heißt beim Pfarrer. Wir hatten außer den Pässen des General- kapitäns der Provinz Empfehlungen der Bischöfe und des Guardians der Missionen am Orinoko. Von den Küsten von Neukalifornien bis Valdivia und an die Mündung des Rio de la Plata, auf einer Strecke von 9000 km, lassen sich alle Schwierigkeiten einer langen Landreise überwinden, wenn man des Schutzes der amerikanischen Geistlichkeit genießt. Die Macht, welche diese Körperschaft im Staate ausübt, ist zu fest begründet, als daß sie in einer neuen Ordnung der Dinge so bald erschüttert werden könnte. Unserem Wirt war un- begreiflich, "wie Leute aus dem nördlichen Europa von den Grenzen von Brasilien her, über Rio Negro und Orinoko, und nicht auf dem Wege von Cumana her zu ihm kamen". Er behandelte uns ungemein freundlich, verleugnete indessen keines- wegs die etwas lästige Neugier, welche das Erscheinen eines nicht spanischen Europäers in Südamerika immer rege macht. Die Mineralien, die wir gesammelt, mußten Gold enthalten; so sorgfältig getrocknete Pflanzen konnten nur Arzneigewächse sein. Hier, wie in so vielen Ländern in Europa, meint man, die Wissenschaft sei nur dann eine würdige Beschäftigung für den Geist, wenn dabei für die Welt ein materieller Nutzen herauskomme.
Wir fanden im Dorfe Cari über 500 Kariben und in den Missionen umher sahen wir ihrer noch viele. Es ist höchst merkwürdig, ein Volk vor sich zu haben, das, früher nomadisch, erst kürzlich an feste Wohnsitze gefesselt worden und sich durch Körper- und Geisteskraft von allen anderen Indianern unter- scheidet. Ich habe nirgends anderswo einen ganzen so hoch- gewachsenen (1,78 bis 1,88 m) und so kolossal gebauten Volks- stamm gesehen. Die Männer, und dies kommt in Amerika ziemlich häufig vor, sind mehr bekleidet als die Weiber. Diese tragen nur den Guayuco oder Gürtel in Form eines Ban- des, bei den Männern ist der ganze Unterteil des Körpers bis zu den Hüften in ein Stück dunkelblauen, fast schwarzen Tuches gehüllt. Diese Bekleidung ist so weit, daß die Kariben, wenn gegen Abend die Temperatur abnimmt, sich eine Schul- ter damit bedecken. Da ihr Körper mit Onoto bemalt ist, so gleichen ihre großen, malerisch drapierten Gestalten von weitem, wenn sie sich in der Steppe vom Himmel abheben, an-
servantes del Colegio de la purisima Concepcion de propa- ganda fide en la Nueva Barcelona.
heißt beim Pfarrer. Wir hatten außer den Päſſen des General- kapitäns der Provinz Empfehlungen der Biſchöfe und des Guardians der Miſſionen am Orinoko. Von den Küſten von Neukalifornien bis Valdivia und an die Mündung des Rio de la Plata, auf einer Strecke von 9000 km, laſſen ſich alle Schwierigkeiten einer langen Landreiſe überwinden, wenn man des Schutzes der amerikaniſchen Geiſtlichkeit genießt. Die Macht, welche dieſe Körperſchaft im Staate ausübt, iſt zu feſt begründet, als daß ſie in einer neuen Ordnung der Dinge ſo bald erſchüttert werden könnte. Unſerem Wirt war un- begreiflich, „wie Leute aus dem nördlichen Europa von den Grenzen von Braſilien her, über Rio Negro und Orinoko, und nicht auf dem Wege von Cumana her zu ihm kamen“. Er behandelte uns ungemein freundlich, verleugnete indeſſen keines- wegs die etwas läſtige Neugier, welche das Erſcheinen eines nicht ſpaniſchen Europäers in Südamerika immer rege macht. Die Mineralien, die wir geſammelt, mußten Gold enthalten; ſo ſorgfältig getrocknete Pflanzen konnten nur Arzneigewächſe ſein. Hier, wie in ſo vielen Ländern in Europa, meint man, die Wiſſenſchaft ſei nur dann eine würdige Beſchäftigung für den Geiſt, wenn dabei für die Welt ein materieller Nutzen herauskomme.
