52° stehen. Ueberall trifft man jene großen Ameisen, die in gedrängten Haufen einherziehen und sich desto eifriger über die Kulturpflanzen hermachen, da dieselben krautartig und saftreich sind, während in den Wäldern nur Gewächse mit holzigen Stengeln stehen. Will ein Missionär versuchen, Salat oder irgend ein europäisches Küchenkraut zu ziehen, so muß er seinen Garten gleichsam in die Luft hängen. Er füllt ein altes Kanoe mit gutem Boden und hängt es 1,3 m über dem Boden an Chiquichiquistricken auf; meist aber stellt er es auf ein leichtes Gerüste. Die jungen Pflanzen sind dabei vor Unkraut, vor Erdwürmern und vor den Ameisen geschützt, die immer geradeaus ziehen, und da sie nicht wissen, was über ihnen wächst, nicht leicht von ihrem Wege ablenken, um an Pfählen ohne Rinde hinaufzukriechen. Ich erwähne dieses Umstandes zum Beweise, wie schwer es unter den Tro- pen, an den Ufern der großen Ströme dem Menschen an- fangs wird, wenn er es versucht, in diesem unermeßlichen Naturgebiete, wo die Tiere herrschen und der wilde Pflanzen- wuchs den Boden überwuchert, einen kleinen Erdwinkel sich zu eigen zu machen.
Am 13. Mai. Ich hatte in der Nacht einige gute Stern- beobachtungen machen können, leider die letzten am Cassiquiare, Mandavaca liegt unter 2° 47' der Breite und, nach dem Chronometer, 69° 27' der Länge. Die Inklination der Mag- netnadel fand ich gleich 25° 25'. Dieselbe hatte also seit der Schanze San Cartos bedeutend zugenommen. Das an- stehende Gestein war indessen derselbe, etwas hornblendehal- tige Granit, den wir in Javita getroffen, und der syenitartig aussieht. Wir brachen von Mandavaca um 21/2 Uhr in der Nacht auf. Wir hatten noch acht ganze Tage mit der Strö- mung des Cassiquiare zu kämpfen, und das Land, durch das wir zu fahren hatten, bis wir wieder nach San Fernando de Atabapo kamen, ist so menschenleer, daß wir erst nach 13 Tagen hoffen durften, wieder zu einem Observanten, zum Missionär von Santa Barbara zu gelangen. Nach sechsstün- diger Fahrt liefen wir am Einflusse des Rio Idapa oder Siapa vorbei, der ostwärts auf dem Berge Unturan entspringt und zwischen dessen Quellen und dem Rio Mavaca, der in den Orinoko läuft, ein Trageplatz ist. Dieser Fluß hat weißes Wasser; er ist nur halb so breit als der Pacimoni, dessen Wasser schwarz ist Sein oberer Lauf ist auf den Karten von La Cruz und Surville, die allen späteren als Vorbild
52° ſtehen. Ueberall trifft man jene großen Ameiſen, die in gedrängten Haufen einherziehen und ſich deſto eifriger über die Kulturpflanzen hermachen, da dieſelben krautartig und ſaftreich ſind, während in den Wäldern nur Gewächſe mit holzigen Stengeln ſtehen. Will ein Miſſionär verſuchen, Salat oder irgend ein europäiſches Küchenkraut zu ziehen, ſo muß er ſeinen Garten gleichſam in die Luft hängen. Er füllt ein altes Kanoe mit gutem Boden und hängt es 1,3 m über dem Boden an Chiquichiquiſtricken auf; meiſt aber ſtellt er es auf ein leichtes Gerüſte. Die jungen Pflanzen ſind dabei vor Unkraut, vor Erdwürmern und vor den Ameiſen geſchützt, die immer geradeaus ziehen, und da ſie nicht wiſſen, was über ihnen wächſt, nicht leicht von ihrem Wege ablenken, um an Pfählen ohne Rinde hinaufzukriechen. Ich erwähne dieſes Umſtandes zum Beweiſe, wie ſchwer es unter den Tro- pen, an den Ufern der großen Ströme dem Menſchen an- fangs wird, wenn er es verſucht, in dieſem unermeßlichen Naturgebiete, wo die Tiere herrſchen und der wilde Pflanzen- wuchs den Boden überwuchert, einen kleinen Erdwinkel ſich zu eigen zu machen.
