gültigkeit gegen ihre Kinder beschuldigt, wenn sie ihnen nicht durch künstliche Mittel die Waden nach der Landessitte formte. Da keiner unserer Indianer vom Apure karibisch sprach, konnten wir uns beim Kaziken von Panapana nicht nach den Lager- plätzen erkundigen, wo man in dieser Jahreszeit auf mehreren Inseln im Orinoko zum Sammeln der Schildkröteneier zu- sammenkommt.
Bei Encaramada trennt eine sehr lange Insel den Strom in zwei Arme. Wir übernachteten in einer Felsenbucht, gegen- über der Einmündung des Rio Cabullare, zu dem der Payara und der Atamaica sich vereinigen, und den manche als einen Zweig des Apure betrachten, weil er mit diesem durch den Rio Arichuna in Verbindung steht. Der Abend war schön; der Mond beschien die Spitzen der Granitfelsen. Trotz der Feuchtigkeit der Luft war die Wärme so gleichmäßig verteilt, daß man kein Sternflimmern bemerkte, selbst nicht 4 oder 5° über dem Horizont. Das Licht der Planeten war auf- fallend geschwächt, und ließe mich nicht die Kleinheit des schein- baren Durchmessers Jupiters einen Irrtum in der Beobach- tung fürchten, so sagte ich, wir alle glaubten hier zum ersten- mal mit bloßem Auge die Scheibe des Jupiters zu sehen. Gegen Mitternacht wurde der Nordostwind sehr heftig. Er führte keine Wolken herauf, aber der Himmel bezog sich mehr und mehr mit Dunst. Es traten starke Windstöße ein und machten uns für unsere Piroge besorgt. Wir hatten den ganzen Tag über nur sehr wenige Krokodile gesehen, aber lauter ungewöhnlich große, 6,5 bis 8 m lange. Die Indianer versicherten uns, die jungen Krokodile suchen lieber die Lachen und weniger breite und tiefe Flüsse auf; besonders in den Cannos sind sie in Menge zu finden, und man könnte von ihnen sagen, was Abd-Allatif von den Nilkrokodilen sagt, "sie wimmeln wie Würmer an den seichten Stromstellen und im Schutz der unbewohnten Inseln".
Am 6. April. Wir fuhren erst gegen Süd, dann gegen Südwest weiter den Orinoko hinauf und bekamen den Süd- abhang der Serrania oder der Bergkette Encaramada zu Gesicht. Der dem Fuß am nächsten gelegene Strich ist nicht mehr als 270 bis 310 m hoch, aber die steilen Abhänge, die Lage mitten in einer Savanne, ihre in unförmliche Prismen zerklüfteten Felsgipfel lassen die Serrania auffallend hoch erscheinen. Ihre größte Breite beträgt nur 13,5 km; nach den Mitteilungen von Pareca-Indianern wird sie gegen Ost
gültigkeit gegen ihre Kinder beſchuldigt, wenn ſie ihnen nicht durch künſtliche Mittel die Waden nach der Landesſitte formte. Da keiner unſerer Indianer vom Apure karibiſch ſprach, konnten wir uns beim Kaziken von Panapana nicht nach den Lager- plätzen erkundigen, wo man in dieſer Jahreszeit auf mehreren Inſeln im Orinoko zum Sammeln der Schildkröteneier zu- ſammenkommt.
Bei Encaramada trennt eine ſehr lange Inſel den Strom in zwei Arme. Wir übernachteten in einer Felſenbucht, gegen- über der Einmündung des Rio Cabullare, zu dem der Payara und der Atamaica ſich vereinigen, und den manche als einen Zweig des Apure betrachten, weil er mit dieſem durch den Rio Arichuna in Verbindung ſteht. Der Abend war ſchön; der Mond beſchien die Spitzen der Granitfelſen. Trotz der Feuchtigkeit der Luft war die Wärme ſo gleichmäßig verteilt, daß man kein Sternflimmern bemerkte, ſelbſt nicht 4 oder 5° über dem Horizont. Das Licht der Planeten war auf- fallend geſchwächt, und ließe mich nicht die Kleinheit des ſchein- baren Durchmeſſers Jupiters einen Irrtum in der Beobach- tung fürchten, ſo ſagte ich, wir alle glaubten hier zum erſten- mal mit bloßem Auge die Scheibe des Jupiters zu ſehen. Gegen Mitternacht wurde der Nordoſtwind ſehr heftig. Er führte keine Wolken herauf, aber der Himmel bezog ſich mehr und mehr mit Dunſt. Es traten ſtarke Windſtöße ein und machten uns für unſere Piroge beſorgt. Wir hatten den ganzen Tag über nur ſehr wenige Krokodile geſehen, aber lauter ungewöhnlich große, 6,5 bis 8 m lange. Die Indianer verſicherten uns, die jungen Krokodile ſuchen lieber die Lachen und weniger breite und tiefe Flüſſe auf; beſonders in den Caños ſind ſie in Menge zu finden, und man könnte von ihnen ſagen, was Abd-Allatif von den Nilkrokodilen ſagt, „ſie wimmeln wie Würmer an den ſeichten Stromſtellen und im Schutz der unbewohnten Inſeln“.
