Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

giesischen Missionären heißt dieses Land gemeiniglich die
Parime
. Hier, wie in verschiedenen anderen Ländern von
Spanisch-Amerika, haben die Wilden wieder erobert, was die
Civilisation oder vielmehr die Missionäre, die nur die Vor-
läufer der Civilisation sind, ihnen abgerungen. Solanos
Grenzexpedition und der abenteuerliche Eifer, mit dem ein
Statthalter von Guyana 1 den Dorado suchte, hatte in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Unternehmungs-
geist wieder wachgerufen, der die Kastilianer bei der Ent-
deckung von Amerika beseelte. Man hatte am Rio Padamo
hinauf durch Wälder und Savannen einen Weg von zehn
Tagereisen von Esmeralda zu den Quellen des Ventuari ent-
deckt; in zwei weiteren Tagen war man von diesen Quellen
auf dem Erevato in die Missionen am Rio Caura gelangt.
Zwei verständige, beherzte Männer, Don Antonio Santos
und der Kapitän Bareto, hatten mit Hilfe der Maquiritares
auf dieser Linie von Esmeralda an den Rio Erevato eine
militärische Postenkette angelegt; dieselbe bestand aus zwei-
stockigen, mit Steinböllern besetzten Häusern (casas fuertes),
wie ich sie oben beschrieben und die auf den Karten, die
zu Madrid herauskamen, als 19 Dörfer figurierten. Die
sich selbst überlassenen Soldaten bedrückten in jeder Weise
die Indianer, die ihre Pflanzungen bei den Casas fuertes
hatten, und da diese Plackereien nicht so methodisch waren,
das heißt nicht so gut ineinander griffen wie die in den
Missionen, an die sich die Indianer nach und nach gewöhnen,
so verbündeten sich im Jahre 1776 mehrere Stämme gegen
die Spanier. In einer Nacht wurden alle Militärposten
auf der ganzen 225 km langen Linie angegriffen, die Häuser
niedergebrannt, viele Soldaten niedergemacht; nur wenige
verdankten ihr Leben dem Erbarmen der indianischen Weiber.
Noch jetzt spricht man mit Entsetzen von diesem nächtlichen
Ueberfall. Derselbe wurde in der tiefsten Heimlichkeit ver-
abredet und mit der Uebereinstimmung ausgeführt, die bei
den Eingeborenen von Süd- wie von Nordamerika, welche
feindselige Gefühle so meisterhaft in sich zu verschließen wissen,
niemals fehlt, wo es sich um gemeinsamen Vorteil handelt.
Seit 1776 hat nun kein Mensch mehr daran gedacht, den
Landweg vom oberen an den unteren Orinoko wiederher-

1 Don Manuel Centurion, Governador y Comendante general
de la Guayana
von 1766 bis 1777.

gieſiſchen Miſſionären heißt dieſes Land gemeiniglich die
Parime
. Hier, wie in verſchiedenen anderen Ländern von
Spaniſch-Amerika, haben die Wilden wieder erobert, was die
Civiliſation oder vielmehr die Miſſionäre, die nur die Vor-
läufer der Civiliſation ſind, ihnen abgerungen. Solanos
Grenzexpedition und der abenteuerliche Eifer, mit dem ein
Statthalter von Guyana 1 den Dorado ſuchte, hatte in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Unternehmungs-
geiſt wieder wachgerufen, der die Kaſtilianer bei der Ent-
deckung von Amerika beſeelte. Man hatte am Rio Padamo
hinauf durch Wälder und Savannen einen Weg von zehn
Tagereiſen von Esmeralda zu den Quellen des Ventuari ent-
deckt; in zwei weiteren Tagen war man von dieſen Quellen
auf dem Erevato in die Miſſionen am Rio Caura gelangt.
