Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

region der Thermometer plötzlich um 31/2°. War dieses Fallen
die Folge eines niedergehenden Luftstroms? Der 1° breite
Streif, der den Hof bildete, war nicht weiß, sondern hatte
die lebhaftesten Regenbogenfarben, während das Innere des
Hofes und das ganze Himmelsgewölbe blau waren ohne eine
Spur von Dunst.

Wir verloren nachgerade die Insel Margarita aus dem
Gesicht, und ich versuchte die Höhe der Felskuppe Ma-
canao zu bestimmen. Sie erschien unter einem Winkel von
0° 16' 35", woraus sich beim geschätzten Abstand von 112 km
für den Glimmerschieferstock Macanao eine Höhe von etwa
1286 m ergäbe, und dieses Resultat läßt mich in einem
Erdstrich, wo die irdischen Refraktionen so gleichförmig sind,
vermuten, daß wir uns nicht so weit von der Insel befanden,
als wir meinten. Die Kuppel der Silla bei Caracas, die in
Süd 62° West liegen blieb, fesselte lange unseren Blick. Mit
Vergnügen betrachtet man den Gipfel eines hohen Berges,
den man nicht ohne Gefahr bestiegen hat, wie er nach und
nach unter den Horizont sinkt. Wenn die Küste dunstfrei ist,
muß die Silla auf hoher See, den Einfluß der Refraktion
nicht gerechnet, auf 55 km zu sehen sein. An diesem und
den folgenden Tagen war die See mit einer bläulichen Haut
bedeckt, die unter dem zusammengesetzten Mikroskop aus zahl-
losen Fäden zu bestehen schien. Man findet dergleichen Fäden
häufig im Golfstrom und im Kanal von Bahama, sowie im
Seestrich von Buenos Ayres. Manche Naturforscher halten
sie für Reste von Molluskeneiern, mir schienen sie vielmehr
zerriebene Algen zu sein. Indessen scheint das Leuchten der
See durch sie gesteigert zu werden, namentlich zwischen dem
28. und 30. Grad der Breite, was allerdings auf tierischen
Ursprung hindeutete.

Am 27. November. Wir rückten langsam auf die Insel
Orchila zu; wie alle kleinen Eilande in der Nähe der frucht-
baren Küste von Terra Firma ist sie unbewohnt geblieben.
Ich fand die Breite des nördlichen Vorgebirges 11° 51' 44"
und die Länge des östlichen Vorgebirges 68° 26' 5" (Nueva
Barcelona zu 67° 4' 8" angenommen). Dem westlichen Kap
gegenüber liegt ein Fels, an dem sich die Wellen mit starkem
Getöse brechen. Einige mit dem Sextanten aufgenommene
Winkel ergaben für die Länge der Insel von Ost nach West
15,6 km, für die Breite kaum 6 km. Die Insel Orchila,
die ich mir nach ihrem Namen als ein dürres, mit Flechten

region der Thermometer plötzlich um 3½°. War dieſes Fallen
die Folge eines niedergehenden Luftſtroms? Der 1° breite
Streif, der den Hof bildete, war nicht weiß, ſondern hatte
die lebhafteſten Regenbogenfarben, während das Innere des
Hofes und das ganze Himmelsgewölbe blau waren ohne eine
Spur von Dunſt.

Wir verloren nachgerade die Inſel Margarita aus dem
Geſicht, und ich verſuchte die Höhe der Felskuppe Ma-
canao zu beſtimmen. Sie erſchien unter einem Winkel von
0° 16′ 35″, woraus ſich beim geſchätzten Abſtand von 112 km
für den Glimmerſchieferſtock Macanao eine Höhe von etwa
1286 m ergäbe, und dieſes Reſultat läßt mich in einem
Erdſtrich, wo die irdiſchen Refraktionen ſo gleichförmig ſind,
vermuten, daß wir uns nicht ſo weit von der Inſel befanden,
als wir meinten. Die Kuppel der Silla bei Caracas, die in
Süd 62° Weſt liegen blieb, feſſelte lange unſeren Blick. Mit
Vergnügen betrachtet man den Gipfel eines hohen Berges,
den man nicht ohne Gefahr beſtiegen hat, wie er nach und
nach unter den Horizont ſinkt. Wenn die Küſte dunſtfrei iſt,
muß die Silla auf hoher See, den Einfluß der Refraktion
nicht gerechnet, auf 55 km zu ſehen ſein. An dieſem und
den folgenden Tagen war die See mit einer bläulichen Haut
bedeckt, die unter dem zuſammengeſetzten Mikroſkop aus zahl-
loſen Fäden zu beſtehen ſchien. Man findet dergleichen Fäden
häufig im Golfſtrom und im Kanal von Bahama, ſowie im
Seeſtrich von Buenos Ayres. Manche Naturforſcher halten
ſie für Reſte von Molluskeneiern, mir ſchienen ſie vielmehr
zerriebene Algen zu ſein. Indeſſen ſcheint das Leuchten der
See durch ſie geſteigert zu werden, namentlich zwiſchen dem
28. und 30. Grad der Breite, was allerdings auf tieriſchen
Urſprung hindeutete.