Am 6. April. Wir fuhren erſt gegen Süd, dann gegen Südweſt weiter den Orinoko hinauf und bekamen den Süd- abhang der Serrania oder der Bergkette Encaramada zu Geſicht. Der dem Fuß am nächſten gelegene Strich iſt nicht mehr als 270 bis 310 m hoch, aber die ſteilen Abhänge, die Lage mitten in einer Savanne, ihre in unförmliche Prismen zerklüfteten Felsgipfel laſſen die Serrania auffallend hoch erſcheinen. Ihre größte Breite beträgt nur 13,5 km; nach den Mitteilungen von Pareca-Indianern wird ſie gegen Oſt
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[44/0052]
gültigkeit gegen ihre Kinder beſchuldigt, wenn ſie ihnen nicht
durch künſtliche Mittel die Waden nach der Landesſitte formte.
Da keiner unſerer Indianer vom Apure karibiſch ſprach, konnten
wir uns beim Kaziken von Panapana nicht nach den Lager-
plätzen erkundigen, wo man in dieſer Jahreszeit auf mehreren
Inſeln im Orinoko zum Sammeln der Schildkröteneier zu-
ſammenkommt.
Bei Encaramada trennt eine ſehr lange Inſel den Strom
in zwei Arme. Wir übernachteten in einer Felſenbucht, gegen-
über der Einmündung des Rio Cabullare, zu dem der Payara
und der Atamaica ſich vereinigen, und den manche als einen
Zweig des Apure betrachten, weil er mit dieſem durch den
Rio Arichuna in Verbindung ſteht. Der Abend war ſchön;
der Mond beſchien die Spitzen der Granitfelſen. Trotz der
Feuchtigkeit der Luft war die Wärme ſo gleichmäßig verteilt,
daß man kein Sternflimmern bemerkte, ſelbſt nicht 4 oder 5°
über dem Horizont. Das Licht der Planeten war auf-
fallend geſchwächt, und ließe mich nicht die Kleinheit des ſchein-
baren Durchmeſſers Jupiters einen Irrtum in der Beobach-
tung fürchten, ſo ſagte ich, wir alle glaubten hier zum erſten-
mal mit bloßem Auge die Scheibe des Jupiters zu ſehen.
Gegen Mitternacht wurde der Nordoſtwind ſehr heftig. Er
führte keine Wolken herauf, aber der Himmel bezog ſich mehr
und mehr mit Dunſt. Es traten ſtarke Windſtöße ein und
machten uns für unſere Piroge beſorgt. Wir hatten den
ganzen Tag über nur ſehr wenige Krokodile geſehen, aber
lauter ungewöhnlich große, 6,5 bis 8 m lange. Die Indianer
verſicherten uns, die jungen Krokodile ſuchen lieber die Lachen
und weniger breite und tiefe Flüſſe auf; beſonders in den
Caños ſind ſie in Menge zu finden, und man könnte von
ihnen ſagen, was Abd-Allatif von den Nilkrokodilen ſagt,
„ſie wimmeln wie Würmer an den ſeichten Stromſtellen und
im Schutz der unbewohnten Inſeln“.
Am 6. April. Wir fuhren erſt gegen Süd, dann gegen
Südweſt weiter den Orinoko hinauf und bekamen den Süd-
abhang der Serrania oder der Bergkette Encaramada zu
Geſicht. Der dem Fuß am nächſten gelegene Strich iſt nicht
mehr als 270 bis 310 m hoch, aber die ſteilen Abhänge, die
Lage mitten in einer Savanne, ihre in unförmliche Prismen
zerklüfteten Felsgipfel laſſen die Serrania auffallend hoch
erſcheinen. Ihre größte Breite beträgt nur 13,5 km; nach
den Mitteilungen von Pareca-Indianern wird ſie gegen Oſt
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/52>, abgerufen am 16.07.2024.
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