seltener, der Simia chiropotes oder Simia Satanas ähnlicher Affe so seltsame Märchen veranlaßt haben mag.
Nach zweitägigem Aufenthalt am Katarakt von Atures waren wir sehr froh, unsere Piroge wieder laden und einen Ort verlassen zu können, wo der Thermometer bei Tage meist auf 29°, bei Nacht auf 26° stand. Nach der Hitze, die uns drückte, kam uns die Temperatur noch weit höher vor. Wenn die Angabe des Instrumentes und die Empfindung so wenig übereinstimmten, so rührte dies vom beständigen Hautreiz durch die Moskiten her. Eine von giftigen Insekten wim- melnde Luft kommt einem immer weit heißer vor, als sie wirklich ist. Das Saussuresche Hygrometer -- im Schatten beobachtet, wie immer -- zeigte bei Tage im Minimum (um 3 Uhr nachmittags) 78,2°, bei Nacht im Maximum 81,5°. Die Feuchtigkeit ist um 5° geringer als die mittlere Feuchtig- keit an der Küste von Cumana, aber um 10° stärker als die mittlere Feuchtigkeit in den Llanos oder baumlosen Ebenen. Die Wasserfälle und die dichten Wälder steigern die Menge des in der Luft enthaltenen Wasserdampfes. Den Tag über wurden wir von den Moskiten und den Jejen, kleinen gif- tigen Mücken aus der Gattung Simulium, furchtbar geplagt, bei Nacht von den Zancudos, einer großen Schnakenart, vor denen sich selbst die Eingeborenen fürchten. Unsere Hände fingen an stark zu schwellen und die Geschwulst nahm täglich zu, bis wir an die Ufer des Temi kamen. Die Mittel, durch die man die kleinen Tiere los zu werden sucht, sind sehr merk- würdig. Der gute Missionär Bernardo Zea, der sein Leben unter den Qualen der Moskiten zubringt, hatte sich neben der Kirche auf einem Gerüste von Palmstämmen ein kleines Zimmer gebaut, in dem man freier atmete. Abends stiegen wir mit einer Leiter in dasselbe hinauf, um unsere Pflanzen zu trocknen und unser Tagebuch zu schreiben. Der Missionär hatte die richtige Beobachtung gemacht, daß die Insekten in der tiefsten Luftschicht am Boden 5 bis 7 m hoch, am häufig- sten sind. In Maypures gehen die Indianer bei Nacht aus dem Dorfe und schlafen auf kleinen Inseln mitten in den Wasserfällen. Sie finden dort einige Ruhe, da die Moskiten eine mit Wasserdunst beladene Luft zu fliehen scheinen. Ueberall fanden wir ihrer mitten im Strom weniger als an den Seiten; man hat daher auch weniger zu leiden, wenn man den Ori- noko hinab, als wenn man aufwärts fährt.
Wer die großen Ströme des tropischen Amerikas, wie den
ſeltener, der Simia chiropotes oder Simia Satanas ähnlicher Affe ſo ſeltſame Märchen veranlaßt haben mag.
Nach zweitägigem Aufenthalt am Katarakt von Atures waren wir ſehr froh, unſere Piroge wieder laden und einen Ort verlaſſen zu können, wo der Thermometer bei Tage meiſt auf 29°, bei Nacht auf 26° ſtand. Nach der Hitze, die uns drückte, kam uns die Temperatur noch weit höher vor. Wenn die Angabe des Inſtrumentes und die Empfindung ſo wenig übereinſtimmten, ſo rührte dies vom beſtändigen Hautreiz durch die Moskiten her. Eine von giftigen Inſekten wim- melnde Luft kommt einem immer weit heißer vor, als ſie wirklich iſt. Das Sauſſureſche Hygrometer — im Schatten beobachtet, wie immer — zeigte bei Tage im Minimum (um 3 Uhr nachmittags) 78,2°, bei Nacht im Maximum 81,5°. Die Feuchtigkeit iſt um 5° geringer als die mittlere Feuchtig- keit an der Küſte von Cumana, aber um 10° ſtärker als die mittlere Feuchtigkeit in den Llanos oder baumloſen Ebenen. Die Waſſerfälle und die dichten Wälder ſteigern die Menge des in der Luft enthaltenen Waſſerdampfes. Den Tag über wurden wir von den Moskiten und den Jejen, kleinen gif- tigen Mücken aus der Gattung Simulium, furchtbar geplagt, bei Nacht von den Zancudos, einer großen Schnakenart, vor denen ſich ſelbſt die Eingeborenen fürchten. Unſere Hände fingen an ſtark zu ſchwellen und die Geſchwulſt nahm täglich zu, bis wir an die Ufer des Temi kamen. Die Mittel, durch die man die kleinen Tiere los zu werden ſucht, ſind ſehr merk- würdig. Der gute Miſſionär Bernardo Zea, der ſein Leben unter den Qualen der Moskiten zubringt, hatte ſich neben der Kirche auf einem Gerüſte von Palmſtämmen ein kleines Zimmer gebaut, in dem man freier atmete. Abends ſtiegen wir mit einer Leiter in dasſelbe hinauf, um unſere Pflanzen zu trocknen und unſer Tagebuch zu ſchreiben. Der Miſſionär hatte die richtige Beobachtung gemacht, daß die Inſekten in der tiefſten Luftſchicht am Boden 5 bis 7 m hoch, am häufig- ſten ſind. In Maypures gehen die Indianer bei Nacht aus dem Dorfe und ſchlafen auf kleinen Inſeln mitten in den Waſſerfällen. Sie finden dort einige Ruhe, da die Moskiten eine mit Waſſerdunſt beladene Luft zu fliehen ſcheinen. Ueberall fanden wir ihrer mitten im Strom weniger als an den Seiten; man hat daher auch weniger zu leiden, wenn man den Ori- noko hinab, als wenn man aufwärts fährt.
