wo die Extreme von Landhöhe und Tiefland am auffallendsten sind, wo Gebirge und Niederungen am massenhaftesten auf- treten und sich am weitesten ausdehnen. Hierher gehören Neu- granada oder Cundinamarca, Chile und Peru, wo die Inka- sprache reich ist an treffenden, naiven Ausdrücken für diese klimatischen Gegensätze in Temperament, Neigungen und geistigen Fähigkeiten. Im Staate Venezuela dagegen bilden die "Montanneros" in den Hochgebirgen von Bocono, Timotes und Merida nur einen unbedeutenden Bruchteil der Gesamt- bevölkerung, und die volkreichen Thäler der Küstenkette von Caracas und Caripe liegen nur 580 bis 780 m über dem Meer. So kam es, daß, als die Staaten Venezuela und Neugranada unter dem Namen Kolumbia verschmolzen wurden, die bedeutende Gebirgsbevölkerung von Santa Fe, Popayan Pasto und Quito, wo nicht ganz, doch über die Hälfte durch den Zuwachs von 8 bis 900000 Bewohnern der Terra ca- liente aufgewogen wurde. Der Oberflächenzustand des Bo- dens ist nicht so unveränderlich als seine Reliefbildung und so erscheint es als möglich, daß die scharfen Gegensätze zwi- schen den undurchdringlichen Wäldern Guyanas und den baum- losen, grasbewachsenen Llanos eines Tages verschwinden könnten; aber wie viele Jahrhunderte brauchte es wohl, bis ein solcher Wechsel in den unermeßlichen Steppen von Vene- zuela am Meta, am Caqueta und in Buenos Ayres merkbar würde? Die Beweise, die der Mensch von seiner Macht im Kampfe gegen die Naturkräfte in Gallien, in Germanien und in neuerer Zeit in den Vereinigten Staaten, immer aber außer- halb der Tropen, gegeben hat, kann nicht wohl als Maßstab für die voraussichtlichen Fortschritte der Kultur im heißen Erdstriche dienen. Es war oben davon die Rede, wie lang- sam man mit Feuer und Axt Wälder ausrodet, wenn die Baumstämme 2,6 bis 5,2 m dick sind, wenn sie im Fallen sich aneinander lehnen, und wenn das Holz, vom unaufhör- lichen Regen befeuchtet, so ungemein hart ist. Die Frage, ob die Llanos oder Pampas urbar zu machen sind, wird von den Kolonisten, die darin leben, keineswegs einstimmig bejaht, und ganz im allgemeinen läßt sich auch gar nicht darüber entscheiden. Die Savannen von Venezuela entbehren größten- teils des Vorteils, den die Savannen in Nordamerika dadurch haben, daß sie der Länge nach von drei großen Flüssen, dem Missouri, dem Arkansas und dem Red River von Natchitoches durchzogen werden; durch die Savannen am Araure, bei Cala-
wo die Extreme von Landhöhe und Tiefland am auffallendſten ſind, wo Gebirge und Niederungen am maſſenhafteſten auf- treten und ſich am weiteſten ausdehnen. Hierher gehören Neu- granada oder Cundinamarca, Chile und Peru, wo die Inka- ſprache reich iſt an treffenden, naiven Ausdrücken für dieſe klimatiſchen Gegenſätze in Temperament, Neigungen und geiſtigen Fähigkeiten. Im Staate Venezuela dagegen bilden die „Montañeros“ in den Hochgebirgen von Bocono, Timotes und Merida nur einen unbedeutenden Bruchteil der Geſamt- bevölkerung, und die volkreichen Thäler der Küſtenkette von Caracas und Caripe liegen nur 580 bis 780 m über dem Meer. So kam es, daß, als die Staaten Venezuela und Neugranada unter dem Namen Kolumbia verſchmolzen wurden, die bedeutende Gebirgsbevölkerung von Santa Fé, Popayan Paſto und Quito, wo nicht ganz, doch über die Hälfte durch den Zuwachs von 8 bis 900000 Bewohnern der Terra ca- liente aufgewogen wurde. Der Oberflächenzuſtand des Bo- dens iſt nicht ſo unveränderlich als ſeine Reliefbildung und ſo erſcheint es als möglich, daß die ſcharfen Gegenſätze zwi- ſchen den undurchdringlichen Wäldern Guyanas und den baum- loſen, grasbewachſenen Llanos eines Tages verſchwinden könnten; aber wie viele Jahrhunderte brauchte es wohl, bis ein ſolcher Wechſel in den unermeßlichen