Wir fanden im Dorfe Cari über 500 Kariben und in den Miſſionen umher ſahen wir ihrer noch viele. Es iſt höchſt merkwürdig, ein Volk vor ſich zu haben, das, früher nomadiſch, erſt kürzlich an feſte Wohnſitze gefeſſelt worden und ſich durch Körper- und Geiſteskraft von allen anderen Indianern unter- ſcheidet. Ich habe nirgends anderswo einen ganzen ſo hoch- gewachſenen (1,78 bis 1,88 m) und ſo koloſſal gebauten Volks- ſtamm geſehen. Die Männer, und dies kommt in Amerika ziemlich häufig vor, ſind mehr bekleidet als die Weiber. Dieſe tragen nur den Guayuco oder Gürtel in Form eines Ban- des, bei den Männern iſt der ganze Unterteil des Körpers bis zu den Hüften in ein Stück dunkelblauen, faſt ſchwarzen Tuches gehüllt. Dieſe Bekleidung iſt ſo weit, daß die Kariben, wenn gegen Abend die Temperatur abnimmt, ſich eine Schul- ter damit bedecken. Da ihr Körper mit Onoto bemalt iſt, ſo gleichen ihre großen, maleriſch drapierten Geſtalten von weitem, wenn ſie ſich in der Steppe vom Himmel abheben, an-
servantes del Colegio de la purisima Concepcion de propa- ganda fide en la Nueva Barcelona.
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heißt beim Pfarrer. Wir hatten außer den Päſſen des General-
kapitäns der Provinz Empfehlungen der Biſchöfe und des
Guardians der Miſſionen am Orinoko. Von den Küſten von
Neukalifornien bis Valdivia und an die Mündung des Rio
de la Plata, auf einer Strecke von 9000 km, laſſen ſich alle
Schwierigkeiten einer langen Landreiſe überwinden, wenn man
des Schutzes der amerikaniſchen Geiſtlichkeit genießt. Die
Macht, welche dieſe Körperſchaft im Staate ausübt, iſt zu feſt
begründet, als daß ſie in einer neuen Ordnung der Dinge
ſo bald erſchüttert werden könnte. Unſerem Wirt war un-
begreiflich, „wie Leute aus dem nördlichen Europa von den
Grenzen von Braſilien her, über Rio Negro und Orinoko, und
nicht auf dem Wege von Cumana her zu ihm kamen“. Er
behandelte uns ungemein freundlich, verleugnete indeſſen keines-
wegs die etwas läſtige Neugier, welche das Erſcheinen eines nicht
ſpaniſchen Europäers in Südamerika immer rege macht. Die
Mineralien, die wir geſammelt, mußten Gold enthalten; ſo
ſorgfältig getrocknete Pflanzen konnten nur Arzneigewächſe
ſein. Hier, wie in ſo vielen Ländern in Europa, meint man,
die Wiſſenſchaft ſei nur dann eine würdige Beſchäftigung für
den Geiſt, wenn dabei für die Welt ein materieller Nutzen
herauskomme.
Wir fanden im Dorfe Cari über 500 Kariben und in
den Miſſionen umher ſahen wir ihrer noch viele. Es iſt höchſt
merkwürdig, ein Volk vor ſich zu haben, das, früher nomadiſch,
erſt kürzlich an feſte Wohnſitze gefeſſelt worden und ſich durch
Körper- und Geiſteskraft von allen anderen Indianern unter-
ſcheidet. Ich habe nirgends anderswo einen ganzen ſo hoch-
gewachſenen (1,78 bis 1,88 m) und ſo koloſſal gebauten Volks-
ſtamm geſehen. Die Männer, und dies kommt in Amerika
ziemlich häufig vor, ſind mehr bekleidet als die Weiber. Dieſe
tragen nur den Guayuco oder Gürtel in Form eines Ban-
des, bei den Männern iſt der ganze Unterteil des Körpers
bis zu den Hüften in ein Stück dunkelblauen, faſt ſchwarzen
Tuches gehüllt. Dieſe Bekleidung iſt ſo weit, daß die Kariben,
wenn gegen Abend die Temperatur abnimmt, ſich eine Schul-
ter damit bedecken. Da ihr Körper mit Onoto bemalt iſt,
ſo gleichen ihre großen, maleriſch drapierten Geſtalten von
weitem, wenn ſie ſich in der Steppe vom Himmel abheben, an-
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/239>, abgerufen am 26.06.2024.
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