Weg auf dem Rio Apure nach dem Orinoko ein. Wir wählten dazu eine der sehr breiten Pirogen, welche die Spanier Lanchas nennen; zur Bemannung waren ein Steuermann (el patron) und vier Indianer hinreichend. Am Hinterteil wurde in wenigen Stunden eine mit Coryphablättern gedeckte Hütte hergerichtet. Sie war so geräumig, daß Tisch und Bänke Platz darin fanden. Letztere bestanden aus über Rahmen von Brasilholz straff gespannten und angenagelten Ochsen- häuten. Ich führe diese kleinen Umstände an, um zu zeigen, wie gut wir es auf dem Apure hatten, gegenüber dem Leben auf dem Orinoko in den schmalen elenden Kanoen. Wir nahmen in die Piroge Lebensmittel auf einen Monat ein. In San Fernando 1 gibt es Hühner, Eier, Bananen, Maniok- mehl und Kakao im Ueberfluß. Der gute Pater Kapuziner gab uns Xereswein, Orangen und Tamarinden zu kühlender Limonade. Es war vorauszusehen, daß ein Dach aus Palmen- blättern sich im breiten Flußbett, wo man fast immer den senkrechten Sonnenstrahlen ausgesetzt ist, sehr stark erhitzen mußte. Die Indianer rechneten weniger auf die Lebens- mittel, die wir angeschafft, als auf ihre Angeln und Netze. Wir nahmen auch einige Schießgewehre mit, die wir bis zu den Katarakten ziemlich verbreitet fanden, während weiter nach Süden die Missionäre wegen der übermäßigen Feuchtig- keit der Luft keine Feuerwaffen mehr führen können. Im Rio Apure gibt es sehr viele Fische, Seekühe und Schild- kröten, deren Eier allerdings nährend, aber keine sehr ange- nehme Speise sind. Die Ufer sind mit unzähligen Vögel- scharen bevölkert. Die ersprießlichsten für uns waren der Pauxi und die Guacharaca, die man den Truthahn und den Fasan des Landes nennen könnte. Ihr Fleisch kam mir härter und nicht so weiß vor als das unserer hühnerartigen Vögel in Europa, weil sie ihre Muskeln ungleich stärker brauchen. Neben dem Mundvorrat, dem Geräte zum Fischfang und den Waffen vergaß man nicht ein paar Fässer Branntwein zum Tauschhandel mit den Indianern am Orinoko einzunehmen.
Wir fuhren von San Fernando am 30. März, um 4 Uhr abends, bei sehr starker Hitze ab; der Thermometer stand im
1 Wir bezahlten von San Fernando de Apure bis Carichana am Orinoko (8 Tagereisen) 10 Piaster für die Lancha, und außer- dem dem Steuermann einen halben Piaster oder 4 Realen und jedem der indianischen Ruderer 2 Realen Taglohn.
Weg auf dem Rio Apure nach dem Orinoko ein. Wir wählten dazu eine der ſehr breiten Pirogen, welche die Spanier Lanchas nennen; zur Bemannung waren ein Steuermann (el patron) und vier Indianer hinreichend. Am Hinterteil wurde in wenigen Stunden eine mit Coryphablättern gedeckte Hütte hergerichtet. Sie war ſo geräumig, daß Tiſch und Bänke Platz darin fanden. Letztere beſtanden aus über Rahmen von Braſilholz ſtraff geſpannten und angenagelten Ochſen- häuten. Ich führe dieſe kleinen Umſtände an, um zu zeigen, wie gut wir es auf dem Apure hatten, gegenüber dem Leben auf dem Orinoko in den ſchmalen elenden Kanoen. Wir nahmen in die Piroge Lebensmittel auf einen Monat ein. In San Fernando 1 gibt es Hühner, Eier, Bananen, Maniok- mehl und Kakao im Ueberfluß. Der gute Pater Kapuziner gab uns Xereswein, Orangen und Tamarinden zu kühlender Limonade. Es war vorauszuſehen, daß ein Dach aus Palmen- blättern ſich im breiten Flußbett, wo man faſt immer den ſenkrechten Sonnenſtrahlen ausgeſetzt iſt, ſehr ſtark erhitzen mußte. Die Indianer rechneten weniger auf die Lebens- mittel, die wir angeſchafft, als auf ihre Angeln und Netze. Wir nahmen auch einige Schießgewehre mit, die wir bis zu den Katarakten ziemlich verbreitet fanden, während weiter nach Süden die Miſſionäre wegen der übermäßigen Feuchtig- keit der Luft keine Feuerwaffen mehr führen können. Im Rio Apure gibt es ſehr viele Fiſche, Seekühe und Schild- kröten, deren Eier allerdings nährend, aber keine ſehr ange- nehme Speiſe ſind. Die Ufer ſind mit unzähligen Vögel- ſcharen bevölkert. Die erſprießlichſten für uns waren der Pauxi und die Guacharaca, die man den Truthahn und den Faſan des Landes nennen könnte. Ihr Fleiſch kam mir härter und nicht ſo weiß vor als das unſerer hühnerartigen Vögel in Europa, weil ſie ihre Muskeln ungleich ſtärker brauchen. Neben dem Mundvorrat, dem Geräte zum Fiſchfang und den Waffen vergaß man nicht ein paar Fäſſer Branntwein zum Tauſchhandel mit den Indianern am Orinoko einzunehmen.
