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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Rio Arauca zeigten sich mehr Krokodile als bisher, besonders
dem großen See Capanaparo gegenüber, der mit dem Ori-
noko in Verbindung steht, wie die Lagune Cabularito zugleich
in letzteren Fluß und in den Rio Arauca ausmündet. Die
Indianer sagten uns, diese Krokodile kommen aus dem inneren
Lande, wo sie im trockenen Schlamm der Savannen begraben
gelegen. Sobald sie bei den ersten Regengüssen aus ihrer
Erstarrung erwachen, sammeln sie sich in Rudel und ziehen
dem Strome zu, auf dem sie sich wieder zerstreuen. Hier im
tropischen Erdstrich wachen sie auf, wenn es wieder feuchter
wird; dagegen in Georgien und in Florida, im gemäßigten
Erdstrich, reißt die wieder zunehmende Wärme die Tiere aus
der Erstarrung oder dem Zustande von Nerven- und Muskel-
schwäche, in dem der Atmungsprozeß unterbrochen oder doch
sehr stark beschränkt wird. Die Zeit der großen Trockenheit,
uneigentlich der Sommer der heißen Zone genannt, ent-
spricht dem Winter der gemäßigten Zone, und es ist physio-
logisch sehr merkwürdig, daß in Nordamerika die Alligatoren
zur selben Zeit der Kälte wegen im Winterschlaf liegen,
wo die Krokodile in den Llanos ihre Sommersiesta halten.
Erschiene es als wahrscheinlich, daß diese derselben Familie
angehörenden Tiere einmal in einem nördlicheren Lande zu-
sammen gelebt hätten, so könnte man glauben, sie fühlen,
auch näher an den Aequator versetzt, noch immer, nachdem
sie 7 bis 8 Monate ihre Muskeln gebraucht, das Bedürfnis
auszuruhen und bleiben auch unter einem neuen Himmels-
strich ihrem Lebensgang treu, der aufs innigste mit ihrem
Körperbau zusammenzuhängen scheint.

Nachdem wir an der Mündung der Kanäle, die zum See
Capanaparo führen, vorbeigefahren, betraten wir ein Stromstück,
wo das Bett durch die Berge des Baraguan eingeengt ist. Es
ist eine Art Engpaß, der bis zum Einfluß des Rio Suapure
reicht. Nach den Granitbergen hier hatten die Indianer früher
die Strecke des Orinoko zwischen dem Einflusse des Arauca und
dem des Atabapo den Fluß Baraguan genannt, wie denn bei
wilden Völkern große Ströme in verschiedenen Strecken ihres
Laufes verschiedene Namen haben. Der Paß von Baraguan
ist ein recht malerischer Ort. Die Granitfelsen fallen senk-
recht ab, und da die Bergkette, die sie bilden, von Nordwest
nach Südost streicht, und der Strom diesen Gebirgsdamm
fast unter einem rechten Winkel durchbricht, so stellen sich die
Höhen als freistehende Gipfel dar. Die meisten sind nicht

Rio Arauca zeigten ſich mehr Krokodile als bisher, beſonders
dem großen See Capanaparo gegenüber, der mit dem Ori-
noko in Verbindung ſteht, wie die Lagune Cabularito zugleich
in letzteren Fluß und in den Rio Arauca ausmündet. Die
Indianer ſagten uns, dieſe Krokodile kommen aus dem inneren
Lande, wo ſie im trockenen Schlamm der Savannen begraben
gelegen. Sobald ſie bei den erſten Regengüſſen aus ihrer
Erſtarrung erwachen, ſammeln ſie ſich in Rudel und ziehen
dem Strome zu, auf dem ſie ſich wieder zerſtreuen. Hier im
tropiſchen Erdſtrich wachen ſie auf, wenn es wieder feuchter
wird; dagegen in Georgien und in Florida, im gemäßigten
Erdſtrich, reißt die wieder zunehmende Wärme die Tiere aus
der Erſtarrung oder dem Zuſtande von Nerven- und Muskel-
ſchwäche, in dem der Atmungsprozeß unterbrochen oder doch
ſehr ſtark beſchränkt wird. Die Zeit der großen Trockenheit,
uneigentlich der Sommer der heißen Zone genannt, ent-
ſpricht dem Winter der gemäßigten Zone, und es iſt phyſio-
logiſch ſehr merkwürdig, daß in Nordamerika die Alligatoren
zur ſelben Zeit der Kälte wegen im Winterſchlaf liegen,
wo die Krokodile in den Llanos ihre Sommerſieſta halten.
Erſchiene es als wahrſcheinlich, daß dieſe derſelben Familie
angehörenden Tiere einmal in einem nördlicheren Lande zu-
ſammen gelebt hätten, ſo könnte man glauben, ſie fühlen,
auch näher an den Aequator verſetzt, noch immer, nachdem
ſie 7 bis 8 Monate ihre Muskeln gebraucht, das Bedürfnis
auszuruhen und bleiben auch unter einem neuen Himmels-
ſtrich ihrem Lebensgang treu, der aufs innigſte mit ihrem
Körperbau zuſammenzuhängen ſcheint.

