnte man treffend das Wesen seiner politischen Laufbahn charakterisiren. Wenn Humboldt gegen das Ende seines Lebens in einem seiner schönen Sonnette mit innerster Befriedigung von sich sagte, dass er seiner Jugend treu ge- blieben sei, dass er Einheit in des Geistes Streben bewahrt habe, so wird kein Einsichtiger ihm auf Grund der vorliegen- den Schrift das Recht zu solchem Ausspruche streitig machen wollen. Er hat in Wahrheit „fromm und treu der Jugend Genius sein Herz führen lassen.“ Worein wir nun aber eigentlich den Hauptgewinn setzen, der sich aus der hier mitgetheilten Schrift für Humboldts Ver- ständniss ergiebt, — das ist, dass eben der Genius seiner Jugend, der ihn durchs Leben geführt, in all seiner Frische und Ursprünglichkeit uns hier zum ersten Male näher tritt. 1) In den von Pertz herausgegebenen „Denkschriften des Ministers Freiherrn vom Stein über deutsche Verfassungen.“ Berlin 1848; ist auch eine ausführliche Denkschrift Wilh. v. Humboldts über Preussens ständische Verfassung mitge- theilt (p. 97—175) datirt von Frankfurt, den 4. Februar 1819. Es lässt sich rücksichtlich der ganzen Anlage und der schriftstellerischen Intention kaum ein grösserer Gegensatz denken, als zwischen dieser Denkschrift und unseren „Ideen.“ Dort durchweg das engste Anschliessen an die Wirklichkeit, die strengste Be- schränkung auf das unter den gegebenen Verhältnissen Ausführbare, — eine durchaus praktische Tendenz; — hier eine ausdrückliche Verleugnung dieser Rücksichten, der kühnste und freieste Schwung zum Idealen hin. Hier bewegt sich Alles um die Bestimmung des Inhalts der Staatsgewalt, dort um die Formen. Um so bemerkenswerther ist die Verwandtschaft in den Grundanschauungen des Staatslebens, die durch alle diese Verschiedenheit hindurch für Jeden, der nur ein Auge für dergleichen hat, wahrnehmbar ist. In beiden Schriften dieselbe Hervorhebung des Bestrebens, die sittliche Kraft der Nation zu steigern, das in- dividuelle Leben zu höherer Geltung zu bringen, das Regieren zu vereinfachen, Thätigkeit und Energie an die Stelle der Passivität und der Trägheit zu setzen. Selbst in gewissen besonders hervortretenden Abneigungen zeigt sich in beiden Schriften eine auffallende Uebereinstimmung, namentlich in dem Misfallen an dem hohlen formalen Wesen einer allmächtigen sich überhebenden Büreaukratie.

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. XVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/26>, abgerufen am 19.04.2024.