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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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diejenigen Folgen zu äussern, welche sie, ohne alle fremde Bei-
mischung, immer hervorbringen würden. Ich setze auch jetzt
nichts mehr zur weiteren Ausführung des aufgestellten Grund-
satzes hinzu. Zwar könnte ich mögliche Lagen der Wirklich-
keit klassificiren, und an ihnen die Anwendung desselben zei-
gen. Allein ich würde dadurch meinen eignen Principien zu-
widerhandlen. Ich habe nämlich gesagt, dass jede solche
Anwendung die Uebersicht des Ganzen und aller seiner Theile
im genauesten Zusammenhange erfordert, und ein solches Ganze
lässt sich durch blosse Hypothesen nicht aufstellen.

Verbinde ich mit dieser Regel für das praktische Benehmen
des Staats die Gesetze, welche die, im Vorigen entwickelte
Theorie ihm auflegte; so darf derselbe seine Thätigkeit immer
nur durch die Nothwendigkeit bestimmen lassen. Denn die
Theorie erlaubt ihm allein Sorgfalt für die Sicherheit, weil die
Erreichung dieses Zwecks allein dem einzelnen Menschen un-
möglich, und daher diese Sorgfalt allein nothwendig ist; und
die Regel des praktischen Benehmens bindet ihn streng an die
Theorie, insofern nicht die Gegenwart ihn nöthigt, davon abzu-
gehn. So ist es also das Princip der Nothwendigkeit,
zu welchem alle, in diesem ganzen Aufsatz vorgetragene Ideen,
wie zu ihrem letzten Ziele, hinstreben. In der reinen Theorie
bestimmt allein die Eigenthümlichkeit des natürlichen Menschen
die Gränzen dieser Nothwendigkeit; in der Ausführung kommt
die Individualität des wirklichen hinzu. Dieses Princip der
Nothwendigkeit müsste, wie es mir scheint, jedem praktischen,
auf den Menschen gerichteten Bemühen die höchste Regel
vorschreiben. Denn es ist das Einzige, welches auf sichre, zwei-
fellose Resultate führt. Das Nützliche, was ihm entgegenge-
setzt werden kann, erlaubt keine reine und gewisse Beurthei-
lung. Es erfordert Berechnungen der Wahrscheinlichkeit,
welche noch abgerechnet, dass sie, ihrer Natur nach, nicht feh-
lerfrei sein können, Gefahr laufen, durch die geringsten unvor-

diejenigen Folgen zu äussern, welche sie, ohne alle fremde Bei-
mischung, immer hervorbringen würden. Ich setze auch jetzt
nichts mehr zur weiteren Ausführung des aufgestellten Grund-
satzes hinzu. Zwar könnte ich mögliche Lagen der Wirklich-
keit klassificiren, und an ihnen die Anwendung desselben zei-
gen. Allein ich würde dadurch meinen eignen Principien zu-
widerhandlen. Ich habe nämlich gesagt, dass jede solche
Anwendung die Uebersicht des Ganzen und aller seiner Theile
im genauesten Zusammenhange erfordert, und ein solches Ganze
lässt sich durch blosse Hypothesen nicht aufstellen.

Verbinde ich mit dieser Regel für das praktische Benehmen
des Staats die Gesetze, welche die, im Vorigen entwickelte
Theorie ihm auflegte; so darf derselbe seine Thätigkeit immer
nur durch die Nothwendigkeit bestimmen lassen. Denn die
Theorie erlaubt ihm allein Sorgfalt für die Sicherheit, weil die
Erreichung dieses Zwecks allein dem einzelnen Menschen un-
möglich, und daher diese Sorgfalt allein nothwendig ist; und
die Regel des praktischen Benehmens bindet ihn streng an die
Theorie, insofern nicht die Gegenwart ihn nöthigt, davon abzu-
gehn. So ist es also das Princip der Nothwendigkeit,
zu welchem alle, in diesem ganzen Aufsatz vorgetragene Ideen,
wie zu ihrem letzten Ziele, hinstreben. In der reinen Theorie
bestimmt allein die Eigenthümlichkeit des natürlichen Menschen
die Gränzen dieser Nothwendigkeit; in der Ausführung kommt
die Individualität des wirklichen hinzu. Dieses Princip der
Nothwendigkeit müsste, wie es mir scheint, jedem praktischen,
auf den Menschen gerichteten Bemühen die höchste Regel
vorschreiben. Denn es ist das Einzige, welches auf sichre, zwei-
fellose Resultate führt. Das Nützliche, was ihm entgegenge-
setzt werden kann, erlaubt keine reine und gewisse Beurthei-
lung. Es erfordert Berechnungen der Wahrscheinlichkeit,
welche noch abgerechnet, dass sie, ihrer Natur nach, nicht feh-
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[187/0223] diejenigen Folgen zu äussern, welche sie, ohne alle fremde Bei- mischung, immer hervorbringen würden. Ich setze auch jetzt nichts mehr zur weiteren Ausführung des aufgestellten Grund- satzes hinzu. Zwar könnte ich mögliche Lagen der Wirklich- keit klassificiren, und an ihnen die Anwendung desselben zei- gen. Allein ich würde dadurch meinen eignen Principien zu- widerhandlen. Ich habe nämlich gesagt, dass jede solche Anwendung die Uebersicht des Ganzen und aller seiner Theile im genauesten Zusammenhange erfordert, und ein solches Ganze lässt sich durch blosse Hypothesen nicht aufstellen. Verbinde ich mit dieser Regel für das praktische Benehmen des Staats die Gesetze, welche die, im Vorigen entwickelte Theorie ihm auflegte; so darf derselbe seine Thätigkeit immer nur durch die Nothwendigkeit bestimmen lassen. Denn die Theorie erlaubt ihm allein Sorgfalt für die Sicherheit, weil die Erreichung dieses Zwecks allein dem einzelnen Menschen un- möglich, und daher diese Sorgfalt allein nothwendig ist; und die Regel des praktischen Benehmens bindet ihn streng an die Theorie, insofern nicht die Gegenwart ihn nöthigt, davon abzu- gehn. So ist es also das Princip der Nothwendigkeit, zu welchem alle, in diesem ganzen Aufsatz vorgetragene Ideen, wie zu ihrem letzten Ziele, hinstreben. In der reinen Theorie bestimmt allein die Eigenthümlichkeit des natürlichen Menschen die Gränzen dieser Nothwendigkeit; in der Ausführung kommt die Individualität des wirklichen hinzu. Dieses Princip der Nothwendigkeit müsste, wie es mir scheint, jedem praktischen, auf den Menschen gerichteten Bemühen die höchste Regel vorschreiben. Denn es ist das Einzige, welches auf sichre, zwei- fellose Resultate führt. Das Nützliche, was ihm entgegenge- setzt werden kann, erlaubt keine reine und gewisse Beurthei- lung. Es erfordert Berechnungen der Wahrscheinlichkeit, welche noch abgerechnet, dass sie, ihrer Natur nach, nicht feh- lerfrei sein können, Gefahr laufen, durch die geringsten unvor-

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/223>, abgerufen am 05.12.2024.