Nachdem wir an der Mündung der Kanäle, die zum See
Capanaparo führen, vorbeigefahren, betraten wir ein Stromſtück,
wo das Bett durch die Berge des Baraguan eingeengt iſt. Es
iſt eine Art Engpaß, der bis zum Einfluß des Rio Suapure
reicht. Nach den Granitbergen hier hatten die Indianer früher
die Strecke des Orinoko zwiſchen dem Einfluſſe des Arauca und
dem des Atabapo den Fluß Baraguan genannt, wie denn bei
wilden Völkern große Ströme in verſchiedenen Strecken ihres
Laufes verſchiedene Namen haben. Der Paß von Baraguan
iſt ein recht maleriſcher Ort. Die Granitfelſen fallen ſenk-
recht ab, und da die Bergkette, die ſie bilden, von Nordweſt
nach Südoſt ſtreicht, und der Strom dieſen Gebirgsdamm
faſt unter einem rechten Winkel durchbricht, ſo ſtellen ſich die
Höhen als freiſtehende Gipfel dar. Die meiſten ſind nicht

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[61/0069] Rio Arauca zeigten ſich mehr Krokodile als bisher, beſonders dem großen See Capanaparo gegenüber, der mit dem Ori- noko in Verbindung ſteht, wie die Lagune Cabularito zugleich in letzteren Fluß und in den Rio Arauca ausmündet. Die Indianer ſagten uns, dieſe Krokodile kommen aus dem inneren Lande, wo ſie im trockenen Schlamm der Savannen begraben gelegen. Sobald ſie bei den erſten Regengüſſen aus ihrer Erſtarrung erwachen, ſammeln ſie ſich in Rudel und ziehen dem Strome zu, auf dem ſie ſich wieder zerſtreuen. Hier im tropiſchen Erdſtrich wachen ſie auf, wenn es wieder feuchter wird; dagegen in Georgien und in Florida, im gemäßigten Erdſtrich, reißt die wieder zunehmende Wärme die Tiere aus der Erſtarrung oder dem Zuſtande von Nerven- und Muskel- ſchwäche, in dem der Atmungsprozeß unterbrochen oder doch ſehr ſtark beſchränkt wird. Die Zeit der großen Trockenheit, uneigentlich der Sommer der heißen Zone genannt, ent- ſpricht dem Winter der gemäßigten Zone, und es iſt phyſio- logiſch ſehr merkwürdig, daß in Nordamerika die Alligatoren zur ſelben Zeit der Kälte wegen im Winterſchlaf liegen, wo die Krokodile in den Llanos ihre Sommerſieſta halten. Erſchiene es als wahrſcheinlich, daß dieſe derſelben Familie angehörenden Tiere einmal in einem nördlicheren Lande zu- ſammen gelebt hätten, ſo könnte man glauben, ſie fühlen, auch näher an den Aequator verſetzt, noch immer, nachdem ſie 7 bis 8 Monate ihre Muskeln gebraucht, das Bedürfnis auszuruhen und bleiben auch unter einem neuen Himmels- ſtrich ihrem Lebensgang treu, der aufs innigſte mit ihrem Körperbau zuſammenzuhängen ſcheint. Nachdem wir an der Mündung der Kanäle, die zum See Capanaparo führen, vorbeigefahren, betraten wir ein Stromſtück, wo das Bett durch die Berge des Baraguan eingeengt iſt. Es iſt eine Art Engpaß, der bis zum Einfluß des Rio Suapure reicht. Nach den Granitbergen hier hatten die Indianer früher die Strecke des Orinoko zwiſchen dem Einfluſſe des Arauca und dem des Atabapo den Fluß Baraguan genannt, wie denn bei wilden Völkern große Ströme in verſchiedenen Strecken ihres Laufes verſchiedene Namen haben. Der Paß von Baraguan iſt ein recht maleriſcher Ort. Die Granitfelſen fallen ſenk- recht ab, und da die Bergkette, die ſie bilden, von Nordweſt nach Südoſt ſtreicht, und der Strom dieſen Gebirgsdamm faſt unter einem rechten Winkel durchbricht, ſo ſtellen ſich die Höhen als freiſtehende Gipfel dar. Die meiſten ſind nicht

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/69>, abgerufen am 28.03.2024.