Zwei verſtändige, beherzte Männer, Don Antonio Santos
und der Kapitän Bareto, hatten mit Hilfe der Maquiritares
auf dieſer Linie von Esmeralda an den Rio Erevato eine
militäriſche Poſtenkette angelegt; dieſelbe beſtand aus zwei-
ſtockigen, mit Steinböllern beſetzten Häuſern (casas fuertes),
wie ich ſie oben beſchrieben und die auf den Karten, die
zu Madrid herauskamen, als 19 Dörfer figurierten. Die
ſich ſelbſt überlaſſenen Soldaten bedrückten in jeder Weiſe
die Indianer, die ihre Pflanzungen bei den Casas fuertes
hatten, und da dieſe Plackereien nicht ſo methodiſch waren,
das heißt nicht ſo gut ineinander griffen wie die in den
Miſſionen, an die ſich die Indianer nach und nach gewöhnen,
ſo verbündeten ſich im Jahre 1776 mehrere Stämme gegen
die Spanier. In einer Nacht wurden alle Militärpoſten
auf der ganzen 225 km langen Linie angegriffen, die Häuſer
niedergebrannt, viele Soldaten niedergemacht; nur wenige
verdankten ihr Leben dem Erbarmen der indianiſchen Weiber.
Noch jetzt ſpricht man mit Entſetzen von dieſem nächtlichen
Ueberfall. Derſelbe wurde in der tiefſten Heimlichkeit ver-
abredet und mit der Uebereinſtimmung ausgeführt, die bei
den Eingeborenen von Süd- wie von Nordamerika, welche
feindſelige Gefühle ſo meiſterhaft in ſich zu verſchließen wiſſen,
niemals fehlt, wo es ſich um gemeinſamen Vorteil handelt.
Seit 1776 hat nun kein Menſch mehr daran gedacht, den
Landweg vom oberen an den unteren Orinoko wiederher-

1 Don Manuel Centurion, Governador y Comendante general
de la Guayana
von 1766 bis 1777.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0096" n="88"/>
gie&#x017F;i&#x017F;chen Mi&#x017F;&#x017F;ionären heißt die&#x017F;es Land gemeiniglich <hi rendition="#g">die<lb/>
Parime</hi>. Hier, wie in ver&#x017F;chiedenen anderen Ländern von<lb/>
Spani&#x017F;ch-Amerika, haben die Wilden wieder erobert, was die<lb/>
Civili&#x017F;ation oder vielmehr die Mi&#x017F;&#x017F;ionäre, die nur die Vor-<lb/>
läufer der Civili&#x017F;ation &#x017F;ind, ihnen abgerungen. Solanos<lb/>
Grenzexpedition und der abenteuerliche Eifer, mit dem ein<lb/>
Statthalter von Guyana <note place="foot" n="1">Don Manuel Centurion, <hi rendition="#aq">Governador y Comendante general<lb/>
de la Guayana</hi> von 1766 bis 1777.</note> den Dorado &#x017F;uchte, hatte in der<lb/>
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Unternehmungs-<lb/>
gei&#x017F;t wieder wachgerufen, der die Ka&#x017F;tilianer bei der Ent-<lb/>
deckung von Amerika be&#x017F;eelte. Man hatte am Rio Padamo<lb/>
hinauf durch Wälder und Savannen einen Weg von zehn<lb/>
Tagerei&#x017F;en von Esmeralda zu den Quellen des Ventuari ent-<lb/>
deckt; in zwei weiteren Tagen war man von die&#x017F;en Quellen<lb/>
auf dem Erevato in die Mi&#x017F;&#x017F;ionen am Rio Caura gelangt.<lb/>
Zwei ver&#x017F;tändige, beherzte Männer, Don Antonio Santos<lb/>
und der Kapitän Bareto, hatten mit Hilfe der Maquiritares<lb/>
auf die&#x017F;er Linie von Esmeralda an den Rio Erevato eine<lb/>
militäri&#x017F;che Po&#x017F;tenkette angelegt; die&#x017F;elbe be&#x017F;tand aus zwei-<lb/>
&#x017F;tockigen, mit Steinböllern be&#x017F;etzten Häu&#x017F;ern (<hi rendition="#aq">casas fuertes</hi>),<lb/>
wie ich &#x017F;ie oben be&#x017F;chrieben und die auf den Karten, die<lb/>
zu Madrid herauskamen, als 19 Dörfer figurierten. Die<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t überla&#x017F;&#x017F;enen Soldaten bedrückten in jeder Wei&#x017F;e<lb/>
die Indianer, die ihre Pflanzungen bei den <hi rendition="#aq">Casas fuertes</hi><lb/>
hatten, und da die&#x017F;e Plackereien nicht &#x017F;o methodi&#x017F;ch waren,<lb/>
das heißt nicht &#x017F;o gut ineinander griffen wie die in den<lb/>
