hinzuführen scheinen; so klage ich allein den Mangel der Tiefe meiner intellektuellen Kräfte an. Könnte ich diese Ideen hier weiter verfolgen, so würde ich auf die gewiss äusserst schwie- rige, aber auch ebenso interessante Untersuchung stossen: welcher Unterschied eigentlich zwischen der Geistesbildung des Metapkysikers und des Dichters ist? und wenn nicht viel- leicht eine vollständige, wiederholte Prüfung die Resultate mei- nes bisherigen Nachdenkens hierüber wiederum umstiesse, so würde ich diesen Unterschied blos darauf einschränken, dass der Philosoph sich allein mit Perceptionen, der Dichter hin- gegen mit Sensationen beschäftigt, beide aber übrigens des- selben Maasses und derselben Bildung der Geisteskräfte bedürfen. Allein dies würde mich zu weit von meinem gegenwärtigen Endzwecke entfernen, und ich hoffe selbst durch die wenigen, im Vorigen angeführten Gründe, hinlänglich bescheinigt zu haben, dass, auch um den ruhigsten Denker zu bilden, Genuss der Sinne und der Phantasie oft um die Seele gespielt haben muss. Gehen wir aber gar von transcendentalen Untersuchun- gen zu psychologischen über, wird der Mensch, wie er erscheint, unser Studium, wie wird da nicht der das gestaltenreiche Geschlecht am tiefsten erforschen, und am wahrsten und leben- digsten darstellen, dessen eigner Empfindung selbst die wenig- sten dieser Gestalten fremd sind?
Daher erscheint der also gebildete Mensch in seiner höch- sten Schönheit, wenn er ins praktische Leben tritt, wenn er, was er in sich aufgenommen hat, zu neuen Schöpfungen in und ausser sich fruchtbar macht. Die Analogie zwischen den Gesetzen der plastischen Natur, und denen des geistigen Schaffens ist schon mit einem wahrlich unendlich genievollen Blicke beobachtet, und mit treffenden Bemerkungen bewährt worden 1). Doch vielleicht wäre eine noch anziehendere Aus-
1) F. v. Dalberg vom Bilden und Erfinden.
hinzuführen scheinen; so klage ich allein den Mangel der Tiefe meiner intellektuellen Kräfte an. Könnte ich diese Ideen hier weiter verfolgen, so würde ich auf die gewiss äusserst schwie- rige, aber auch ebenso interessante Untersuchung stossen: welcher Unterschied eigentlich zwischen der Geistesbildung des Metapkysikers und des Dichters ist? und wenn nicht viel- leicht eine vollständige, wiederholte Prüfung die Resultate mei- nes bisherigen Nachdenkens hierüber wiederum umstiesse, so würde ich diesen Unterschied blos darauf einschränken, dass der Philosoph sich allein mit Perceptionen, der Dichter hin- gegen mit Sensationen beschäftigt, beide aber übrigens des- selben Maasses und derselben Bildung der Geisteskräfte bedürfen. Allein dies würde mich zu weit von meinem gegenwärtigen Endzwecke entfernen, und ich hoffe selbst durch die wenigen, im Vorigen angeführten Gründe, hinlänglich bescheinigt zu haben, dass, auch um den ruhigsten Denker zu bilden, Genuss der Sinne und der Phantasie oft um die Seele gespielt haben muss. Gehen wir aber gar von transcendentalen Untersuchun- gen zu psychologischen über, wird der Mensch, wie er erscheint, unser Studium, wie wird da nicht der das gestaltenreiche Geschlecht am tiefsten erforschen, und am wahrsten und leben- digsten darstellen, dessen eigner Empfindung selbst die wenig- sten dieser Gestalten fremd sind?
Daher erscheint der also gebildete Mensch in seiner höch- sten Schönheit, wenn er ins praktische Leben tritt, wenn er, was er in sich aufgenommen hat, zu neuen Schöpfungen in und ausser sich fruchtbar macht. Die Analogie zwischen den Gesetzen der plastischen Natur, und denen des geistigen Schaffens ist schon mit einem wahrlich unendlich genievollen Blicke beobachtet, und mit treffenden Bemerkungen bewährt worden 1). Doch vielleicht wäre eine noch anziehendere Aus-
1) F. v. Dalberg vom Bilden und Erfinden.
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hinzuführen scheinen; so klage ich allein den Mangel der Tiefe
meiner intellektuellen Kräfte an. Könnte ich diese Ideen hier
weiter verfolgen, so würde ich auf die gewiss äusserst schwie-
rige, aber auch ebenso interessante Untersuchung stossen:
welcher Unterschied eigentlich zwischen der Geistesbildung
des Metapkysikers und des Dichters ist? und wenn nicht viel-
leicht eine vollständige, wiederholte Prüfung die Resultate mei-
nes bisherigen Nachdenkens hierüber wiederum umstiesse, so
würde ich diesen Unterschied blos darauf einschränken, dass
der Philosoph sich allein mit Perceptionen, der Dichter hin-
gegen mit Sensationen beschäftigt, beide aber übrigens des-
selben Maasses und derselben Bildung der Geisteskräfte bedürfen.
Allein dies würde mich zu weit von meinem gegenwärtigen
Endzwecke entfernen, und ich hoffe selbst durch die wenigen,
im Vorigen angeführten Gründe, hinlänglich bescheinigt zu
haben, dass, auch um den ruhigsten Denker zu bilden, Genuss
der Sinne und der Phantasie oft um die Seele gespielt haben
muss. Gehen wir aber gar von transcendentalen Untersuchun-
gen zu psychologischen über, wird der Mensch, wie er erscheint,
unser Studium, wie wird da nicht der das gestaltenreiche
Geschlecht am tiefsten erforschen, und am wahrsten und leben-
digsten darstellen, dessen eigner Empfindung selbst die wenig-
sten dieser Gestalten fremd sind?
Daher erscheint der also gebildete Mensch in seiner höch-
sten Schönheit, wenn er ins praktische Leben tritt, wenn er,
was er in sich aufgenommen hat, zu neuen Schöpfungen in und
ausser sich fruchtbar macht. Die Analogie zwischen den
Gesetzen der plastischen Natur, und denen des geistigen
Schaffens ist schon mit einem wahrlich unendlich genievollen
Blicke beobachtet, und mit treffenden Bemerkungen bewährt
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1) F. v. Dalberg vom Bilden und Erfinden.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/129>, abgerufen am 16.02.2025.
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