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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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gleichmässigen, ewig einförmig wiederkehrenden Ganges in
dieser Rücksicht weniger wichtig, und die der vernunftlosen
Geschöpfe in eben derselben an sich unbedeutend sind -- in
dem Besitze des Hauptantheils erblickt. Die menschliche
Kraft vermag sich in Einer Periode nur auf Eine Weise zu
äussern, aber diese Weise unendlich mannigfaltig zu modifi-
ciren; sie zeigt daher in jedem Moment eine Einseitigkeit, die
aber in einer Folge von Perioden das Bild einer wunderbaren
Vielseitigkeit gewährt. Jeder vorhergehende Zustand derselben
ist entweder die volle Ursach des folgenden, oder doch wenig-
stens die beschränkende, dass die äussern, andringenden Um-
stände nur gerade diesen hervorbringen können. Eben dieser
vorhergehende Zustand und die Modifikation, welche er er-
hält, bestimmt daher auch, wie die neue Lage der Umstände
auf den Menschen wirken soll, und die Macht dieser Bestim-
mung ist so gross, dass diese Umstände selbst oft eine ganz
andre Gestalt dadurch erhalten. Daher rührt es, dass alles,
was auf der Erde geschieht, gut und heilsam genannt werden
kann, weil die innere Kraft des Menschen es ist, welche sich
alles, wie seine Natur auch sein möge, bemeistert, und diese
innere Kraft in keiner ihrer Aeusserungen, da doch jede ihr
von irgend einer Seite mehr Stärke oder mehr Bildung ver-
schafft, je anders als -- nur in verschiedenen Graden -- wohl-
thätig wirken kann. Daher ferner, dass sich vielleicht die ganze
Geschichte des menschlichen Geschlechts bloss als eine natür-
liche Folge der Revolutionen der menschlichen Kraft darstellen
liesse; welches nicht nur überhaupt vielleicht die lehrreichste
Bearbeitung der Geschichte sein dürfte, sondern auch jeden,
auf Menschen zu wirken Bemühten belehren würde, welchen
Weg er die menschliche Kraft mit Fortgang zn führen ver-
suchen, und welchen er niemals derselben zumuthen müsste?
Wie daher diese innere Kraft des Menschen durch ihre Ach-
tung erregende Würde die vorzüglichste Rücksicht verdient;

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gleichmässigen, ewig einförmig wiederkehrenden Ganges in
dieser Rücksicht weniger wichtig, und die der vernunftlosen
Geschöpfe in eben derselben an sich unbedeutend sind — in
dem Besitze des Hauptantheils erblickt. Die menschliche
Kraft vermag sich in Einer Periode nur auf Eine Weise zu
äussern, aber diese Weise unendlich mannigfaltig zu modifi-
ciren; sie zeigt daher in jedem Moment eine Einseitigkeit, die
aber in einer Folge von Perioden das Bild einer wunderbaren
Vielseitigkeit gewährt. Jeder vorhergehende Zustand derselben
ist entweder die volle Ursach des folgenden, oder doch wenig-
stens die beschränkende, dass die äussern, andringenden Um-
stände nur gerade diesen hervorbringen können. Eben dieser
vorhergehende Zustand und die Modifikation, welche er er-
hält, bestimmt daher auch, wie die neue Lage der Umstände
auf den Menschen wirken soll, und die Macht dieser Bestim-
mung ist so gross, dass diese Umstände selbst oft eine ganz
andre Gestalt dadurch erhalten. Daher rührt es, dass alles,
was auf der Erde geschieht, gut und heilsam genannt werden
kann, weil die innere Kraft des Menschen es ist, welche sich
alles, wie seine Natur auch sein möge, bemeistert, und diese
innere Kraft in keiner ihrer Aeusserungen, da doch jede ihr
von irgend einer Seite mehr Stärke oder mehr Bildung ver-
schafft, je anders als — nur in verschiedenen Graden — wohl-
thätig wirken kann. Daher ferner, dass sich vielleicht die ganze
Geschichte des menschlichen Geschlechts bloss als eine natür-
liche Folge der Revolutionen der menschlichen Kraft darstellen
liesse; welches nicht nur überhaupt vielleicht die lehrreichste
Bearbeitung der Geschichte sein dürfte, sondern auch jeden,
auf Menschen zu wirken Bemühten belehren würde, welchen
Weg er die menschliche Kraft mit Fortgang zn führen ver-
suchen, und welchen er niemals derselben zumuthen müsste?
Wie daher diese innere Kraft des Menschen durch ihre Ach-
tung erregende Würde die vorzüglichste Rücksicht verdient;

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[179/0215] gleichmässigen, ewig einförmig wiederkehrenden Ganges in dieser Rücksicht weniger wichtig, und die der vernunftlosen Geschöpfe in eben derselben an sich unbedeutend sind — in dem Besitze des Hauptantheils erblickt. Die menschliche Kraft vermag sich in Einer Periode nur auf Eine Weise zu äussern, aber diese Weise unendlich mannigfaltig zu modifi- ciren; sie zeigt daher in jedem Moment eine Einseitigkeit, die aber in einer Folge von Perioden das Bild einer wunderbaren Vielseitigkeit gewährt. Jeder vorhergehende Zustand derselben ist entweder die volle Ursach des folgenden, oder doch wenig- stens die beschränkende, dass die äussern, andringenden Um- stände nur gerade diesen hervorbringen können. Eben dieser vorhergehende Zustand und die Modifikation, welche er er- hält, bestimmt daher auch, wie die neue Lage der Umstände auf den Menschen wirken soll, und die Macht dieser Bestim- mung ist so gross, dass diese Umstände selbst oft eine ganz andre Gestalt dadurch erhalten. Daher rührt es, dass alles, was auf der Erde geschieht, gut und heilsam genannt werden kann, weil die innere Kraft des Menschen es ist, welche sich alles, wie seine Natur auch sein möge, bemeistert, und diese innere Kraft in keiner ihrer Aeusserungen, da doch jede ihr von irgend einer Seite mehr Stärke oder mehr Bildung ver- schafft, je anders als — nur in verschiedenen Graden — wohl- thätig wirken kann. Daher ferner, dass sich vielleicht die ganze Geschichte des menschlichen Geschlechts bloss als eine natür- liche Folge der Revolutionen der menschlichen Kraft darstellen liesse; welches nicht nur überhaupt vielleicht die lehrreichste Bearbeitung der Geschichte sein dürfte, sondern auch jeden, auf Menschen zu wirken Bemühten belehren würde, welchen Weg er die menschliche Kraft mit Fortgang zn führen ver- suchen, und welchen er niemals derselben zumuthen müsste? Wie daher diese innere Kraft des Menschen durch ihre Ach- tung erregende Würde die vorzüglichste Rücksicht verdient; 12*

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/215>, abgerufen am 28.04.2024.