in gebirgigem Land auf einem tief eingeschnittenen Flusse weiter gegen Ost hinaufzugehen.
Die Guaharibos blancos haben über den Katarakt aus Lianen eine Brücke geschlagen, die an den Felsen befestigt ist, welche sich, wie meistens in den Pongos im oberen Marannon, mitten aus dem Flußbett erheben. Diese Brücke, die sämt- liche Einwohner in Esmeralda wohl kennen, scheint zu be- weisen, daß der Orinoko an dieser Stelle bereits ziemlich schmal ist. Die Indianer geben seine Breite meist nur zu 65 bis 100 m an; sie behaupten, oberhalb des Raudals der Guaharibos sei der Orinoko kein Fluß mehr, sondern ein Riachuelo (ein Bergwasser), wogegen ein sehr unterrichteter Geistlicher, Fray Juan Gonzales, der das Land besucht hat, mich versicherte, da, wo man den weiteren Lauf des Orinoko nicht mehr kenne, sei er immer noch zu zwei Dritteilen so breit als der Rio Negro bei San Carlos. Letztere Angabe scheint mir unwahrscheinlicher; ich gebe aber nur wieder, was ich in Erfahrung bringen konnte, und spreche über nichts ab. Nach den vielen Messungen, die ich vorgenommen, weiß ich gut, wie leicht man sich hinsichtlich der Größe der Flußbetten irren kann. Ueberall erscheinen die Flüsse breiter oder schmaler, je nachdem sie von Bergen oder von Ebenen umgeben, frei oder voll Riffen, von Regengüssen geschwellt oder nach langer Trockenheit wasserarm sind. Es verhält sich übrigens mit dem Orinoko wie mit dem Ganges, dessen Lauf nordwärts von Gangotra nicht bekannt ist; auch hier glaubt man wegen der geringen Breite des Flusses, der Punkt könne nicht weit von der Quelle liegen.
Im Felsdamm, der über den Orinoko läuft und den Raudal der Guaharibos bildet, wollen spanische Soldaten die schöne Art Saussurit (den Amazonenstein), von dem oben die Rede war, gefunden haben. Es ist dies eine sehr zweifel- hafte Geschichte, und die Indianer, die ich darüber befragt, versicherten mich, die grünen Steine, die man in Esmeralda Piedras de Macagua nennt, seien von den Guaica und Guaharibos gekauft, die mit viel weiter ostwärts lebenden Horden Handel treiben. Es geht mit diesen Steinen wie mit so vielen anderen kostbaren Produkten beider Indien. An den Küsten, einige hundert Meilen weit weg, nennt man das Land, wo sie vorkommen, mit voller Bestimmtheit; kommt man aber mit Mühe und Not in dieses Land, so zeigt es sich, daß die Eingeborenen das Ding, das man sucht, nicht
in gebirgigem Land auf einem tief eingeſchnittenen Fluſſe weiter gegen Oſt hinaufzugehen.
Die Guaharibos blancos haben über den Katarakt aus Lianen eine Brücke geſchlagen, die an den Felſen befeſtigt iſt, welche ſich, wie meiſtens in den Pongos im oberen Marañon, mitten aus dem Flußbett erheben. Dieſe Brücke, die ſämt- liche Einwohner in Esmeralda wohl kennen, ſcheint zu be- weiſen, daß der Orinoko an dieſer Stelle bereits ziemlich ſchmal iſt. Die Indianer geben ſeine Breite meiſt nur zu 65 bis 100 m an; ſie behaupten, oberhalb des Raudals der Guaharibos ſei der Orinoko kein Fluß mehr, ſondern ein Riachuelo (ein Bergwaſſer), wogegen ein ſehr unterrichteter Geiſtlicher, Fray Juan Gonzales, der das Land beſucht hat, mich verſicherte, da, wo man den weiteren Lauf des Orinoko nicht mehr kenne, ſei er immer noch zu zwei Dritteilen ſo breit als der Rio Negro bei San Carlos. Letztere Angabe ſcheint mir unwahrſcheinlicher; ich gebe aber nur wieder, was ich in Erfahrung bringen konnte, und ſpreche über nichts ab. Nach den vielen Meſſungen, die ich vorgenommen, weiß ich gut, wie leicht man ſich hinſichtlich der Größe der Flußbetten irren kann. Ueberall erſcheinen die Flüſſe breiter oder ſchmaler, je nachdem ſie von Bergen oder von Ebenen umgeben, frei oder voll Riffen, von Regengüſſen geſchwellt oder nach langer Trockenheit waſſerarm ſind. Es verhält ſich übrigens mit dem Orinoko wie mit dem Ganges, deſſen Lauf nordwärts von Gangotra nicht bekannt iſt; auch hier glaubt man wegen der geringen Breite des Fluſſes, der Punkt könne nicht weit von der Quelle liegen.
