Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.Freiheit zu verteidigen. "Es ist," sagt Gomara im Jahre Bei unserem Aufenthalt in den karibischen Missionen 1 Wilhelm v. Humboldt, "Ueber das vergleichende Sprach-
studium in Beziehung auf die verschiedenen Epochen der Sprach- entwickelung" (Seite 13). Freiheit zu verteidigen. „Es iſt,“ ſagt Gomara im Jahre Bei unſerem Aufenthalt in den karibiſchen Miſſionen 1 Wilhelm v. Humboldt, „Ueber das vergleichende Sprach-
ſtudium in Beziehung auf die verſchiedenen Epochen der Sprach- entwickelung“ (Seite 13). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0253" n="245"/> Freiheit zu verteidigen. „Es iſt,“ ſagt Gomara im Jahre<lb/> 1551, „ein heiliges Geſetz (<hi rendition="#aq">lex sanctissima</hi>), durch das unſer<lb/> Kaiſer verboten hat, die Indianer zu Sklaven zu machen. Es<lb/> iſt gerecht, daß die Menſchen, die alle frei zur Welt kommen,<lb/> nicht einer des andern Sklaven werden.“</p><lb/> <p>Bei unſerem Aufenthalt in den karibiſchen Miſſionen<lb/> überraſchte es uns, mit welcher Gewandtheit junge achtzehn-<lb/> zwanzigjährige Indianer, wenn ſie zum Amte eines <hi rendition="#g">Alguacil</hi><lb/> oder <hi rendition="#g">Fiskal</hi> herangebildet ſind, ſtundenlange Anreden an<lb/> die Gemeinde halten. Die Betonung, die ernſte Haltung, die<lb/> Gebärden, mit denen der Vortrag begleitet wird, alles verrät<lb/> ein begabtes, einer hohen Kulturentwickelung fähiges Volk.<lb/> Ein Franziskaner, der ſo viel karibiſch verſtand, daß er zu-<lb/> weilen in dieſer Sprache predigen konnte, machte uns darauf<lb/> aufmerkſam, wie lang und gehäuft die Sätze in den Reden<lb/> der Indianer ſind, und doch nie verworren und unklar werden.<lb/> Eigentümliche Flexionen des Verbums bezeichnen zum voraus<lb/> die Beſchaffenheit des regierten Wortes, je nachdem es belebt<lb/> iſt oder unbelebt, in der Einzahl oder in der Mehrzahl. Durch<lb/> kleine angehängte Formen (Suffixe) wird der Empfindung<lb/> ein eigener Ausdruck gegeben, und hier, wie in allen auf<lb/> dem Wege ungehemmter Entwickelung entſtandenen Sprachen,<lb/> entſpringt die Klarheit aus dem ordnenden Inſtinkte, <note place="foot" n="1"><hi rendition="#g">Wilhelm v. Humboldt</hi>, „Ueber das vergleichende Sprach-<lb/> ſtudium in Beziehung auf die verſchiedenen Epochen der Sprach-<lb/> entwickelung“ (Seite 13).</note> der auf<lb/> den verſchiedenſten Stufen der Barbarei und der Kultur als<lb/> das eigentliche Weſen der menſchlichen Geiſteskraft erſcheint.<lb/> An Feſttagen verſammelt ſich nach der Meſſe die ganze Ge-<lb/> meinde vor der Kirche. Die jungen Mädchen legen zu den<lb/> Füßen des Miſſionärs Holzbündel, Mais, Bananenbüſchel und<lb/> andere Lebensmittel nieder, deren er in ſeinem Haushalt bedarf.<lb/> Zugleich treten der <hi rendition="#g">Governador</hi>, der <hi rendition="#g">Fiskal</hi> und die Ge-<lb/> meindebeamten, lauter Indianer, auf, ermahnen die Einge-<lb/> borenen zum Fleiß, teilen die Arbeiten, welche die Woche<lb/> über vorzunehmen ſind, aus, geben den Trägen Verweiſe, und<lb/> — es ſoll nicht verſchwiegen werden — prügeln die Unbot-<lb/> mäßigen unbarmherzig durch. Die Stockſtreiche werden ſo kalt-<lb/> blütig hingenommen als ausgeteilt. Dieſe Akte der vollziehen-<lb/> den Juſtiz kommen dem Reiſenden, der von Angoſtura an<lb/> die Küſte über die Lanos geht, ſehr gedehnt vor und allzu-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [245/0253]
Freiheit zu verteidigen. „Es iſt,“ ſagt Gomara im Jahre
1551, „ein heiliges Geſetz (lex sanctissima), durch das unſer
Kaiſer verboten hat, die Indianer zu Sklaven zu machen. Es
iſt gerecht, daß die Menſchen, die alle frei zur Welt kommen,
nicht einer des andern Sklaven werden.“
Bei unſerem Aufenthalt in den karibiſchen Miſſionen
überraſchte es uns, mit welcher Gewandtheit junge achtzehn-
zwanzigjährige Indianer, wenn ſie zum Amte eines Alguacil
oder Fiskal herangebildet ſind, ſtundenlange Anreden an
die Gemeinde halten. Die Betonung, die ernſte Haltung, die
Gebärden, mit denen der Vortrag begleitet wird, alles verrät
ein begabtes, einer hohen Kulturentwickelung fähiges Volk.
Ein Franziskaner, der ſo viel karibiſch verſtand, daß er zu-
weilen in dieſer Sprache predigen konnte, machte uns darauf
aufmerkſam, wie lang und gehäuft die Sätze in den Reden
der Indianer ſind, und doch nie verworren und unklar werden.
Eigentümliche Flexionen des Verbums bezeichnen zum voraus
die Beſchaffenheit des regierten Wortes, je nachdem es belebt
iſt oder unbelebt, in der Einzahl oder in der Mehrzahl. Durch
kleine angehängte Formen (Suffixe) wird der Empfindung
ein eigener Ausdruck gegeben, und hier, wie in allen auf
dem Wege ungehemmter Entwickelung entſtandenen Sprachen,
entſpringt die Klarheit aus dem ordnenden Inſtinkte, 1 der auf
den verſchiedenſten Stufen der Barbarei und der Kultur als
das eigentliche Weſen der menſchlichen Geiſteskraft erſcheint.
An Feſttagen verſammelt ſich nach der Meſſe die ganze Ge-
meinde vor der Kirche. Die jungen Mädchen legen zu den
Füßen des Miſſionärs Holzbündel, Mais, Bananenbüſchel und
andere Lebensmittel nieder, deren er in ſeinem Haushalt bedarf.
Zugleich treten der Governador, der Fiskal und die Ge-
meindebeamten, lauter Indianer, auf, ermahnen die Einge-
borenen zum Fleiß, teilen die Arbeiten, welche die Woche
über vorzunehmen ſind, aus, geben den Trägen Verweiſe, und
— es ſoll nicht verſchwiegen werden — prügeln die Unbot-
mäßigen unbarmherzig durch. Die Stockſtreiche werden ſo kalt-
blütig hingenommen als ausgeteilt. Dieſe Akte der vollziehen-
den Juſtiz kommen dem Reiſenden, der von Angoſtura an
die Küſte über die Lanos geht, ſehr gedehnt vor und allzu-
1 Wilhelm v. Humboldt, „Ueber das vergleichende Sprach-
ſtudium in Beziehung auf die verſchiedenen Epochen der Sprach-
entwickelung“ (Seite 13).
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