Wer die großen Ströme des tropiſchen Amerikas, wie den
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ſeltener, der Simia chiropotes oder Simia Satanas ähnlicher
Affe ſo ſeltſame Märchen veranlaßt haben mag.
Nach zweitägigem Aufenthalt am Katarakt von Atures
waren wir ſehr froh, unſere Piroge wieder laden und einen
Ort verlaſſen zu können, wo der Thermometer bei Tage meiſt
auf 29°, bei Nacht auf 26° ſtand. Nach der Hitze, die uns
drückte, kam uns die Temperatur noch weit höher vor. Wenn
die Angabe des Inſtrumentes und die Empfindung ſo wenig
übereinſtimmten, ſo rührte dies vom beſtändigen Hautreiz
durch die Moskiten her. Eine von giftigen Inſekten wim-
melnde Luft kommt einem immer weit heißer vor, als ſie
wirklich iſt. Das Sauſſureſche Hygrometer — im Schatten
beobachtet, wie immer — zeigte bei Tage im Minimum (um
3 Uhr nachmittags) 78,2°, bei Nacht im Maximum 81,5°.
Die Feuchtigkeit iſt um 5° geringer als die mittlere Feuchtig-
keit an der Küſte von Cumana, aber um 10° ſtärker als die
mittlere Feuchtigkeit in den Llanos oder baumloſen Ebenen.
Die Waſſerfälle und die dichten Wälder ſteigern die Menge
des in der Luft enthaltenen Waſſerdampfes. Den Tag über
wurden wir von den Moskiten und den Jejen, kleinen gif-
tigen Mücken aus der Gattung Simulium, furchtbar geplagt,
bei Nacht von den Zancudos, einer großen Schnakenart,
vor denen ſich ſelbſt die Eingeborenen fürchten. Unſere Hände
fingen an ſtark zu ſchwellen und die Geſchwulſt nahm täglich
zu, bis wir an die Ufer des Temi kamen. Die Mittel, durch
die man die kleinen Tiere los zu werden ſucht, ſind ſehr merk-
würdig. Der gute Miſſionär Bernardo Zea, der ſein Leben
unter den Qualen der Moskiten zubringt, hatte ſich neben
der Kirche auf einem Gerüſte von Palmſtämmen ein kleines
Zimmer gebaut, in dem man freier atmete. Abends ſtiegen
wir mit einer Leiter in dasſelbe hinauf, um unſere Pflanzen
zu trocknen und unſer Tagebuch zu ſchreiben. Der Miſſionär
hatte die richtige Beobachtung gemacht, daß die Inſekten in
der tiefſten Luftſchicht am Boden 5 bis 7 m hoch, am häufig-
ſten ſind. In Maypures gehen die Indianer bei Nacht aus
dem Dorfe und ſchlafen auf kleinen Inſeln mitten in den
Waſſerfällen. Sie finden dort einige Ruhe, da die Moskiten
eine mit Waſſerdunſt beladene Luft zu fliehen ſcheinen. Ueberall
fanden wir ihrer mitten im Strom weniger als an den Seiten;
man hat daher auch weniger zu leiden, wenn man den Ori-
noko hinab, als wenn man aufwärts fährt.
Wer die großen Ströme des tropiſchen Amerikas, wie den
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/151>, abgerufen am 16.07.2024.
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