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Humboldt, Alexander von: Über die Chinawälder in Südamerika. In: Magazin für die neusten Entdeckungen in der gesammten Naturkunde, 1. Jg. (1807), S. 57-68, 104-120.

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1) Nicht eine Species, sondern alle mit haarigen und filzigen Blüthen ver-
sehenen Cinchonen sind officinell, und keine Art verdient einen absolu-
ten Vorzug vor allen, da nach Verschiedenheit der Krankheitsformen
verschiedene Species, z. B. in intermittirenden eingewurzelten Fiebern,
C. Condaminea und C. lancifolia Mut. bei Muskelkrankheiten oder ei-
ternden Geschwüren C. oblongifolia Mut. in der Nachkur, um Rück-
fälle zu vermeiden, die mildere C. cordifolia Mut. anzuwenden ist.
2) In den Schriften der Botaniker werden ganz heterogene Cinchona-
Arten unter dem Namen C. officinalis beschrieben. Hätten wir die China
von Uritusinga mit demselbeu Namen belegt, so hätte man sie mit der
gelben C. cordifolia Mut., mit der weißen C. macrocarpa Vahl, oder
gar mit C. nitida Ruiz, welche drei Species zu verschiedenen Zeiten
C. officinalis geheißen haben, verwechselt.

Dieser letztere für die botanische Synonymie und die Materia me-
dica gleich wichtige Punkt verdient eine genauere Erläuterung. Man
frägt: welches Gewächs hat Linne in der 12ten Ausgabe des Systema Na-
turae C. officinalis genannt? Vahl behauptet, es sei seine C. macro-
carpa*) aus dem Königreich Neu-Grenada, die ihm Ortega mittheilte.
Da nun aber C. macrocarpa Vahl nichts anders als unsere weiße groß-
blüthige China von S. Fe, C. ovalifolia Mut. ist, und laut Herrn Mutis
eigenem Zeugniß diese nie von Linne gesehen ward, so darf C. macro-
carpa
Vahl nicht als Synonym von C. officinalis Linn. Syst. Nat. ed. 12.
aufgeführt werden. Der große Kopenhagner Botaniker, dessen frühzei-
tigen Tod alle Freunde der Pflanzenkunde mit Recht betrauern, ward zu
einer irrigen Synonymie dadurch verleitet, daß er 1) wußte, Linne habe
im spätern Zeitraum seine Beschreibung der C. officinalis auf Exemplare
gegründet, welche er von S. Fe erhielt, und 2) daß er fälschlich voraus
setzte, alle um S. Fe von Mutis entdeckten Chinawälder beständen aus
weißer Fieberrinde, oder C. macrocarpa.

Linne vereinigte, wie schon oben bemerkt worden ist, zwei ganz
verschiedene Pflanzen unter der Benennung C. officinalis. Das getrock-
nete Exemplar, welches er zur selbst entworfenen Diagnose benutzte,
war (wie mich Herr Mutis wiederholt mündlich versichert hat) gelbe
China, C. cordifolia Mut., und dieselbe Species, welche Vahl C. pubescens
nennt, von der aber eine Varietät völlig glatte Blätter, folia utrinque gla-
bra, hat. Als Synonym führte Linne die von la Condamine in den
Mem. de l'Academie 1738 beschriebene Art an. Er vereinigte demnach
eine Species von S. Fe mit einer andern, welche ausschließlich in der
Gegend von Loxa wächst.

*) Act. Havn I. p. 19. Lambert p. 22.
1) Nicht eine Species, sondern alle mit haarigen und filzigen Blüthen ver-
sehenen Cinchonen sind officinell, und keine Art verdient einen absolu-
ten Vorzug vor allen, da nach Verschiedenheit der Krankheitsformen
verschiedene Species, z. B. in intermittirenden eingewurzelten Fiebern,
C. Condaminea und C. lancifolia Mut. bei Muskelkrankheiten oder ei-
ternden Geschwüren C. oblongifolia Mut. in der Nachkur, um Rück-
fälle zu vermeiden, die mildere C. cordifolia Mut. anzuwenden ist.
2) In den Schriften der Botaniker werden ganz heterogene Cinchona-
Arten unter dem Namen C. officinalis beschrieben. Hätten wir die China
von Uritusinga mit demselbeu Namen belegt, so hätte man sie mit der
gelben C. cordifolia Mut., mit der weißen C. macrocarpa Vahl, oder
gar mit C. nitida Ruiz, welche drei Species zu verschiedenen Zeiten
C. officinalis geheißen haben, verwechselt.