Im Felsdamm, der über den Orinoko läuft und den Raudal der Guaharibos bildet, wollen ſpaniſche Soldaten die ſchöne Art Sauſſurit (den Amazonenſtein), von dem oben die Rede war, gefunden haben. Es iſt dies eine ſehr zweifel- hafte Geſchichte, und die Indianer, die ich darüber befragt, verſicherten mich, die grünen Steine, die man in Esmeralda Piedras de Macagua nennt, ſeien von den Guaica und Guaharibos gekauft, die mit viel weiter oſtwärts lebenden Horden Handel treiben. Es geht mit dieſen Steinen wie mit ſo vielen anderen koſtbaren Produkten beider Indien. An den Küſten, einige hundert Meilen weit weg, nennt man das Land, wo ſie vorkommen, mit voller Beſtimmtheit; kommt man aber mit Mühe und Not in dieſes Land, ſo zeigt es ſich, daß die Eingeborenen das Ding, das man ſucht, nicht
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[84/0092]
in gebirgigem Land auf einem tief eingeſchnittenen Fluſſe
weiter gegen Oſt hinaufzugehen.
Die Guaharibos blancos haben über den Katarakt aus
Lianen eine Brücke geſchlagen, die an den Felſen befeſtigt iſt,
welche ſich, wie meiſtens in den Pongos im oberen Marañon,
mitten aus dem Flußbett erheben. Dieſe Brücke, die ſämt-
liche Einwohner in Esmeralda wohl kennen, ſcheint zu be-
weiſen, daß der Orinoko an dieſer Stelle bereits ziemlich
ſchmal iſt. Die Indianer geben ſeine Breite meiſt nur zu
65 bis 100 m an; ſie behaupten, oberhalb des Raudals der
Guaharibos ſei der Orinoko kein Fluß mehr, ſondern ein
Riachuelo (ein Bergwaſſer), wogegen ein ſehr unterrichteter
Geiſtlicher, Fray Juan Gonzales, der das Land beſucht hat,
mich verſicherte, da, wo man den weiteren Lauf des Orinoko
nicht mehr kenne, ſei er immer noch zu zwei Dritteilen ſo
breit als der Rio Negro bei San Carlos. Letztere Angabe
ſcheint mir unwahrſcheinlicher; ich gebe aber nur wieder, was
ich in Erfahrung bringen konnte, und ſpreche über nichts ab.
Nach den vielen Meſſungen, die ich vorgenommen, weiß ich
gut, wie leicht man ſich hinſichtlich der Größe der Flußbetten
irren kann. Ueberall erſcheinen die Flüſſe breiter oder ſchmaler,
je nachdem ſie von Bergen oder von Ebenen umgeben, frei
oder voll Riffen, von Regengüſſen geſchwellt oder nach langer
Trockenheit waſſerarm ſind. Es verhält ſich übrigens mit
dem Orinoko wie mit dem Ganges, deſſen Lauf nordwärts
von Gangotra nicht bekannt iſt; auch hier glaubt man wegen
der geringen Breite des Fluſſes, der Punkt könne nicht weit
von der Quelle liegen.
Im Felsdamm, der über den Orinoko läuft und den
Raudal der Guaharibos bildet, wollen ſpaniſche Soldaten die
ſchöne Art Sauſſurit (den Amazonenſtein), von dem oben die
Rede war, gefunden haben. Es iſt dies eine ſehr zweifel-
hafte Geſchichte, und die Indianer, die ich darüber befragt,
verſicherten mich, die grünen Steine, die man in Esmeralda
Piedras de Macagua nennt, ſeien von den Guaica und
Guaharibos gekauft, die mit viel weiter oſtwärts lebenden
Horden Handel treiben. Es geht mit dieſen Steinen wie
mit ſo vielen anderen koſtbaren Produkten beider Indien.
An den Küſten, einige hundert Meilen weit weg, nennt man
das Land, wo ſie vorkommen, mit voller Beſtimmtheit; kommt
man aber mit Mühe und Not in dieſes Land, ſo zeigt es
ſich, daß die Eingeborenen das Ding, das man ſucht, nicht
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/92>, abgerufen am 27.07.2024.
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