Humboldt, Alexander von: Mexicanische Alterthümer. In: Annalen der Erd-, Länder- und Völkerkunde. Bd. 11, H. 4 (1835), S. 321-325.
Annalen, Januar 1835. -- Länder- u. Völkerkunde. Culhuacan der Tzendalen) liegen; südlich von der Landenge von Pa-nama das Reich der Muyscas (Cundinamarca oder Neü-Granada), wo ein geistliches und ein weltliches Oberhaupt waren; die Hochebenen von Quito, Couzco und Titicaca. Ackerbauende Völker, von Priester- gewalt und politischen Jnstitutionen bedrückt, die der Ausbildung des Einzelnen, nicht dem materiellen Wohlstande und einer Cultur der Masse, wie wir sie in Ägypten, bei den Rasenern (Etruskern) und in Tübet sehen, hinderlich waren, bewohnten nur den gebirgigen Theil des Neüen Continents, der Asien gegenüber liegt. Jn dem östlichen, ebenern Theile schwärmten Jägervölker, von roher Gesittung, umher. Der Übergang vom Jagdleben zur festen Ansiedelung war um so schwerer, als der Mangel milchgebender Hausthiere in America das Hirtenleben unmöglich machte. Der hier bezeichnete Contrast, einer der wichtigsten Grundzüge der Geschichte jenes Welttheils, übt noch gegenwärtig einen mächtigen Einfluß auf die Schicksale der amerikanischen Staaten aus. Jm Westen bilden die ackerbauenden Urbewohner einen wichtigen Theil der Bevölkerung. Die eüropäischen Ansiedler sind nur der alten Civi- lisation gefolgt; sie haben alten mexicanischen und peruanischen Städ- ten neue Namen gegeben. Jm Osten sind dagegen die wilden Jäger- völker zurückgedrängt und dem gänzlichen Untergange nahe gebracht wor- den. Die weiße und africanische Race und ihre Gemische bilden allein die Bevölkerung in Nord-America und Brasilien. Die Staaten, ge- gen welche Cortez und Pizarro gekämpft, existirten aber nicht, als scandinavische Seefahrer, im Anfange des 11ten Jahrhunderts, Win- land entdeckten. Die Cultur und Verbreitung ackerbauender Völker, welche die Spanier im westlichen Alpenlande fanden, war kaum 300 Jahre alt. Hätte die scandinavische Entdeckung des nördlichen America's dauernde Folgen gehabt, so würde der Zustand der eüropäi- schen Ansiedelungen ganz von dem verschieden sein, der jetzt die östlichen und westlichen Theile jenes Continents charakterisirt. Von den großen Bauwerken, die Herr Nebel gezeichnet, sind Annalen, Januar 1835. — Länder- u. Völkerkunde. Culhuacan der Tzendalen) liegen; ſüdlich von der Landenge von Pa-nama das Reich der Muyscas (Cundinamarca oder Neü-Granada), wo ein geiſtliches und ein weltliches Oberhaupt waren; die Hochebenen von Quito, Couzco und Titicaca. Ackerbauende Völker, von Prieſter- gewalt und politiſchen Jnſtitutionen bedrückt, die der Ausbildung des Einzelnen, nicht dem materiellen Wohlſtande und einer Cultur der Maſſe, wie wir ſie in Ägypten, bei den Raſenern (Etruskern) und in Tübet ſehen, hinderlich waren, bewohnten nur den gebirgigen Theil des Neüen Continents, der Aſien gegenüber liegt. Jn dem öſtlichen, ebenern Theile ſchwärmten Jägervölker, von roher Geſittung, umher. Der Übergang vom Jagdleben zur feſten Anſiedelung war um ſo ſchwerer, als der Mangel milchgebender Hausthiere in America das Hirtenleben unmöglich machte. Der hier bezeichnete Contraſt, einer der wichtigſten Grundzüge der Geſchichte jenes Welttheils, übt noch gegenwärtig einen mächtigen Einfluß auf die Schickſale der amerikaniſchen Staaten aus. Jm Weſten bilden die ackerbauenden Urbewohner einen wichtigen Theil der Bevölkerung. Die eüropäiſchen Anſiedler ſind nur der alten Civi- liſation gefolgt; ſie haben alten mexicaniſchen und peruaniſchen Städ- ten neue Namen gegeben. Jm Oſten ſind dagegen die wilden Jäger- völker zurückgedrängt und dem gänzlichen Untergange nahe gebracht wor- den. Die weiße und africaniſche Raçe und ihre Gemiſche bilden allein die Bevölkerung in Nord-America und Braſilien. Die Staaten, ge- gen welche Cortez und Pizarro gekämpft, exiſtirten aber nicht, als ſcandinaviſche Seefahrer, im