der Mangel sicherer, bestimmter Hülfe sowohl zu Bereicherung der eigenen Erfahrung und Kenntniss mehr anspornt, als auch die Bürger unter einander enger und mannigfaltiger verbindet, indem sie mehr einer von dem Rathe des andern abhängig sind. Bleibt er der ersteren Bestimmung nicht getreu; so entsprin- gen, neben dem eben erwähnten, noch alle, im Anfange dieses Aufsatzes weiter ausgeführte Nachtheile. Schlechterdings müsste daher eine solche Veranstaltung wegfallen, um auch hier wiederum ein merkwürdiges Beispiel zu wählen, bei Reli- gionslehrern. Denn was sollte der Staat bei ihnen prüfen? Bestimmte Sätze -- davon hängt, wie oben genauer gezeigt ist, die Religion nicht ab; das Maass der intellectuellen Kräfte überhaupt -- allein bei dem Religionslehrer, welcher bestimmt ist, Dinge vorzutragen, die in so genauem Zusammenhange mit der Individualität seiner Zuhörer stehen, kommt es beinah ein- zig auf das Verhältniss seines Verstandes, zu dem Verstande dieser an, und so wird schon dadurch die Beurtheilung unmög- lich; die Rechtschaffenheit und den Charakter -- allein dafür giebt es keine andere Prüfung, als gerade eine solche, zu wel- cher die Lage des Staats sehr unbequem ist, Erkundigung nach den Umständen, dem bisherigen Betragen des Menschen u. s. f. Endlich müsste überhaupt, auch in den oben von mir selbst gebilligten Fällen, eine Veranstaltung dieser Art doch nur immer da gemacht werden, wo der nicht zweifelhafte Wille der Nation sie forderte. Denn an sich ist sie unter freien, durch Freiheit selbst kultivirten Menschen, nicht einmal nothwendig, und immer könnte sie doch manchem Missbrauch unterworfen sein. Da es mir überhaupt hier nicht um Ausführung einzelner Gegenstände, sondern nur um Bestimmung der Grundsätze zu thun ist, so will ich noch einmal kurz den Gesichtspunkt ange- ben, aus welchem allein ich einer solchen Einrichtung erwähnte. Der Staat soll nämlich auf keine Weise für das positive Wohl der Bürger sorgen, daher auch nicht für ihr Leben und ihre
der Mangel sicherer, bestimmter Hülfe sowohl zu Bereicherung der eigenen Erfahrung und Kenntniss mehr anspornt, als auch die Bürger unter einander enger und mannigfaltiger verbindet, indem sie mehr einer von dem Rathe des andern abhängig sind. Bleibt er der ersteren Bestimmung nicht getreu; so entsprin- gen, neben dem eben erwähnten, noch alle, im Anfange dieses Aufsatzes weiter ausgeführte Nachtheile. Schlechterdings müsste daher eine solche Veranstaltung wegfallen, um auch hier wiederum ein merkwürdiges Beispiel zu wählen, bei Reli- gionslehrern. Denn was sollte der Staat bei ihnen prüfen? Bestimmte Sätze — davon hängt, wie oben genauer gezeigt ist, die Religion nicht ab; das Maass der intellectuellen Kräfte überhaupt — allein bei dem Religionslehrer, welcher bestimmt ist, Dinge vorzutragen, die in so genauem Zusammenhange mit der Individualität seiner Zuhörer stehen, kommt es beinah ein- zig auf das Verhältniss seines Verstandes, zu dem Verstande dieser an, und so wird schon dadurch die Beurtheilung unmög- lich; die Rechtschaffenheit und den Charakter — allein dafür giebt es keine andere Prüfung, als gerade eine solche, zu wel- cher die Lage des Staats sehr unbequem ist, Erkundigung nach den Umständen, dem bisherigen Betragen des Menschen u. s. f. Endlich müsste überhaupt, auch in den oben von mir selbst gebilligten Fällen, eine Veranstaltung dieser Art doch nur immer da gemacht werden, wo der nicht zweifelhafte Wille der Nation sie forderte. Denn an sich ist sie unter freien, durch Freiheit selbst kultivirten Menschen, nicht einmal nothwendig, und immer könnte sie doch manchem Missbrauch unterworfen sein. Da es mir überhaupt hier nicht um Ausführung einzelner Gegenstände, sondern nur um Bestimmung der Grundsätze zu thun ist, so will ich noch einmal kurz den Gesichtspunkt ange- ben, aus welchem allein ich einer solchen Einrichtung erwähnte. Der Staat soll nämlich auf keine Weise für das positive Wohl der Bürger sorgen, daher auch nicht für ihr Leben und ihre
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der Mangel sicherer, bestimmter Hülfe sowohl zu Bereicherung
der eigenen Erfahrung und Kenntniss mehr anspornt, als auch
die Bürger unter einander enger und mannigfaltiger verbindet,
indem sie mehr einer von dem Rathe des andern abhängig sind.
Bleibt er der ersteren Bestimmung nicht getreu; so entsprin-
gen, neben dem eben erwähnten, noch alle, im Anfange dieses
Aufsatzes weiter ausgeführte Nachtheile. Schlechterdings
müsste daher eine solche Veranstaltung wegfallen, um auch
hier wiederum ein merkwürdiges Beispiel zu wählen, bei Reli-
gionslehrern. Denn was sollte der Staat bei ihnen prüfen?
Bestimmte Sätze — davon hängt, wie oben genauer gezeigt ist,
die Religion nicht ab; das Maass der intellectuellen Kräfte
überhaupt — allein bei dem Religionslehrer, welcher bestimmt
ist, Dinge vorzutragen, die in so genauem Zusammenhange mit
der Individualität seiner Zuhörer stehen, kommt es beinah ein-
zig auf das Verhältniss seines Verstandes, zu dem Verstande
dieser an, und so wird schon dadurch die Beurtheilung unmög-
lich; die Rechtschaffenheit und den Charakter — allein dafür
giebt es keine andere Prüfung, als gerade eine solche, zu wel-
cher die Lage des Staats sehr unbequem ist, Erkundigung nach
den Umständen, dem bisherigen Betragen des Menschen u. s. f.
Endlich müsste überhaupt, auch in den oben von mir selbst
gebilligten Fällen, eine Veranstaltung dieser Art doch nur
immer da gemacht werden, wo der nicht zweifelhafte Wille der
Nation sie forderte. Denn an sich ist sie unter freien, durch
Freiheit selbst kultivirten Menschen, nicht einmal nothwendig,
und immer könnte sie doch manchem Missbrauch unterworfen
sein. Da es mir überhaupt hier nicht um Ausführung einzelner
Gegenstände, sondern nur um Bestimmung der Grundsätze zu
thun ist, so will ich noch einmal kurz den Gesichtspunkt ange-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/146>, abgerufen am 17.07.2024.
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