Dieser letztere für die botanische Synonymie und die Materia me-
dica gleich wichtige Punkt verdient eine genauere Erläuterung. Man
frägt: welches Gewächs hat Linné in der 12ten Ausgabe des Systema Na-
turae C. officinalis genannt? Vahl behauptet, es sei seine C. macro-
carpa*) aus dem Königreich Neu-Grenada, die ihm Ortega mittheilte.
Da nun aber C. macrocarpa Vahl nichts anders als unsere weiße groß-
blüthige China von S. Fe, C. ovalifolia Mut. ist, und laut Herrn Mutis
eigenem Zeugniß diese nie von Linné gesehen ward, so darf C. macro-
carpa
Vahl nicht als Synonym von C. officinalis Linn. Syst. Nat. ed. 12.
aufgeführt werden. Der große Kopenhagner Botaniker, dessen frühzei-
tigen Tod alle Freunde der Pflanzenkunde mit Recht betrauern, ward zu
einer irrigen Synonymie dadurch verleitet, daß er 1) wußte, Linné habe
im spätern Zeitraum seine Beschreibung der C. officinalis auf Exemplare
gegründet, welche er von S. Fe erhielt, und 2) daß er fälschlich voraus
setzte, alle um S. Fe von Mutis entdeckten Chinawälder beständen aus
weißer Fieberrinde, oder C. macrocarpa.

Linné vereinigte, wie schon oben bemerkt worden ist, zwei ganz
verschiedene Pflanzen unter der Benennung C. officinalis. Das getrock-
nete Exemplar, welches er zur selbst entworfenen Diagnose benutzte,
war (wie mich Herr Mutis wiederholt mündlich versichert hat) gelbe
China, C. cordifolia Mut., und dieselbe Species, welche Vahl C. pubescens
nennt, von der aber eine Varietät völlig glatte Blätter, folia utrinque gla-
bra, hat. Als Synonym führte Linné die von la Condamine in den
Mém. de l’Academie 1738 beschriebene Art an. Er vereinigte demnach
eine Species von S. Fe mit einer andern, welche ausschließlich in der
Gegend von Loxa wächst.

*) Act. Havn I. p. 19. Lambert p. 22.
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[113/0023] 1) Nicht eine Species, sondern alle mit haarigen und filzigen Blüthen ver- sehenen Cinchonen sind officinell, und keine Art verdient einen absolu- ten Vorzug vor allen, da nach Verschiedenheit der Krankheitsformen verschiedene Species, z. B. in intermittirenden eingewurzelten Fiebern, C. Condaminea und C. lancifolia Mut. bei Muskelkrankheiten oder ei- ternden Geschwüren C. oblongifolia Mut. in der Nachkur, um Rück- fälle zu vermeiden, die mildere C. cordifolia Mut. anzuwenden ist. 2) In den Schriften der Botaniker werden ganz heterogene Cinchona- Arten unter dem Namen C. officinalis beschrieben. Hätten wir die China von Uritusinga mit demselbeu Namen belegt, so hätte man sie mit der gelben C. cordifolia Mut., mit der weißen C. macrocarpa Vahl, oder gar mit C. nitida Ruiz, welche drei Species zu verschiedenen Zeiten C. officinalis geheißen haben, verwechselt. Dieser letztere für die botanische Synonymie und die Materia me- dica gleich wichtige Punkt verdient eine genauere Erläuterung. Man frägt: welches Gewächs hat Linné in der 12ten Ausgabe des Systema Na- turae C. officinalis genannt? Vahl behauptet, es sei seine C. macro- carpa *) aus dem Königreich Neu-Grenada, die ihm Ortega mittheilte. Da nun aber C. macrocarpa Vahl nichts anders als unsere weiße groß- blüthige China von S. Fe, C. ovalifolia Mut. ist, und laut Herrn Mutis eigenem Zeugniß diese nie von Linné gesehen ward, so darf C. macro- carpa Vahl nicht als Synonym von C. officinalis Linn. Syst. Nat. ed. 12. aufgeführt werden. Der große Kopenhagner Botaniker, dessen frühzei- tigen Tod alle Freunde der Pflanzenkunde mit Recht betrauern, ward zu einer irrigen Synonymie dadurch verleitet, daß er 1) wußte, Linné habe im spätern Zeitraum seine Beschreibung der C. officinalis auf Exemplare gegründet, welche er von S. Fe erhielt, und 2) daß er fälschlich voraus setzte, alle um S. Fe von Mutis entdeckten Chinawälder beständen aus weißer Fieberrinde, oder C. macrocarpa. Linné vereinigte, wie schon oben bemerkt worden ist, zwei ganz verschiedene Pflanzen unter der Benennung C. officinalis. Das getrock- nete Exemplar, welches er zur selbst entworfenen Diagnose benutzte, war (wie mich Herr Mutis wiederholt mündlich versichert hat) gelbe China, C. cordifolia Mut., und dieselbe Species, welche Vahl C. pubescens nennt, von der aber eine Varietät völlig glatte Blätter, folia utrinque gla- bra, hat. Als Synonym führte Linné die von la Condamine in den Mém. de l’Academie 1738 beschriebene Art an. Er vereinigte demnach eine Species von S. Fe mit einer andern, welche ausschließlich in der Gegend von Loxa wächst. *) Act. Havn I. p. 19. Lambert p. 22.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Über die Chinawälder in Südamerika. In: Magazin für die neusten Entdeckungen in der gesammten Naturkunde, 1. Jg. (1807), S. 57-68, 104-120, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_chinawaelder_1807/23>, abgerufen am 29.03.2024.