ließe, wenn man zwischen zwei Nebenflüssen des Orinoko, in einem Thale, das früher das Strombett gewesen zu sein scheint, einen Kanal anlegte. Die hohen Berge Cunavami und Ca- litamini, zwischen den Quellen der Flüsse Cataniapo und Ventuari, laufen gegen West in eine Kette von Granithügeln aus. Von dieser Kette kommen drei Flüßchen herab, die den Katarakt von Maypures gleichsam umfassen, nämlich am öst- lichen Ufer der Sanariapo, am westlichen der Cameji und der Toparo. Dem Dorfe Maypures gegenüber ziehen sich die Berge in einen Bogen zurück und bilden, wie eine felsige Küste, eine nach Südwest offene Bucht. Zwischen dem Ein- flusse des Toparo und dem des Sanariapo, am westlichen Ende dieses großartigen Amphitheaters, ist der Durchbruch des Stromes erfolgt.
Gegenwärtig fließt der Orinoko am Fuße der östlichen Bergkette. Vom westlichen Landstriche hat er sich ganz weg- gezogen, und dort, in einem tiefen Grunde, erkennt man noch leicht das alte Ufer. Eine Grasflur, kaum 10 m über dem mittleren Wasserstande, breitet sich von diesem trockenen Grunde bis zu den Katarakten aus. Hier steht aus Palmstämmen die kleine Kirche von Maypures und umher sieben oder acht Hütten. Im trockenen Grunde, der in gerader Linie von Süd nach Nord läuft, vom Cameji zum Toparo, liegen eine Menge einzeln stehender Granithügel, ganz ähnlich denen, die als Inseln und Klippen im jetzigen Strombett stehen. Diese ganz ähnliche Gestaltung fiel mir auf, als ich die Felsen Keri und Oco im verlassenen Strombett westlich von Maypures mit den Inseln Uvitari und Camanitamini verglich, die östlich von der Mission gleich alten Burgen mitten aus den Katarakten ragen. Der geologische Charakter der Gegend, das inselhafte Ansehen auch der vom gegenwärtigen Stromufer entlegensten Hügel, die Löcher, welche das Wasser im Felsen Oco ausgespült zu haben scheint, und die genau im selben Niveau liegen (48 bis 58 m hoch) wie die Höhlungen an der Insel Uvitari gegenüber -- alle diese Umstände zusammen beweisen, daß diese ganze, jetzt trockene Bucht ehemals unter Wasser stand. Das Wasser bildete hier wahrscheinlich einen See, da es wegen des Dammes gegen Nord nicht abfließen konnte; als aber dieser Damm durch- brochen wurde, erschien die Grasflur um die Mission zuerst als eine ganz niedrige, von zwei Armen desselben Flusses umgebene Insel. Man kann annehmen, der Orinoko habe noch eine Zeitlang den Grund ausgefüllt, den wir nach dem
ließe, wenn man zwiſchen zwei Nebenflüſſen des Orinoko, in einem Thale, das früher das Strombett geweſen zu ſein ſcheint, einen Kanal anlegte. Die hohen Berge Cunavami und Ca- litamini, zwiſchen den Quellen der Flüſſe Cataniapo und Ventuari, laufen gegen Weſt in eine Kette von Granithügeln aus. Von dieſer Kette kommen drei Flüßchen herab, die den Katarakt von Maypures gleichſam umfaſſen, nämlich am öſt- lichen Ufer der Sanariapo, am weſtlichen der Cameji und der Toparo. Dem Dorfe Maypures gegenüber ziehen ſich die Berge in einen Bogen zurück und bilden, wie eine felſige Küſte, eine nach Südweſt offene Bucht. Zwiſchen dem Ein- fluſſe des Toparo und dem des Sanariapo, am weſtlichen Ende dieſes großartigen Amphitheaters, iſt der Durchbruch des Stromes erfolgt.
