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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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wo der Rüssel die Haut durchbohrt hat, Blut ausgetreten und
geronnen ist. Eine Stunde vor Sonnenuntergang werden die
Moskiten von einer kleinen Schnakenart abgelöst, Tempra-
neros 1 genannt, weil sie sich auch bei Sonnenaufgang zeigen;
sie bleiben kaum anderthalb Stunden und verschwinden zwi-
schen 6 und 7 Uhr abends oder, wie man hier sagt, nach
dem Angelus (a la oracion). Nach einigen Minuten Ruhe
fühlt man die Stiche der Zancudos, einer anderen
Schnakenart (Culex) mit sehr langen Füßen. Der Zancudo,
dessen Rüssel eine stechende Saugröhre enthält, verursacht die
heftigsten Schmerzen, und die Geschwulst, die dem Stiche folgt,
hält mehrere Wochen an; sein Sumsen gleicht dem unserer
europäischen Schnaken, nur ist es stärker und anhaltender.
Die Indianer wollen Zancudos und Tempraneros "am
Gesang" unterscheiden können; letztere sind wahre Dämme-
rungsinsekten
, während die Zancudos meist Nacht-
insekten
sind und mit Sonnenaufgang verschwinden.

Auf der Reise von Cartagena nach Santa Fe de Bogota
machten wir die Beobachtung, daß zwischen Mompox und
Honda im Thal des großen Magdalenenflusses die Zancudos
zwischen 8 Uhr abends und Mitternacht die Luft verfinstern,
gegen Mitternacht abnehmen, sich 3, 4 Stunden lang ver-
kriechen und endlich gegen 4 Uhr morgens in Menge und
voll Heißhunger wieder erscheinen. Welches ist die Ursache
dieses Wechsels von Bewegung und Ruhe? Werden die Tiere
vom langen Fliegen müde? Am Orinoko sieht man bei Tag
sehr selten wahre Schnaken, während man auf dem Magda-
lenenstrom Tag und Nacht von ihnen gestochen wird, nur
nicht von Mittag bis 2 Uhr. Ohne Zweifel sind die Zan-
cudos beider Flüsse verschiedene Arten; werden etwa die zu-
sammengesetzten Augen der einen Art vom Sonnenlicht mehr
angegriffen als die der anderen?

Wir haben gesehen, daß die tropischen Insekten in den
Zeitpunkten ihres Auftretens und Verschwindens überall einen
gewissen Typus befolgen. In derselben Jahreszeit und unter
derselben Breite erhält die Luft zu bestimmten, nie wechseln-
den Stunden immer wieder eine andere Bevölkerung; und in
einem Erdstrich, wo der Barometer zu einer Uhr wird, 2 wo

1 "Die früh auf sind", temprano.
2 Durch die ausnehmende Regelmäßigkeit im stündlichen Wechsel
des Luftdrucks.

wo der Rüſſel die Haut durchbohrt hat, Blut ausgetreten und
geronnen iſt. Eine Stunde vor Sonnenuntergang werden die
Moskiten von einer kleinen Schnakenart abgelöſt, Tempra-
neros 1 genannt, weil ſie ſich auch bei Sonnenaufgang zeigen;
ſie bleiben kaum anderthalb Stunden und verſchwinden zwi-
ſchen 6 und 7 Uhr abends oder, wie man hier ſagt, nach
dem Angelus (a la oracion). Nach einigen Minuten Ruhe
fühlt man die Stiche der Zancudos, einer anderen
Schnakenart (Culex) mit ſehr langen Füßen. Der Zancudo,
deſſen Rüſſel eine ſtechende Saugröhre enthält, verurſacht die
heftigſten Schmerzen, und die Geſchwulſt, die dem Stiche folgt,
hält mehrere Wochen an; ſein Sumſen gleicht dem unſerer
europäiſchen Schnaken, nur iſt es ſtärker und anhaltender.
Die Indianer wollen Zancudos und Tempraneros „am
Geſang“ unterſcheiden können; letztere ſind wahre Dämme-
rungsinſekten
, während die Zancudos meiſt Nacht-
inſekten
ſind und mit Sonnenaufgang verſchwinden.