Anfange des 11ten Jahrhunderts, Win- land entdeckten. Die Cultur und Verbreitung ackerbauender Völker, welche die Spanier im weſtlichen Alpenlande fanden, war kaum 300 Jahre alt. Hätte die ſcandinaviſche Entdeckung des nördlichen America's dauernde Folgen gehabt, ſo würde der Zuſtand der eüropäi- ſchen Anſiedelungen ganz von dem verſchieden ſein, der jetzt die öſtlichen und weſtlichen Theile jenes Continents charakteriſirt. Von den großen Bauwerken, die Herr Nebel gezeichnet, ſind <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0004" n="324"/><lb/> <fw type="header" place="top">Annalen, Januar 1835. — Länder- u. Völkerkunde.</fw><lb/> Culhuacan der Tzendalen) liegen; ſüdlich von der Landenge von Pa-<lb/> nama das Reich <choice><sic>des</sic><corr>der</corr></choice> Muyscas (Cundinamarca oder Neü-Granada),<lb/> wo ein geiſtliches und ein weltliches Oberhaupt waren; die Hochebenen<lb/> von Quito, Couzco und Titicaca. Ackerbauende Völker, von Prieſter-<lb/> gewalt und politiſchen Jnſtitutionen bedrückt, die der Ausbildung des<lb/> Einzelnen, nicht dem materiellen Wohlſtande und einer Cultur der Maſſe,<lb/> wie wir ſie in Ägypten, bei den Raſenern (Etruskern) und in Tübet<lb/> ſehen, hinderlich waren, bewohnten nur den gebirgigen Theil des Neüen<lb/> Continents, der Aſien gegenüber liegt. Jn dem öſtlichen, ebenern<lb/> Theile ſchwärmten Jägervölker, von roher Geſittung, umher. Der<lb/> Übergang vom Jagdleben zur feſten Anſiedelung war um ſo ſchwerer,<lb/> als der Mangel milchgebender Hausthiere in America das Hirtenleben<lb/> unmöglich machte. Der hier bezeichnete Contraſt, einer der wichtigſten<lb/> Grundzüge der Geſchichte jenes Welttheils, übt noch gegenwärtig einen<lb/> mächtigen Einfluß auf die Schickſale der amerikaniſchen Staaten aus.<lb/> Jm Weſten bilden die ackerbauenden Urbewohner einen wichtigen Theil<lb/> der Bevölkerung. Die eüropäiſchen Anſiedler ſind nur der alten Civi-<lb/> liſation gefolgt; ſie haben alten mexicaniſchen und peruaniſchen Städ-<lb/> ten neue Namen gegeben. Jm Oſten ſind dagegen die wilden Jäger-<lb/> völker zurückgedrängt und dem gänzlichen Untergange nahe gebracht wor-<lb/> den. Die weiße und africaniſche Raçe und ihre Gemiſche bilden allein<lb/> die Bevölkerung in Nord-America und Braſilien. Die Staaten, ge-<lb/> gen welche Cortez und Pizarro gekämpft, exiſtirten aber nicht, als<lb/> ſcandinaviſche Seefahrer, im Anfange des 11ten Jahrhunderts, Win-<lb/> land entdeckten. Die Cultur und Verbreitung ackerbauender Völker,<lb/> welche die Spanier im weſtlichen Alpenlande fanden, war kaum<lb/> 300 Jahre alt. Hätte die ſcandinaviſche Entdeckung des nördlichen<lb/> America's dauernde Folgen gehabt, ſo würde der Zuſtand der eüropäi-<lb/> ſchen Anſiedelungen ganz von dem verſchieden ſein, der jetzt die öſtlichen<lb/> und weſtlichen Theile jenes Continents charakteriſirt.</p><lb/> <p>Von den großen Bauwerken, die Herr <hi rendition="#g">Nebel</hi> gezeichnet, ſind<lb/> einige, die Pyramiden von Cholula (Cholollan) und Papantla, wahr-<lb/> ſcheinlich toltekiſchen und alſo älteren Urſprungs, als die Entdeckungs-<lb/> Fahrten von Biarn und Leif Erikſon. Die erſtere dieſer Pyramiden,<lb/> welche 1350 Fuß lang und 178 Fuß hoch iſt, war nach dem Muſter<lb/> des wohl orientirten Teocalli's von Teotihuacan, unfern des See's von<lb/> Tezcuco, erbaut. Die Zeichnungen des Architekten <hi rendition="#g">Nebel</hi>, den wir<lb/> die Freüde gehabt haben, vor wenigen Wochen in unſeren Mauern zu<lb/> beſitzen, ſind aber nicht bloß von geometriſcher Genauigkeit und charak-<lb/> teriſtiſch treü in Auffaſſung des eigenthümlichen Styls der Basreliefs<lb/> und anderer Sculpturen, ſie haben auch einen großen künſtleriſchen<lb/> Werth in landſchaftlicher Hinſicht. Die üppige Fülle und der wilde<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [324/0004]
Annalen, Januar 1835. — Länder- u. Völkerkunde.