Gegenwärtig fließt der Orinoko am Fuße der öſtlichen Bergkette. Vom weſtlichen Landſtriche hat er ſich ganz weg- gezogen, und dort, in einem tiefen Grunde, erkennt man noch leicht das alte Ufer. Eine Grasflur, kaum 10 m über dem mittleren Waſſerſtande, breitet ſich von dieſem trockenen Grunde bis zu den Katarakten aus. Hier ſteht aus Palmſtämmen die kleine Kirche von Maypures und umher ſieben oder acht Hütten. Im trockenen Grunde, der in gerader Linie von Süd nach Nord läuft, vom Cameji zum Toparo, liegen eine Menge einzeln ſtehender Granithügel, ganz ähnlich denen, die als Inſeln und Klippen im jetzigen Strombett ſtehen. Dieſe ganz ähnliche Geſtaltung fiel mir auf, als ich die Felſen Keri und Oco im verlaſſenen Strombett weſtlich von Maypures mit den Inſeln Uvitari und Camanitamini verglich, die öſtlich von der Miſſion gleich alten Burgen mitten aus den Katarakten ragen. Der geologiſche Charakter der Gegend, das inſelhafte Anſehen auch der vom gegenwärtigen Stromufer entlegenſten Hügel, die Löcher, welche das Waſſer im Felſen Oco ausgeſpült zu haben ſcheint, und die genau im ſelben Niveau liegen (48 bis 58 m hoch) wie die Höhlungen an der Inſel Uvitari gegenüber — alle dieſe Umſtände zuſammen beweiſen, daß dieſe ganze, jetzt trockene Bucht ehemals unter Waſſer ſtand. Das Waſſer bildete hier wahrſcheinlich einen See, da es wegen des Dammes gegen Nord nicht abfließen konnte; als aber dieſer Damm durch- brochen wurde, erſchien die Grasflur um die Miſſion zuerſt als eine ganz niedrige, von zwei Armen desſelben Fluſſes umgebene Inſel. Man kann annehmen, der Orinoko habe noch eine Zeitlang den Grund ausgefüllt, den wir nach dem
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ließe, wenn man zwiſchen zwei Nebenflüſſen des Orinoko, in
einem Thale, das früher das Strombett geweſen zu ſein ſcheint,
einen Kanal anlegte. Die hohen Berge Cunavami und Ca-
litamini, zwiſchen den Quellen der Flüſſe Cataniapo und
Ventuari, laufen gegen Weſt in eine Kette von Granithügeln
aus. Von dieſer Kette kommen drei Flüßchen herab, die den
Katarakt von Maypures gleichſam umfaſſen, nämlich am öſt-
lichen Ufer der Sanariapo, am weſtlichen der Cameji und
der Toparo. Dem Dorfe Maypures gegenüber ziehen ſich
die Berge in einen Bogen zurück und bilden, wie eine felſige
Küſte, eine nach Südweſt offene Bucht. Zwiſchen dem Ein-
fluſſe des Toparo und dem des Sanariapo, am weſtlichen
Ende dieſes großartigen Amphitheaters, iſt der Durchbruch des
Stromes erfolgt.
Gegenwärtig fließt der Orinoko am Fuße der öſtlichen
Bergkette. Vom weſtlichen Landſtriche hat er ſich ganz weg-
gezogen, und dort, in einem tiefen Grunde, erkennt man noch
leicht das alte Ufer. Eine Grasflur, kaum 10 m über dem
mittleren Waſſerſtande, breitet ſich von dieſem trockenen Grunde
bis zu den Katarakten aus. Hier ſteht aus Palmſtämmen die
kleine Kirche von Maypures und umher ſieben oder acht Hütten.
Im trockenen Grunde, der in gerader Linie von Süd nach Nord
läuft, vom Cameji zum Toparo, liegen eine Menge einzeln
ſtehender Granithügel, ganz ähnlich denen, die als Inſeln und
Klippen im jetzigen Strombett ſtehen. Dieſe ganz ähnliche
Geſtaltung fiel mir auf, als ich die Felſen Keri und Oco im
verlaſſenen Strombett weſtlich von Maypures mit den Inſeln
Uvitari und Camanitamini verglich, die öſtlich von der Miſſion
gleich alten Burgen mitten aus den Katarakten ragen. Der
geologiſche Charakter der Gegend, das inſelhafte Anſehen auch
der vom gegenwärtigen Stromufer entlegenſten Hügel, die
Löcher, welche das Waſſer im Felſen Oco ausgeſpült zu haben
ſcheint, und die genau im ſelben Niveau liegen (48 bis 58 m
hoch) wie die Höhlungen an der Inſel Uvitari gegenüber —
alle dieſe Umſtände zuſammen beweiſen, daß dieſe ganze, jetzt
trockene Bucht ehemals unter Waſſer ſtand. Das Waſſer bildete
hier wahrſcheinlich einen See, da es wegen des Dammes gegen
Nord nicht abfließen konnte; als aber dieſer Damm durch-
brochen wurde, erſchien die Grasflur um die Miſſion zuerſt
als eine ganz niedrige, von zwei Armen desſelben Fluſſes
umgebene Inſel. Man kann annehmen, der Orinoko habe
noch eine Zeitlang den Grund ausgefüllt, den wir nach dem
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/176>, abgerufen am 18.07.2024.
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