Am 27. November. Wir rückten langſam auf die Inſel
Orchila zu; wie alle kleinen Eilande in der Nähe der frucht-
baren Küſte von Terra Firma iſt ſie unbewohnt geblieben.
Ich fand die Breite des nördlichen Vorgebirges 11° 51′ 44″
und die Länge des öſtlichen Vorgebirges 68° 26′ 5″ (Nueva
Barcelona zu 67° 4′ 8″ angenommen). Dem weſtlichen Kap
gegenüber liegt ein Fels, an dem ſich die Wellen mit ſtarkem
Getöſe brechen. Einige mit dem Sextanten aufgenommene
Winkel ergaben für die Länge der Inſel von Oſt nach Weſt
15,6 km, für die Breite kaum 6 km. Die Inſel Orchila,
die ich mir nach ihrem Namen als ein dürres, mit Flechten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0302" n="294"/>
region der Thermometer plötzlich um 3½°. War die&#x017F;es Fallen<lb/>
die Folge eines niedergehenden Luft&#x017F;troms? Der 1° breite<lb/>
Streif, der den Hof bildete, war nicht weiß, &#x017F;ondern hatte<lb/>
die lebhafte&#x017F;ten Regenbogenfarben, während das Innere des<lb/>
Hofes und das ganze Himmelsgewölbe blau waren ohne eine<lb/>
Spur von Dun&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Wir verloren nachgerade die In&#x017F;el Margarita aus dem<lb/>
Ge&#x017F;icht, und ich ver&#x017F;uchte die Höhe der Felskuppe Ma-<lb/>
canao zu be&#x017F;timmen. Sie er&#x017F;chien unter einem Winkel von<lb/>
0° 16&#x2032; 35&#x2033;, woraus &#x017F;ich beim ge&#x017F;chätzten Ab&#x017F;tand von 112 <hi rendition="#aq">km</hi><lb/>
für den Glimmer&#x017F;chiefer&#x017F;tock Macanao eine Höhe von etwa<lb/>
1286 <hi rendition="#aq">m</hi> ergäbe, und die&#x017F;es Re&#x017F;ultat läßt mich in einem<lb/>
Erd&#x017F;trich, wo die irdi&#x017F;chen Refraktionen &#x017F;o gleichförmig &#x017F;ind,<lb/>
vermuten, daß wir uns nicht &#x017F;o weit von der In&#x017F;el befanden,<lb/>
als wir meinten. Die Kuppel der Silla bei Caracas, die in<lb/>
Süd 62° We&#x017F;t liegen blieb, fe&#x017F;&#x017F;elte lange un&#x017F;eren Blick. Mit<lb/>
Vergnügen betrachtet man den Gipfel eines hohen Berges,<lb/>
den man nicht ohne Gefahr be&#x017F;tiegen hat, wie er nach und<lb/>
nach unter den Horizont &#x017F;inkt. Wenn die Kü&#x017F;te dun&#x017F;tfrei i&#x017F;t,<lb/>
muß die Silla auf hoher See, den Einfluß der Refraktion<lb/>
nicht gerechnet, auf 55 <hi rendition="#aq">km</hi> zu &#x017F;ehen &#x017F;ein. An die&#x017F;em und<lb/>
den folgenden Tagen war die See mit einer bläulichen Haut<lb/>
bedeckt, die unter dem zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzten Mikro&#x017F;kop aus zahl-<lb/>
lo&#x017F;en Fäden zu be&#x017F;tehen &#x017F;chien. Man findet dergleichen Fäden<lb/>
häufig im Golf&#x017F;trom und im Kanal von Bahama, &#x017F;owie im<lb/>
See&#x017F;trich von Buenos Ayres. Manche Naturfor&#x017F;cher halten<lb/>
&#x017F;ie für Re&#x017F;te von Molluskeneiern, mir &#x017F;chienen &#x017F;ie vielmehr<lb/>
zerriebene Algen zu &#x017F;ein. Inde&#x017F;&#x017F;en &#x017F;cheint das Leuchten der<lb/>
See durch &#x017F;ie ge&#x017F;teigert zu werden, namentlich zwi&#x017F;chen dem<lb/>
28. und 30. Grad der Breite, was allerdings auf tieri&#x017F;chen<lb/>
Ur&#x017F;prung hindeutete.</p><lb/>
          <p>Am 27. November. Wir rückten lang&#x017F;am auf die In&#x017F;el<lb/>
Orchila zu; wie alle kleinen Eilande in der Nähe der frucht-<lb/>