Mi&#x017F;&#x017F;ionen, an die &#x017F;ich die Indianer nach und nach gewöhnen,<lb/>
&#x017F;o verbündeten &#x017F;ich im Jahre 1776 mehrere Stämme gegen<lb/>
die Spanier. In <hi rendition="#g">einer</hi> Nacht wurden alle Militärpo&#x017F;ten<lb/>
auf der ganzen 225 <hi rendition="#aq">km</hi> langen Linie angegriffen, die Häu&#x017F;er<lb/>
niedergebrannt, viele Soldaten niedergemacht; nur wenige<lb/>
verdankten ihr Leben dem Erbarmen der indiani&#x017F;chen Weiber.<lb/>
Noch jetzt &#x017F;pricht man mit Ent&#x017F;etzen von die&#x017F;em nächtlichen<lb/>
Ueberfall. Der&#x017F;elbe wurde in der tief&#x017F;ten Heimlichkeit ver-<lb/>
abredet und mit der Ueberein&#x017F;timmung ausgeführt, die bei<lb/>
den Eingeborenen von Süd- wie von Nordamerika, welche<lb/>
feind&#x017F;elige Gefühle &#x017F;o mei&#x017F;terhaft in &#x017F;ich zu ver&#x017F;chließen wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
niemals fehlt, wo es &#x017F;ich um gemein&#x017F;amen Vorteil handelt.<lb/>
Seit 1776 hat nun kein Men&#x017F;ch mehr daran gedacht, den<lb/>
Landweg vom oberen an den unteren Orinoko wiederher-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0096] gieſiſchen Miſſionären heißt dieſes Land gemeiniglich die Parime. Hier, wie in verſchiedenen anderen Ländern von Spaniſch-Amerika, haben die Wilden wieder erobert, was die Civiliſation oder vielmehr die Miſſionäre, die nur die Vor- läufer der Civiliſation ſind, ihnen abgerungen. Solanos Grenzexpedition und der abenteuerliche Eifer, mit dem ein Statthalter von Guyana 1 den Dorado ſuchte, hatte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Unternehmungs- geiſt wieder wachgerufen, der die Kaſtilianer bei der Ent- deckung von Amerika beſeelte. Man hatte am Rio Padamo hinauf durch Wälder und Savannen einen Weg von zehn Tagereiſen von Esmeralda zu den Quellen des Ventuari ent- deckt; in zwei weiteren Tagen war man von dieſen Quellen auf dem Erevato in die Miſſionen am Rio Caura gelangt. Zwei verſtändige, beherzte Männer, Don Antonio Santos und der Kapitän Bareto, hatten mit Hilfe der Maquiritares auf dieſer Linie von Esmeralda an den Rio Erevato eine militäriſche Poſtenkette angelegt; dieſelbe beſtand aus zwei- ſtockigen, mit Steinböllern beſetzten Häuſern (casas fuertes), wie ich ſie oben beſchrieben und die auf den Karten, die zu Madrid herauskamen, als 19 Dörfer figurierten. Die ſich ſelbſt überlaſſenen Soldaten bedrückten in jeder Weiſe die Indianer, die ihre Pflanzungen bei den Casas fuertes hatten, und da dieſe Plackereien nicht ſo methodiſch waren, das heißt nicht ſo gut ineinander griffen wie die in den Miſſionen, an die ſich die Indianer nach und nach gewöhnen, ſo verbündeten ſich im Jahre 1776 mehrere Stämme gegen die Spanier. In einer Nacht wurden alle Militärpoſten auf der ganzen 225 km langen Linie angegriffen, die Häuſer niedergebrannt, viele Soldaten niedergemacht; nur wenige verdankten ihr Leben dem Erbarmen der indianiſchen Weiber. Noch jetzt ſpricht man mit Entſetzen von dieſem nächtlichen Ueberfall. Derſelbe wurde in der tiefſten Heimlichkeit ver- abredet und mit der Uebereinſtimmung ausgeführt, die bei den Eingeborenen von Süd- wie von Nordamerika, welche feindſelige Gefühle ſo meiſterhaft in ſich zu verſchließen wiſſen, niemals fehlt, wo es ſich um gemeinſamen Vorteil handelt. Seit 1776 hat nun kein Menſch mehr daran gedacht, den Landweg vom oberen an den unteren Orinoko wiederher- 1 Don Manuel Centurion, Governador y Comendante general de la Guayana von 1766 bis 1777.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/96
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/96>, abgerufen am 22.11.2024.