Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.Orinoko nicht so viel Sandkörner enthalten als der Strom Die Indianer versicherten uns, von der Mündung des Wir beginnen mit der Arrauschildkröte, welche die Orinoko nicht ſo viel Sandkörner enthalten als der Strom Die Indianer verſicherten uns, von der Mündung des Wir beginnen mit der Arrauſchildkröte, welche die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0058" n="50"/> Orinoko nicht ſo viel Sandkörner enthalten als der Strom<lb/> Schildkröten, und wie dieſe Tiere die Schiffe in ihrem Laufe<lb/> aufhielten, wenn Menſchen und Tiger nicht alljährlich ſo viele<lb/> töteten. <hi rendition="#aq">„Son cuentos de frailes,“</hi> ſagte der Krämer aus<lb/> Angoſtura leiſe, denn da arme Miſſionäre hierzulande die ein-<lb/> zigen Reiſenden ſind, ſo nennt man hier „Pfaffenmärchen“, was<lb/> man in Europa den Reiſenden überhaupt aufbürden würde.</p><lb/> <p>Die Indianer verſicherten uns, von der Mündung des<lb/> Orinoko bis zum Einfluß des Apure herauf finde man keine<lb/> einzige Inſel und kein einziges Geſtade, wo man Schild-<lb/> kröteneier in Maſſe ſammeln könnte. Die große Schildkröte,<lb/> der Arrau (ſprich Arra-u), meidet von Menſchen bewohnte<lb/> oder von Fahrzeugen beſuchte Orte. Es iſt ein furchtſames,<lb/> ſcheues Tier, das den Kopf über das Waſſer ſtreckt und ſich<lb/> beim leiſeſten Geräuſch verſteckt. Die Uferſtrecken, wo faſt<lb/> ſämtliche Schildkröten des Orinoko ſich jährlich zuſammenzu-<lb/> finden ſcheinen, liegen zwiſchen dem Zuſammenfluß des Orinoko<lb/> und des Apure und den großen Fällen oder <hi rendition="#g">Raudales</hi>, das<lb/> heißt zwiſchen Cabruta und der Miſſion Atures. Hier be-<lb/> finden ſich die drei berühmten Fangplätze Encaramada oder<lb/> Boca del Cabullare, Cucuruparu oder Boca de la Tortuaa,<lb/> und Pararuma, etwas unterhalb Carichana. Die Arrauſchild-<lb/> kröte geht, wie es ſcheint, nicht über die Fälle hinauf, und<lb/> wie man uns verſichert, kommen oberhalb Atures und May-<lb/> pures nur <hi rendition="#g">Terekay</hi>ſchildkröten vor. Es iſt hier der Ort,<lb/> einige Worte über dieſe beiden Arten und ihr Verhältnis zu<lb/> den verſchiedenen Familien der Schildkröten zu ſagen.</p><lb/> <p>Wir beginnen mit der Arrauſchildkröte, welche die<lb/> Spanier in den Kolonieen kurzweg Tortuga nennen, und<lb/> deren Geſchlecht für die Völker am unteren Orinoko von ſo<lb/> großer Bedeutung iſt. Es iſt eine große Süßwaſſerſchild-<lb/> kröte, mit Schwimmfüßen, ſehr plattem Kopf, zwei fleiſchigen,<lb/> ſehr ſpitzen Anhängen unter dem Kinn, mit fünf Zehen an<lb/> den Vorder- und vier an den Hinterfüßen, die unterhalb ge-<lb/> furcht ſind. Der Schild hat 5 Platten in der Mitte, 8 ſeit-<lb/> liche und 24 Randplatten; er iſt oben ſchwarzgrau, unten<lb/> orangegelb, die Füße ſind gleichfalls orangegelb und ſehr<lb/> lang. Zwiſchen den Augen iſt eine ſehr tiefe Furche. Die<lb/> Nägel ſind ſehr ſtark und gebogen. Die Afteröffnung be-<lb/> findet ſich am letzten Fünfteil des Schwanzes. Das er-<lb/> wachſene Tier wiegt 20 bis 25 <hi rendition="#aq">kg.</hi> Die Eier, weit größer<lb/> als Taubeneier, ſind nicht ſo länglich wie die Eier des Terekay.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [50/0058]
Orinoko nicht ſo viel Sandkörner enthalten als der Strom
Schildkröten, und wie dieſe Tiere die Schiffe in ihrem Laufe
aufhielten, wenn Menſchen und Tiger nicht alljährlich ſo viele
töteten. „Son cuentos de frailes,“ ſagte der Krämer aus
Angoſtura leiſe, denn da arme Miſſionäre hierzulande die ein-
zigen Reiſenden ſind, ſo nennt man hier „Pfaffenmärchen“, was
man in Europa den Reiſenden überhaupt aufbürden würde.
Die Indianer verſicherten uns, von der Mündung des
Orinoko bis zum Einfluß des Apure herauf finde man keine
einzige Inſel und kein einziges Geſtade, wo man Schild-
kröteneier in Maſſe ſammeln könnte. Die große Schildkröte,
der Arrau (ſprich Arra-u), meidet von Menſchen bewohnte
oder von Fahrzeugen beſuchte Orte. Es iſt ein furchtſames,
ſcheues Tier, das den Kopf über das Waſſer ſtreckt und ſich
beim leiſeſten Geräuſch verſteckt. Die Uferſtrecken, wo faſt
ſämtliche Schildkröten des Orinoko ſich jährlich zuſammenzu-
finden ſcheinen, liegen zwiſchen dem Zuſammenfluß des Orinoko
und des Apure und den großen Fällen oder Raudales, das
heißt zwiſchen Cabruta und der Miſſion Atures. Hier be-
finden ſich die drei berühmten Fangplätze Encaramada oder
Boca del Cabullare, Cucuruparu oder Boca de la Tortuaa,
und Pararuma, etwas unterhalb Carichana. Die Arrauſchild-
kröte geht, wie es ſcheint, nicht über die Fälle hinauf, und
wie man uns verſichert, kommen oberhalb Atures und May-
pures nur Terekayſchildkröten vor. Es iſt hier der Ort,
einige Worte über dieſe beiden Arten und ihr Verhältnis zu
den verſchiedenen Familien der Schildkröten zu ſagen.
Wir beginnen mit der Arrauſchildkröte, welche die
Spanier in den Kolonieen kurzweg Tortuga nennen, und
deren Geſchlecht für die Völker am unteren Orinoko von ſo
großer Bedeutung iſt. Es iſt eine große Süßwaſſerſchild-
kröte, mit Schwimmfüßen, ſehr plattem Kopf, zwei fleiſchigen,
ſehr ſpitzen Anhängen unter dem Kinn, mit fünf Zehen an
den Vorder- und vier an den Hinterfüßen, die unterhalb ge-
furcht ſind. Der Schild hat 5 Platten in der Mitte, 8 ſeit-
liche und 24 Randplatten; er iſt oben ſchwarzgrau, unten
orangegelb, die Füße ſind gleichfalls orangegelb und ſehr
lang. Zwiſchen den Augen iſt eine ſehr tiefe Furche. Die
Nägel ſind ſehr ſtark und gebogen. Die Afteröffnung be-
findet ſich am letzten Fünfteil des Schwanzes. Das er-
wachſene Tier wiegt 20 bis 25 kg. Die Eier, weit größer
als Taubeneier, ſind nicht ſo länglich wie die Eier des Terekay.
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