Wir fuhren von San Fernando am 30. März, um 4 Uhr abends, bei ſehr ſtarker Hitze ab; der Thermometer ſtand im
1 Wir bezahlten von San Fernando de Apure bis Carichana am Orinoko (8 Tagereiſen) 10 Piaſter für die Lancha, und außer- dem dem Steuermann einen halben Piaſter oder 4 Realen und jedem der indianiſchen Ruderer 2 Realen Taglohn.
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Weg auf dem Rio Apure nach dem Orinoko ein. Wir wählten
dazu eine der ſehr breiten Pirogen, welche die Spanier
Lanchas nennen; zur Bemannung waren ein Steuermann
(el patron) und vier Indianer hinreichend. Am Hinterteil
wurde in wenigen Stunden eine mit Coryphablättern gedeckte
Hütte hergerichtet. Sie war ſo geräumig, daß Tiſch und
Bänke Platz darin fanden. Letztere beſtanden aus über Rahmen
von Braſilholz ſtraff geſpannten und angenagelten Ochſen-
häuten. Ich führe dieſe kleinen Umſtände an, um zu zeigen,
wie gut wir es auf dem Apure hatten, gegenüber dem Leben
auf dem Orinoko in den ſchmalen elenden Kanoen. Wir
nahmen in die Piroge Lebensmittel auf einen Monat ein.
In San Fernando 1 gibt es Hühner, Eier, Bananen, Maniok-
mehl und Kakao im Ueberfluß. Der gute Pater Kapuziner
gab uns Xereswein, Orangen und Tamarinden zu kühlender
Limonade. Es war vorauszuſehen, daß ein Dach aus Palmen-
blättern ſich im breiten Flußbett, wo man faſt immer den
ſenkrechten Sonnenſtrahlen ausgeſetzt iſt, ſehr ſtark erhitzen
mußte. Die Indianer rechneten weniger auf die Lebens-
mittel, die wir angeſchafft, als auf ihre Angeln und Netze.
Wir nahmen auch einige Schießgewehre mit, die wir bis zu
den Katarakten ziemlich verbreitet fanden, während weiter
nach Süden die Miſſionäre wegen der übermäßigen Feuchtig-
keit der Luft keine Feuerwaffen mehr führen können. Im
Rio Apure gibt es ſehr viele Fiſche, Seekühe und Schild-
kröten, deren Eier allerdings nährend, aber keine ſehr ange-
nehme Speiſe ſind. Die Ufer ſind mit unzähligen Vögel-
ſcharen bevölkert. Die erſprießlichſten für uns waren der
Pauxi und die Guacharaca, die man den Truthahn und den
Faſan des Landes nennen könnte. Ihr Fleiſch kam mir härter
und nicht ſo weiß vor als das unſerer hühnerartigen Vögel
in Europa, weil ſie ihre Muskeln ungleich ſtärker brauchen.
Neben dem Mundvorrat, dem Geräte zum Fiſchfang und den
Waffen vergaß man nicht ein paar Fäſſer Branntwein zum
Tauſchhandel mit den Indianern am Orinoko einzunehmen.
Wir fuhren von San Fernando am 30. März, um 4 Uhr
abends, bei ſehr ſtarker Hitze ab; der Thermometer ſtand im
1 Wir bezahlten von San Fernando de Apure bis Carichana
am Orinoko (8 Tagereiſen) 10 Piaſter für die Lancha, und außer-
dem dem Steuermann einen halben Piaſter oder 4 Realen und
jedem der indianiſchen Ruderer 2 Realen Taglohn.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/24>, abgerufen am 16.07.2024.
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