Culhuacan der Tzendalen) liegen; ſüdlich von der Landenge von Pa-
nama das Reich der Muyscas (Cundinamarca oder Neü-Granada),
wo ein geiſtliches und ein weltliches Oberhaupt waren; die Hochebenen
von Quito, Couzco und Titicaca. Ackerbauende Völker, von Prieſter-
gewalt und politiſchen Jnſtitutionen bedrückt, die der Ausbildung des
Einzelnen, nicht dem materiellen Wohlſtande und einer Cultur der Maſſe,
wie wir ſie in Ägypten, bei den Raſenern (Etruskern) und in Tübet
ſehen, hinderlich waren, bewohnten nur den gebirgigen Theil des Neüen
Continents, der Aſien gegenüber liegt. Jn dem öſtlichen, ebenern
Theile ſchwärmten Jägervölker, von roher Geſittung, umher. Der
Übergang vom Jagdleben zur feſten Anſiedelung war um ſo ſchwerer,
als der Mangel milchgebender Hausthiere in America das Hirtenleben
unmöglich machte. Der hier bezeichnete Contraſt, einer der wichtigſten
Grundzüge der Geſchichte jenes Welttheils, übt noch gegenwärtig einen
mächtigen Einfluß auf die Schickſale der amerikaniſchen Staaten aus.
Jm Weſten bilden die ackerbauenden Urbewohner einen wichtigen Theil
der Bevölkerung. Die eüropäiſchen Anſiedler ſind nur der alten Civi-
liſation gefolgt; ſie haben alten mexicaniſchen und peruaniſchen Städ-
ten neue Namen gegeben. Jm Oſten ſind dagegen die wilden Jäger-
völker zurückgedrängt und dem gänzlichen Untergange nahe gebracht wor-
den. Die weiße und africaniſche Raçe und ihre Gemiſche bilden allein
die Bevölkerung in Nord-America und Braſilien. Die Staaten, ge-
gen welche Cortez und Pizarro gekämpft, exiſtirten aber nicht, als
ſcandinaviſche Seefahrer, im Anfange des 11ten Jahrhunderts, Win-
land entdeckten. Die Cultur und Verbreitung ackerbauender Völker,
welche die Spanier im weſtlichen Alpenlande fanden, war kaum
300 Jahre alt. Hätte die ſcandinaviſche Entdeckung des nördlichen
America's dauernde Folgen gehabt, ſo würde der Zuſtand der eüropäi-
ſchen Anſiedelungen ganz von dem verſchieden ſein, der jetzt die öſtlichen
und weſtlichen Theile jenes Continents charakteriſirt.
Von den großen Bauwerken, die Herr Nebel gezeichnet, ſind
einige, die Pyramiden von Cholula (Cholollan) und Papantla, wahr-
ſcheinlich toltekiſchen und alſo älteren Urſprungs, als die Entdeckungs-
Fahrten von Biarn und Leif Erikſon. Die erſtere dieſer Pyramiden,
welche 1350 Fuß lang und 178 Fuß hoch iſt, war nach dem Muſter
des wohl orientirten Teocalli's von Teotihuacan, unfern des See's von
Tezcuco, erbaut. Die Zeichnungen des Architekten Nebel, den wir
die Freüde gehabt haben, vor wenigen Wochen in unſeren Mauern zu
beſitzen, ſind aber nicht bloß von geometriſcher Genauigkeit und charak-
teriſtiſch treü in Auffaſſung des eigenthümlichen Styls der Basreliefs
und anderer Sculpturen, ſie haben auch einen großen künſtleriſchen
Werth in landſchaftlicher Hinſicht. Die üppige Fülle und der wilde
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_alterthuemer_1835 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_alterthuemer_1835/4 |
| Zitationshilfe: | Humboldt, Alexander von: Mexicanische Alterthümer. In: Annalen der Erd-, Länder- und Völkerkunde. Bd. 11, H. 4 (1835), S. 321-325, hier S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_alterthuemer_1835/4>, abgerufen am 04.05.2024. |
