Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.völker zum Leben des Ackerbaues erzieht. In der Neuen sehen Die Völker am oberen Orinoko, am Atabapo und Ini- völker zum Leben des Ackerbaues erzieht. In der Neuen ſehen Die Völker am oberen Orinoko, am Atabapo und Ini- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0243" n="235"/> völker zum Leben des Ackerbaues erzieht. In der Neuen ſehen<lb/> wir uns vergeblich nach dieſer allmählichen Kulturentwickelung<lb/> um, nach dieſen Ruhe- und Haltpunkten im Leben der Völker.<lb/> Der üppige Pflanzenwuchs iſt den Indianern bei ihren Jagden<lb/> hinderlich; da die Ströme Meeresarmen gleichen, ſo hört des<lb/> tiefen Waſſers wegen der Fiſchfang monatelang auf. Die<lb/> Arten von Wiederkäuern, die der koſtbarſte Beſitz der Völker<lb/> der Alten Welt ſind, fehlen in der Neuen; der Biſon und<lb/> der Moſchusochſe ſind niemals Haustiere geworden. Die<lb/> Vermehrung der Lama und Guanako führte nicht zu den<lb/> Sitten des Hirtenlebens. In der gemäßigten Zone, an den<lb/> Ufern des Miſſouri wie auf dem Hochland von Neumexiko,<lb/> iſt der Amerikaner ein Jäger; in der heißen Zone dagegen,<lb/> in den Wäldern von Guyana pflanzt er Maniok, Bananen,<lb/> zuweilen Mais. Die Natur iſt ſo überſchwenglich freigebig,<lb/> daß die Ackerflur des Eingeborenen ein Fleckchen Boden iſt,<lb/> daß das Urbarmachen darin beſteht, daß man die Sträucher<lb/> wegbrennt, das Ackern darin, daß man ein paar Samen oder<lb/> Steckreiſer dem Boden anvertraut. So weit man ſich in Ge-<lb/> danken in der Zeit zurückverſetzt, nie kann man in dieſen<lb/> dicken Wäldern die Völker anders denken als ſo, daß ihnen<lb/> der Boden vorzugsweiſe die Nahrung lieferte; da aber dieſer<lb/> Boden auf der kleinſten Fläche faſt ohne Arbeit ſo reichlich<lb/> trägt, ſo hat man ſich wiederum vorzuſtellen, daß dieſe Völker<lb/> immer einem und demſelben Gewäſſer entlang häufig ihre<lb/> Wohnplätze wechſelten. Und der Eingeborene am Orinoko<lb/> wandert ja mit ſeinem Saatkorn noch heute, und legt wan-<lb/> dernd ſeine Pflanzung (<hi rendition="#aq">conuco</hi>) an, wie der Araber ſein Zelt<lb/> aufſchlägt und die Weide wechſelt. Die Menge von Kultur-<lb/> gewächſen, die man mitten im Walde findet, weiſen deut-<lb/> lich auf ein ackerbauendes Volk mit nomadiſcher Lebensweiſe<lb/> hin. Kann man ſich wundern, daß bei ſolchen Sitten vom<lb/> Segen der feſten Niederlaſſung, des Getreidebaues, der weite<lb/> Flächen und viel mehr Arbeit erfordert, ſo gut wie nichts<lb/> übrig bleibt?</p><lb/> <p>Die Völker am oberen Orinoko, am Atabapo und Ini-<lb/> rida verehren, gleich den alten Germanen und Perſern, keine<lb/> anderen Gottheiten als die Naturkräfte. Das gute Prinzip<lb/> nennen ſie <hi rendition="#g">Cachimana</hi>; das iſt der Manitu, der große Geiſt,<lb/> der die Jahreszeiten regiert und die Früchte reifen läßt. Neben<lb/> dem Cachimana ſteht ein böſes Prinzip, der <hi rendition="#g">Jolokiamo</hi>, der<lb/> nicht ſo mächtig iſt, aber ſchlauer und beſonders rühriger.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [235/0243]
völker zum Leben des Ackerbaues erzieht. In der Neuen ſehen
wir uns vergeblich nach dieſer allmählichen Kulturentwickelung
um, nach dieſen Ruhe- und Haltpunkten im Leben der Völker.
Der üppige Pflanzenwuchs iſt den Indianern bei ihren Jagden
hinderlich; da die Ströme Meeresarmen gleichen, ſo hört des
tiefen Waſſers wegen der Fiſchfang monatelang auf. Die
Arten von Wiederkäuern, die der koſtbarſte Beſitz der Völker
der Alten Welt ſind, fehlen in der Neuen; der Biſon und
der Moſchusochſe ſind niemals Haustiere geworden. Die
Vermehrung der Lama und Guanako führte nicht zu den
Sitten des Hirtenlebens. In der gemäßigten Zone, an den
Ufern des Miſſouri wie auf dem Hochland von Neumexiko,
iſt der Amerikaner ein Jäger; in der heißen Zone dagegen,
in den Wäldern von Guyana pflanzt er Maniok, Bananen,
zuweilen Mais. Die Natur iſt ſo überſchwenglich freigebig,
daß die Ackerflur des Eingeborenen ein Fleckchen Boden iſt,
daß das Urbarmachen darin beſteht, daß man die Sträucher
wegbrennt, das Ackern darin, daß man ein paar Samen oder
Steckreiſer dem Boden anvertraut. So weit man ſich in Ge-
danken in der Zeit zurückverſetzt, nie kann man in dieſen
dicken Wäldern die Völker anders denken als ſo, daß ihnen
der Boden vorzugsweiſe die Nahrung lieferte; da aber dieſer
Boden auf der kleinſten Fläche faſt ohne Arbeit ſo reichlich
trägt, ſo hat man ſich wiederum vorzuſtellen, daß dieſe Völker
immer einem und demſelben Gewäſſer entlang häufig ihre
Wohnplätze wechſelten. Und der Eingeborene am Orinoko
wandert ja mit ſeinem Saatkorn noch heute, und legt wan-
dernd ſeine Pflanzung (conuco) an, wie der Araber ſein Zelt
aufſchlägt und die Weide wechſelt. Die Menge von Kultur-
gewächſen, die man mitten im Walde findet, weiſen deut-
lich auf ein ackerbauendes Volk mit nomadiſcher Lebensweiſe
hin. Kann man ſich wundern, daß bei ſolchen Sitten vom
Segen der feſten Niederlaſſung, des Getreidebaues, der weite
Flächen und viel mehr Arbeit erfordert, ſo gut wie nichts
übrig bleibt?
Die Völker am oberen Orinoko, am Atabapo und Ini-
rida verehren, gleich den alten Germanen und Perſern, keine
anderen Gottheiten als die Naturkräfte. Das gute Prinzip
nennen ſie Cachimana; das iſt der Manitu, der große Geiſt,
der die Jahreszeiten regiert und die Früchte reifen läßt. Neben
dem Cachimana ſteht ein böſes Prinzip, der Jolokiamo, der
nicht ſo mächtig iſt, aber ſchlauer und beſonders rühriger.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |