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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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Wenn das absolute Maas der Strafen keine allgemeine Bestim-
mung erlaubt; so ist dieselbe hingegen um so nothwendiger bei
dem relativen. Es muss nämlich festgesetzt werden, was es
eigentlich ist, wonach sich der Grad der, auf verschiedne Ver-
brechen gesetzten Strafen bestimmen muss? Den im Vorigen
entwickelten Grundsätzen nach, kann dies, dünkt mich, nichts
andres sein, als der Grad der Nicht-Achtung des fremden
Rechts in dem Verbrechen, ein Grad, welcher, da hier nicht
von der Anwendung eines Strafgesetzes auf einen einzelnen
Verbrecher, sondern von allgemeiner Bestimmung der Strafe
überhaupt die Rede ist, nach der Natur des Rechts beurtheilt
werden muss, welches das Verbrechen kränkt. Zwar scheint
die natürlichste Bestimmung der Grad der Leichtigkeit oder
Schwierigkeit zu sein, das Verbrechen zu verhindern, so dass
die Grösse der Strafe sich nach der Quantität der Gründe rich-
ten müsste, welche zu dem Verbrechen trieben, oder davon
zurückhielten. Allein wird dieser Grundsatz richtig verstan-
den; so ist er mit dem eben aufgestellten einerlei. Denn in
einem wohlgeordneten Staate, wo nicht in der Verfassung selbst
liegende Umstände zu Verbrechen veranlassen, kann es keinen
andern eigentlichen Grund zu Verbrechen geben, als eben jene
Nicht-Achtung des fremden Rechts, welcher sich nur die zu
Verbrechen reizenden Antriebe, Neigungen, Leidenschaften
u. s. f. bedienen. Versteht man aber jenen Satz anders, meint
man, es müssten den Verbrechen immer in dem Grade grosse
Strafen entgegengesetzt werden, in welchem gerade Lokal-
oder Zeitverhältnisse sie häufiger machen, oder gar, ihrer Natur
nach (wie es bei so manchen Polizeiverbrechen der Fall ist)
moralische Gründe sich ihnen weniger eindringend widersetzen;
so ist dieser Maasstab ungerecht und schädlich zugleich. Er
ist ungerecht. Denn so richtig es wenigstens insofern ist,
Verhinderung der Beleidigungen für die Zukunft als den Zweck
aller Strafen anzunehmen, als keine Strafe je aus einem andern

Wenn das absolute Maas der Strafen keine allgemeine Bestim-
mung erlaubt; so ist dieselbe hingegen um so nothwendiger bei
dem relativen. Es muss nämlich festgesetzt werden, was es
eigentlich ist, wonach sich der Grad der, auf verschiedne Ver-
brechen gesetzten Strafen bestimmen muss? Den im Vorigen
entwickelten Grundsätzen nach, kann dies, dünkt mich, nichts
andres sein, als der Grad der Nicht-Achtung des fremden
Rechts in dem Verbrechen, ein Grad, welcher, da hier nicht
von der Anwendung eines Strafgesetzes auf einen einzelnen
Verbrecher, sondern von allgemeiner Bestimmung der Strafe
überhaupt die Rede ist, nach der Natur des Rechts beurtheilt
werden muss, welches das Verbrechen kränkt. Zwar scheint
die natürlichste Bestimmung der Grad der Leichtigkeit oder
Schwierigkeit zu sein, das Verbrechen zu verhindern, so dass
die Grösse der Strafe sich nach der Quantität der Gründe rich-
ten müsste, welche zu dem Verbrechen trieben, oder davon
zurückhielten. Allein wird dieser Grundsatz richtig verstan-
den; so ist er mit dem eben aufgestellten einerlei. Denn in
einem wohlgeordneten Staate, wo nicht in der Verfassung selbst
liegende Umstände zu Verbrechen veranlassen, kann es keinen
andern eigentlichen Grund zu Verbrechen geben, als eben jene
Nicht-Achtung des fremden Rechts, welcher sich nur die zu
Verbrechen reizenden Antriebe, Neigungen, Leidenschaften
u. s. f. bedienen. Versteht man aber jenen Satz anders, meint
man, es müssten den Verbrechen immer in dem Grade grosse
Strafen entgegengesetzt werden, in welchem gerade Lokal-
oder Zeitverhältnisse sie häufiger machen, oder gar, ihrer Natur
nach (wie es bei so manchen Polizeiverbrechen der Fall ist)
moralische Gründe sich ihnen weniger eindringend widersetzen;
so ist dieser Maasstab ungerecht und schädlich zugleich. Er
ist ungerecht. Denn so richtig es wenigstens insofern ist,
Verhinderung der Beleidigungen für die Zukunft als den Zweck
aller Strafen anzunehmen, als keine Strafe je aus einem andern

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[144/0180] Wenn das absolute Maas der Strafen keine allgemeine Bestim- mung erlaubt; so ist dieselbe hingegen um so nothwendiger bei dem relativen. Es muss nämlich festgesetzt werden, was es eigentlich ist, wonach sich der Grad der, auf verschiedne Ver- brechen gesetzten Strafen bestimmen muss? Den im Vorigen entwickelten Grundsätzen nach, kann dies, dünkt mich, nichts andres sein, als der Grad der Nicht-Achtung des fremden Rechts in dem Verbrechen, ein Grad, welcher, da hier nicht von der Anwendung eines Strafgesetzes auf einen einzelnen Verbrecher, sondern von allgemeiner Bestimmung der Strafe überhaupt die Rede ist, nach der Natur des Rechts beurtheilt werden muss, welches das Verbrechen kränkt. Zwar scheint die natürlichste Bestimmung der Grad der Leichtigkeit oder Schwierigkeit zu sein, das Verbrechen zu verhindern, so dass die Grösse der Strafe sich nach der Quantität der Gründe rich- ten müsste, welche zu dem Verbrechen trieben, oder davon zurückhielten. Allein wird dieser Grundsatz richtig verstan- den; so ist er mit dem eben aufgestellten einerlei. Denn in einem wohlgeordneten Staate, wo nicht in der Verfassung selbst liegende Umstände zu Verbrechen veranlassen, kann es keinen andern eigentlichen Grund zu Verbrechen geben, als eben jene Nicht-Achtung des fremden Rechts, welcher sich nur die zu Verbrechen reizenden Antriebe, Neigungen, Leidenschaften u. s. f. bedienen. Versteht man aber jenen Satz anders, meint man, es müssten den Verbrechen immer in dem Grade grosse Strafen entgegengesetzt werden, in welchem gerade Lokal- oder Zeitverhältnisse sie häufiger machen, oder gar, ihrer Natur nach (wie es bei so manchen Polizeiverbrechen der Fall ist) moralische Gründe sich ihnen weniger eindringend widersetzen; so ist dieser Maasstab ungerecht und schädlich zugleich. Er ist ungerecht. Denn so richtig es wenigstens insofern ist, Verhinderung der Beleidigungen für die Zukunft als den Zweck aller Strafen anzunehmen, als keine Strafe je aus einem andern

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/180>, abgerufen am 03.05.2024.