Rhythmus schon beim ersten Morgenrot der Kultur, in den rohesten Anfängen von Gesang und Poesie zum Ausdruck kommt?
Die Eingeborenen in Maypures (und besonders die Weiber verfertigen das Geschirr) reinigen den Thon durch wiederholtes Schlemmen, kneten ihn zu Cylindern und ar- beiten mit den Händen die größten Gefäße aus. Der ameri- kanische Indianer weiß nichts von der Töpferscheibe, die sich bei den Völkern des Orientes aus dem frühesten Altertum herschreibt. Man kann sich nicht wundern, daß die Missionäre die Eingeborenen am Orinoko nicht mit diesem einfachen, nützlichen Werkzeug bekannt gemacht haben, wenn man be- denkt, daß es nach drei Jahrhunderten noch nicht zu den In- dianern auf der Halbinsel Araya, dem Hafen von Cumana gegenüber, gedrungen ist. Die Farben der Maypures sind Eisen- und Manganoxyde, besonders gelber und roter Ocker, der in Höhlungen des Sandsteins vorkommt. Zuweilen wendet man das Satzmehl der Bignonia Chica an, nachdem das Geschirr einem ganz schwachen Feuer ausgesetzt worden. Man überzieht die Malerei mit einem Firnis von Algarobo, dem durchsichtigen Harz der Hymenaea Courbaril. Die großen Gefäße zur Aufbewahrung der Chiza heißen Ciamacu, die kleineren Mucra, woraus die Spanier an der Küste Mur- cura gemacht haben. Uebrigens weiß man am Orinoko nicht allein von den Maypures, sondern auch von den Guaypu- nabis, Kariben, Otomaken und selbst von den Guamos, daß sie Geschirr mit Malereien verfertigen. Früher war dieses Gewerbe bis zum Amazonenstrom hin verbreitet. Schon Orellana fielen die gemalten Verzierungen auf dem Geschirr der Omaguas auf, die zu seiner Zeit ein zahlreiches handel- treibendes Volk waren.
Ehe ich von diesen Spuren eines keimenden Gewerbfleißes bei Völkern, die wir ohne Unterschied als Wilde bezeichnen, zu etwas anderem übergehe, mache ich noch eine Bemerkung, die über die Geschichte der amerikanischen Civilisation einiges Licht verbreiten kann. In den Vereinigten Staaten, ostwärts von den Alleghanies, besonders zwischen dem Ohio und den großen kanadischen Seen, findet man im Boden fast überall bemalte Topfscherben und daneben kupferne Werkzeuge. Dies erscheint auffallend in einem Lande, wo die Eingeborenen bei der Ankunft der Europäer mit dem Gebrauch der Metalle unbekannt waren. In den Wäldern von Südamerika, die
A. v. Humboldt, Reise. III. 12
Rhythmus ſchon beim erſten Morgenrot der Kultur, in den roheſten Anfängen von Geſang und Poeſie zum Ausdruck kommt?
Die Eingeborenen in Maypures (und beſonders die Weiber verfertigen das Geſchirr) reinigen den Thon durch wiederholtes Schlemmen, kneten ihn zu Cylindern und ar- beiten mit den Händen die größten Gefäße aus. Der ameri- kaniſche Indianer weiß nichts von der Töpferſcheibe, die ſich bei den Völkern des Orientes aus dem früheſten Altertum herſchreibt. Man kann ſich nicht wundern, daß die Miſſionäre die Eingeborenen am Orinoko nicht mit dieſem einfachen, nützlichen Werkzeug bekannt gemacht haben, wenn man be- denkt, daß es nach drei Jahrhunderten noch nicht zu den In- dianern auf der Halbinſel Araya, dem Hafen von Cumana gegenüber, gedrungen iſt. Die Farben der Maypures ſind Eiſen- und Manganoxyde, beſonders gelber und roter Ocker, der in Höhlungen des Sandſteins vorkommt. Zuweilen wendet man das Satzmehl der Bignonia Chica an, nachdem das Geſchirr einem ganz ſchwachen Feuer ausgeſetzt worden. Man überzieht die Malerei mit einem Firnis von Algarobo, dem durchſichtigen Harz der Hymenaea Courbaril. Die großen Gefäße zur Aufbewahrung der Chiza heißen Ciamacu, die kleineren Mucra, woraus die Spanier an der Küſte Mur- cura gemacht haben. Uebrigens weiß man am Orinoko nicht allein von den Maypures, ſondern auch von den Guaypu- nabis, Kariben, Otomaken und ſelbſt von den Guamos, daß ſie Geſchirr mit Malereien verfertigen. Früher war dieſes Gewerbe bis zum Amazonenſtrom hin verbreitet. Schon Orellana fielen die gemalten Verzierungen auf dem Geſchirr der Omaguas auf, die zu ſeiner Zeit ein zahlreiches handel- treibendes Volk waren.