Steppen von Vene- zuela am Meta, am Caqueta und in Buenos Ayres merkbar würde? Die Beweiſe, die der Menſch von ſeiner Macht im Kampfe gegen die Naturkräfte in Gallien, in Germanien und in neuerer Zeit in den Vereinigten Staaten, immer aber außer- halb der Tropen, gegeben hat, kann nicht wohl als Maßſtab für die vorausſichtlichen Fortſchritte der Kultur im heißen Erdſtriche dienen. Es war oben davon die Rede, wie lang- ſam man mit Feuer und Axt Wälder ausrodet, wenn die Baumſtämme 2,6 bis 5,2 m dick ſind, wenn ſie im Fallen ſich aneinander lehnen, und wenn das Holz, vom unaufhör- lichen Regen befeuchtet, ſo ungemein hart iſt. Die Frage, ob die Llanos oder Pampas urbar zu machen ſind, wird von den Koloniſten, die darin leben, keineswegs einſtimmig bejaht, und ganz im allgemeinen läßt ſich auch gar nicht darüber entſcheiden. Die Savannen von Venezuela entbehren größten- teils des Vorteils, den die Savannen in Nordamerika dadurch haben, daß ſie der Länge nach von drei großen Flüſſen, dem Miſſouri, dem Arkanſas und dem Red River von Natchitoches durchzogen werden; durch die Savannen am Araure, bei Cala-
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wo die Extreme von Landhöhe und Tiefland am auffallendſten
ſind, wo Gebirge und Niederungen am maſſenhafteſten auf-
treten und ſich am weiteſten ausdehnen. Hierher gehören Neu-
granada oder Cundinamarca, Chile und Peru, wo die Inka-
ſprache reich iſt an treffenden, naiven Ausdrücken für dieſe
klimatiſchen Gegenſätze in Temperament, Neigungen und
geiſtigen Fähigkeiten. Im Staate Venezuela dagegen bilden
die „Montañeros“ in den Hochgebirgen von Bocono, Timotes
und Merida nur einen unbedeutenden Bruchteil der Geſamt-
bevölkerung, und die volkreichen Thäler der Küſtenkette von
Caracas und Caripe liegen nur 580 bis 780 m über dem
Meer. So kam es, daß, als die Staaten Venezuela und
Neugranada unter dem Namen Kolumbia verſchmolzen wurden,
die bedeutende Gebirgsbevölkerung von Santa Fé, Popayan
Paſto und Quito, wo nicht ganz, doch über die Hälfte durch
den Zuwachs von 8 bis 900000 Bewohnern der Terra ca-
liente aufgewogen wurde. Der Oberflächenzuſtand des Bo-
dens iſt nicht ſo unveränderlich als ſeine Reliefbildung und
ſo erſcheint es als möglich, daß die ſcharfen Gegenſätze zwi-
ſchen den undurchdringlichen Wäldern Guyanas und den baum-
loſen, grasbewachſenen Llanos eines Tages verſchwinden
könnten; aber wie viele Jahrhunderte brauchte es wohl, bis
ein ſolcher Wechſel in den unermeßlichen Steppen von Vene-
zuela am Meta, am Caqueta und in Buenos Ayres merkbar
würde? Die Beweiſe, die der Menſch von ſeiner Macht im
Kampfe gegen die Naturkräfte in Gallien, in Germanien und
in neuerer Zeit in den Vereinigten Staaten, immer aber außer-
halb der Tropen, gegeben hat, kann nicht wohl als Maßſtab
für die vorausſichtlichen Fortſchritte der Kultur im heißen
Erdſtriche dienen. Es war oben davon die Rede, wie lang-
ſam man mit Feuer und Axt Wälder ausrodet, wenn die
Baumſtämme 2,6 bis 5,2 m dick ſind, wenn ſie im Fallen
ſich aneinander lehnen, und wenn das Holz, vom unaufhör-
lichen Regen befeuchtet, ſo ungemein hart iſt. Die Frage,
ob die Llanos oder Pampas urbar zu machen ſind, wird von
den Koloniſten, die darin leben, keineswegs einſtimmig bejaht,
und ganz im allgemeinen läßt ſich auch gar nicht darüber
entſcheiden. Die Savannen von Venezuela entbehren größten-
teils des Vorteils, den die Savannen in Nordamerika dadurch
haben, daß ſie der Länge nach von drei großen Flüſſen, dem
Miſſouri, dem Arkanſas und dem Red River von Natchitoches
durchzogen werden; durch die Savannen am Araure, bei Cala-
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/266>, abgerufen am 25.11.2024.
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