Auf der Reiſe von Cartagena nach Santa Fé de Bogota
machten wir die Beobachtung, daß zwiſchen Mompox und
Honda im Thal des großen Magdalenenfluſſes die Zancudos
zwiſchen 8 Uhr abends und Mitternacht die Luft verfinſtern,
gegen Mitternacht abnehmen, ſich 3, 4 Stunden lang ver-
kriechen und endlich gegen 4 Uhr morgens in Menge und
voll Heißhunger wieder erſcheinen. Welches iſt die Urſache
dieſes Wechſels von Bewegung und Ruhe? Werden die Tiere
vom langen Fliegen müde? Am Orinoko ſieht man bei Tag
ſehr ſelten wahre Schnaken, während man auf dem Magda-
lenenſtrom Tag und Nacht von ihnen geſtochen wird, nur
nicht von Mittag bis 2 Uhr. Ohne Zweifel ſind die Zan-
cudos beider Flüſſe verſchiedene Arten; werden etwa die zu-
ſammengeſetzten Augen der einen Art vom Sonnenlicht mehr
angegriffen als die der anderen?

Wir haben geſehen, daß die tropiſchen Inſekten in den
Zeitpunkten ihres Auftretens und Verſchwindens überall einen
gewiſſen Typus befolgen. In derſelben Jahreszeit und unter
derſelben Breite erhält die Luft zu beſtimmten, nie wechſeln-
den Stunden immer wieder eine andere Bevölkerung; und in
einem Erdſtrich, wo der Barometer zu einer Uhr wird, 2 wo

1 „Die früh auf ſind“, temprano.
2 Durch die ausnehmende Regelmäßigkeit im ſtündlichen Wechſel
des Luftdrucks.
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[148/0156] wo der Rüſſel die Haut durchbohrt hat, Blut ausgetreten und geronnen iſt. Eine Stunde vor Sonnenuntergang werden die Moskiten von einer kleinen Schnakenart abgelöſt, Tempra- neros 1 genannt, weil ſie ſich auch bei Sonnenaufgang zeigen; ſie bleiben kaum anderthalb Stunden und verſchwinden zwi- ſchen 6 und 7 Uhr abends oder, wie man hier ſagt, nach dem Angelus (a la oracion). Nach einigen Minuten Ruhe fühlt man die Stiche der Zancudos, einer anderen Schnakenart (Culex) mit ſehr langen Füßen. Der Zancudo, deſſen Rüſſel eine ſtechende Saugröhre enthält, verurſacht die heftigſten Schmerzen, und die Geſchwulſt, die dem Stiche folgt, hält mehrere Wochen an; ſein Sumſen gleicht dem unſerer europäiſchen Schnaken, nur iſt es ſtärker und anhaltender. Die Indianer wollen Zancudos und Tempraneros „am Geſang“ unterſcheiden können; letztere ſind wahre Dämme- rungsinſekten, während die Zancudos meiſt Nacht- inſekten ſind und mit Sonnenaufgang verſchwinden. Auf der Reiſe von Cartagena nach Santa Fé de Bogota machten wir die Beobachtung, daß zwiſchen Mompox und Honda im Thal des großen Magdalenenfluſſes die Zancudos zwiſchen 8 Uhr abends und Mitternacht die Luft verfinſtern, gegen Mitternacht abnehmen, ſich 3, 4 Stunden lang ver- kriechen und endlich gegen 4 Uhr morgens in Menge und voll Heißhunger wieder erſcheinen. Welches iſt die Urſache dieſes Wechſels von Bewegung und Ruhe? Werden die Tiere vom langen Fliegen müde? Am Orinoko ſieht man bei Tag ſehr ſelten wahre Schnaken, während man auf dem Magda- lenenſtrom Tag und Nacht von ihnen geſtochen wird, nur nicht von Mittag bis 2 Uhr. Ohne Zweifel ſind die Zan- cudos beider Flüſſe verſchiedene Arten; werden etwa die zu- ſammengeſetzten Augen der einen Art vom Sonnenlicht mehr angegriffen als die der anderen? Wir haben geſehen, daß die tropiſchen Inſekten in den Zeitpunkten ihres Auftretens und Verſchwindens überall einen gewiſſen Typus befolgen. In derſelben Jahreszeit und unter derſelben Breite erhält die Luft zu beſtimmten, nie wechſeln- den Stunden immer wieder eine andere Bevölkerung; und in einem Erdſtrich, wo der Barometer zu einer Uhr wird, 2 wo 1 „Die früh auf ſind“, temprano. 2 Durch die ausnehmende Regelmäßigkeit im ſtündlichen Wechſel des Luftdrucks.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/156>, abgerufen am 25.11.2024.