Am 13. Mai. Ich hatte in der Nacht einige gute Stern- beobachtungen machen können, leider die letzten am Caſſiquiare, Mandavaca liegt unter 2° 47′ der Breite und, nach dem Chronometer, 69° 27′ der Länge. Die Inklination der Mag- netnadel fand ich gleich 25° 25′. Dieſelbe hatte alſo ſeit der Schanze San Cartos bedeutend zugenommen. Das an- ſtehende Geſtein war indeſſen derſelbe, etwas hornblendehal- tige Granit, den wir in Javita getroffen, und der ſyenitartig ausſieht. Wir brachen von Mandavaca um 2½ Uhr in der Nacht auf. Wir hatten noch acht ganze Tage mit der Strö- mung des Caſſiquiare zu kämpfen, und das Land, durch das wir zu fahren hatten, bis wir wieder nach San Fernando de Atabapo kamen, iſt ſo menſchenleer, daß wir erſt nach 13 Tagen hoffen durften, wieder zu einem Obſervanten, zum Miſſionär von Santa Barbara zu gelangen. Nach ſechsſtün- diger Fahrt liefen wir am Einfluſſe des Rio Idapa oder Siapa vorbei, der oſtwärts auf dem Berge Unturan entſpringt und zwiſchen deſſen Quellen und dem Rio Mavaca, der in den Orinoko läuft, ein Trageplatz iſt. Dieſer Fluß hat weißes Waſſer; er iſt nur halb ſo breit als der Pacimoni, deſſen Waſſer ſchwarz iſt Sein oberer Lauf iſt auf den Karten von La Cruz und Surville, die allen ſpäteren als Vorbild
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52° ſtehen. Ueberall trifft man jene großen Ameiſen, die in
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die Kulturpflanzen hermachen, da dieſelben krautartig und
ſaftreich ſind, während in den Wäldern nur Gewächſe mit
holzigen Stengeln ſtehen. Will ein Miſſionär verſuchen,
Salat oder irgend ein europäiſches Küchenkraut zu ziehen, ſo
muß er ſeinen Garten gleichſam in die Luft hängen. Er
füllt ein altes Kanoe mit gutem Boden und hängt es 1,3 m
über dem Boden an Chiquichiquiſtricken auf; meiſt aber ſtellt
er es auf ein leichtes Gerüſte. Die jungen Pflanzen ſind
dabei vor Unkraut, vor Erdwürmern und vor den Ameiſen
geſchützt, die immer geradeaus ziehen, und da ſie nicht wiſſen,
was über ihnen wächſt, nicht leicht von ihrem Wege ablenken,
um an Pfählen ohne Rinde hinaufzukriechen. Ich erwähne
dieſes Umſtandes zum Beweiſe, wie ſchwer es unter den Tro-
pen, an den Ufern der großen Ströme dem Menſchen an-
fangs wird, wenn er es verſucht, in dieſem unermeßlichen
Naturgebiete, wo die Tiere herrſchen und der wilde Pflanzen-
wuchs den Boden überwuchert, einen kleinen Erdwinkel ſich
zu eigen zu machen.
Am 13. Mai. Ich hatte in der Nacht einige gute Stern-
beobachtungen machen können, leider die letzten am Caſſiquiare,
Mandavaca liegt unter 2° 47′ der Breite und, nach dem
Chronometer, 69° 27′ der Länge. Die Inklination der Mag-
netnadel fand ich gleich 25° 25′. Dieſelbe hatte alſo ſeit der
Schanze San Cartos bedeutend zugenommen. Das an-
ſtehende Geſtein war indeſſen derſelbe, etwas hornblendehal-
tige Granit, den wir in Javita getroffen, und der ſyenitartig
ausſieht. Wir brachen von Mandavaca um 2½ Uhr in der
Nacht auf. Wir hatten noch acht ganze Tage mit der Strö-
mung des Caſſiquiare zu kämpfen, und das Land, durch das
wir zu fahren hatten, bis wir wieder nach San Fernando
de Atabapo kamen, iſt ſo menſchenleer, daß wir erſt nach
13 Tagen hoffen durften, wieder zu einem Obſervanten, zum
Miſſionär von Santa Barbara zu gelangen. Nach ſechsſtün-
diger Fahrt liefen wir am Einfluſſe des Rio Idapa oder
Siapa vorbei, der oſtwärts auf dem Berge Unturan entſpringt
und zwiſchen deſſen Quellen und dem Rio Mavaca, der in
den Orinoko läuft, ein Trageplatz iſt. Dieſer Fluß hat weißes
Waſſer; er iſt nur halb ſo breit als der Pacimoni, deſſen
Waſſer ſchwarz iſt Sein oberer Lauf iſt auf den Karten
von La Cruz und Surville, die allen ſpäteren als Vorbild
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/29>, abgerufen am 28.07.2024.
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