baren Kü&#x017F;te von Terra Firma i&#x017F;t &#x017F;ie unbewohnt geblieben.<lb/>
Ich fand die Breite des nördlichen Vorgebirges 11° 51&#x2032; 44&#x2033;<lb/>
und die Länge des ö&#x017F;tlichen Vorgebirges 68° 26&#x2032; 5&#x2033; (Nueva<lb/>
Barcelona zu 67° 4&#x2032; 8&#x2033; angenommen). Dem we&#x017F;tlichen Kap<lb/>
gegenüber liegt ein Fels, an dem &#x017F;ich die Wellen mit &#x017F;tarkem<lb/>
Getö&#x017F;e brechen. Einige mit dem Sextanten aufgenommene<lb/>
Winkel ergaben für die Länge der In&#x017F;el von O&#x017F;t nach We&#x017F;t<lb/>
15,6 <hi rendition="#aq">km</hi>, für die Breite kaum 6 <hi rendition="#aq">km</hi>. Die In&#x017F;el Orchila,<lb/>
die ich mir nach ihrem Namen als ein dürres, mit Flechten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[294/0302] region der Thermometer plötzlich um 3½°. War dieſes Fallen die Folge eines niedergehenden Luftſtroms? Der 1° breite Streif, der den Hof bildete, war nicht weiß, ſondern hatte die lebhafteſten Regenbogenfarben, während das Innere des Hofes und das ganze Himmelsgewölbe blau waren ohne eine Spur von Dunſt. Wir verloren nachgerade die Inſel Margarita aus dem Geſicht, und ich verſuchte die Höhe der Felskuppe Ma- canao zu beſtimmen. Sie erſchien unter einem Winkel von 0° 16′ 35″, woraus ſich beim geſchätzten Abſtand von 112 km für den Glimmerſchieferſtock Macanao eine Höhe von etwa 1286 m ergäbe, und dieſes Reſultat läßt mich in einem Erdſtrich, wo die irdiſchen Refraktionen ſo gleichförmig ſind, vermuten, daß wir uns nicht ſo weit von der Inſel befanden, als wir meinten. Die Kuppel der Silla bei Caracas, die in Süd 62° Weſt liegen blieb, feſſelte lange unſeren Blick. Mit Vergnügen betrachtet man den Gipfel eines hohen Berges, den man nicht ohne Gefahr beſtiegen hat, wie er nach und nach unter den Horizont ſinkt. Wenn die Küſte dunſtfrei iſt, muß die Silla auf hoher See, den Einfluß der Refraktion nicht gerechnet, auf 55 km zu ſehen ſein. An dieſem und den folgenden Tagen war die See mit einer bläulichen Haut bedeckt, die unter dem zuſammengeſetzten Mikroſkop aus zahl- loſen Fäden zu beſtehen ſchien. Man findet dergleichen Fäden häufig im Golfſtrom und im Kanal von Bahama, ſowie im Seeſtrich von Buenos Ayres. Manche Naturforſcher halten ſie für Reſte von Molluskeneiern, mir ſchienen ſie vielmehr zerriebene Algen zu ſein. Indeſſen ſcheint das Leuchten der See durch ſie geſteigert zu werden, namentlich zwiſchen dem 28. und 30. Grad der Breite, was allerdings auf tieriſchen Urſprung hindeutete. Am 27. November. Wir rückten langſam auf die Inſel Orchila zu; wie alle kleinen Eilande in der Nähe der frucht- baren Küſte von Terra Firma iſt ſie unbewohnt geblieben. Ich fand die Breite des nördlichen Vorgebirges 11° 51′ 44″ und die Länge des öſtlichen Vorgebirges 68° 26′ 5″ (Nueva Barcelona zu 67° 4′ 8″ angenommen). Dem weſtlichen Kap gegenüber liegt ein Fels, an dem ſich die Wellen mit ſtarkem Getöſe brechen. Einige mit dem Sextanten aufgenommene Winkel ergaben für die Länge der Inſel von Oſt nach Weſt 15,6 km, für die Breite kaum 6 km. Die Inſel Orchila, die ich mir nach ihrem Namen als ein dürres, mit Flechten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/302
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/302>, abgerufen am 22.11.2024.