Ehe ich von dieſen Spuren eines keimenden Gewerbfleißes bei Völkern, die wir ohne Unterſchied als Wilde bezeichnen, zu etwas anderem übergehe, mache ich noch eine Bemerkung, die über die Geſchichte der amerikaniſchen Civiliſation einiges Licht verbreiten kann. In den Vereinigten Staaten, oſtwärts von den Alleghanies, beſonders zwiſchen dem Ohio und den großen kanadiſchen Seen, findet man im Boden faſt überall bemalte Topfſcherben und daneben kupferne Werkzeuge. Dies erſcheint auffallend in einem Lande, wo die Eingeborenen bei der Ankunft der Europäer mit dem Gebrauch der Metalle unbekannt waren. In den Wäldern von Südamerika, die
A. v. Humboldt, Reiſe. III. 12
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Rhythmus ſchon beim erſten Morgenrot der Kultur, in den
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kommt?
Die Eingeborenen in Maypures (und beſonders die
Weiber verfertigen das Geſchirr) reinigen den Thon durch
wiederholtes Schlemmen, kneten ihn zu Cylindern und ar-
beiten mit den Händen die größten Gefäße aus. Der ameri-
kaniſche Indianer weiß nichts von der Töpferſcheibe, die ſich
bei den Völkern des Orientes aus dem früheſten Altertum
herſchreibt. Man kann ſich nicht wundern, daß die Miſſionäre
die Eingeborenen am Orinoko nicht mit dieſem einfachen,
nützlichen Werkzeug bekannt gemacht haben, wenn man be-
denkt, daß es nach drei Jahrhunderten noch nicht zu den In-
dianern auf der Halbinſel Araya, dem Hafen von Cumana
gegenüber, gedrungen iſt. Die Farben der Maypures ſind
Eiſen- und Manganoxyde, beſonders gelber und roter Ocker,
der in Höhlungen des Sandſteins vorkommt. Zuweilen wendet
man das Satzmehl der Bignonia Chica an, nachdem das
Geſchirr einem ganz ſchwachen Feuer ausgeſetzt worden. Man
überzieht die Malerei mit einem Firnis von Algarobo, dem
durchſichtigen Harz der Hymenaea Courbaril. Die großen
Gefäße zur Aufbewahrung der Chiza heißen Ciamacu, die
kleineren Mucra, woraus die Spanier an der Küſte Mur-
cura gemacht haben. Uebrigens weiß man am Orinoko nicht
allein von den Maypures, ſondern auch von den Guaypu-
nabis, Kariben, Otomaken und ſelbſt von den Guamos, daß
ſie Geſchirr mit Malereien verfertigen. Früher war dieſes
Gewerbe bis zum Amazonenſtrom hin verbreitet. Schon
Orellana fielen die gemalten Verzierungen auf dem Geſchirr
der Omaguas auf, die zu ſeiner Zeit ein zahlreiches handel-
treibendes Volk waren.
Ehe ich von dieſen Spuren eines keimenden Gewerbfleißes
bei Völkern, die wir ohne Unterſchied als Wilde bezeichnen,
zu etwas anderem übergehe, mache ich noch eine Bemerkung,
die über die Geſchichte der amerikaniſchen Civiliſation einiges
Licht verbreiten kann. In den Vereinigten Staaten, oſtwärts
von den Alleghanies, beſonders zwiſchen dem Ohio und den
großen kanadiſchen Seen, findet man im Boden faſt überall
bemalte Topfſcherben und daneben kupferne Werkzeuge. Dies
erſcheint auffallend in einem Lande, wo die Eingeborenen bei
der Ankunft der Europäer mit dem Gebrauch der Metalle
unbekannt waren. In den Wäldern von Südamerika, die
A. v. Humboldt, Reiſe. III. 12
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/185>, abgerufen am 19.07.2024.
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