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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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vom Rio Negro über den Cassiquiare zurückkamen, und als sie
erfuhren, daß wir beim ersten großen Katarakt, bei Apures,
angelangt seien, liefen alle davon in die Savannen westlich
vom Orinoko. Am selben Platze und unter demselben Namen
hatten schon die Jesuiten eine Mission gegründet. Kein Stamm
ist schwerer seßhaft zu machen als die Guahibos. Lieber leben
sie von faulen Fischen, Tausendfüßen und Würmern, als daß
sie ein kleines Stück Land bebauen. Die anderen Indianer
sagen daher sprichwörtlich: "Ein Guahibo ißt alles auf der
Erde und unter der Erde."

Kommt man auf dem Orinoko weiter nach Süden, so
nimmt die Hitze keineswegs zu, sondern wird im Gegenteil
erträglicher. Die Lufttemperatur war bei Tage 26 bis 27,5°,
bei Nacht 23,7°. Das Wasser des Stromes behielt seine ge-
wöhnliche Temperatur von 27,7°. Aber trotz der Abnahme
der Hitze nahm die Plage der Moskiten erschrecklich zu. Nie
hatten wir so arg gelitten als in San Borja. Man konnte
nicht sprechen oder das Gesicht entblößen, ohne Mund und
Nase voll Insekten zu bekommen. Wir wunderten uns, daß
wir den Thermometer nicht auf 35 oder 36° stehen sahen;
beim schrecklichen Hautreiz schien uns die Luft zu glühen.
Wir übernachteten am Ufer bei Guaripo. Aus Furcht vor
den kleinen Karibenfischen badeten wir nicht. Die Krokodile,
die wir den Tag über gesehen, waren alle außerordentlich groß,
7 bis 8 m lang.

Am 14. April. Die Plage der Zancudos veranlaßte uns,
schon um 5 Uhr morgens aufzubrechen. In der Luftschicht
über dem Flusse selbst sind weniger Insekten als am Wald-
saume. Zum Frühstück hielten wir an der Insel Guachaco,
wo eine Sandsteinformation oder ein Konglomerat unmittelbar
auf dem Granit lagert. Der Sandstein enthält Quarz-, sogar
Feldspattrümmer, und das Bindemittel ist verhärteter Thon.
Es befinden sich darin kleine Gänge von Brauneisenerz, das
in liniendicken Schichten abblättert. Wir hatten dergleichen
Blätter bereits zwischen Encaramada und dem Baraguan am
Ufer gefunden, und die Missionäre hatten dieselben bald für
Gold-, bald für Zinnerz gehalten. Wahrscheinlich ist diese
sekundäre Bildung früher ungleich weiter verbreitet gewesen.
Wir fuhren an der Mündung des Rio Parueni vorüber, über
welcher die Macosindianer wohnen, und übernachteten auf
der Insel Panumana. Nicht ohne Mühe kam ich dazu, zur
Bestimmung der Länge des Ortes, bei dem der Fluß eine

vom Rio Negro über den Caſſiquiare zurückkamen, und als ſie
erfuhren, daß wir beim erſten großen Katarakt, bei Apures,
angelangt ſeien, liefen alle davon in die Savannen weſtlich
vom Orinoko. Am ſelben Platze und unter demſelben Namen
hatten ſchon die Jeſuiten eine Miſſion gegründet. Kein Stamm
iſt ſchwerer ſeßhaft zu machen als die Guahibos. Lieber leben
ſie von faulen Fiſchen, Tauſendfüßen und Würmern, als daß
ſie ein kleines Stück Land bebauen. Die anderen Indianer
ſagen daher ſprichwörtlich: „Ein Guahibo ißt alles auf der
Erde und unter der Erde.“

Kommt man auf dem Orinoko weiter nach Süden, ſo
nimmt die Hitze keineswegs zu, ſondern wird im Gegenteil
erträglicher. Die Lufttemperatur war bei Tage 26 bis 27,5°,
bei Nacht 23,7°. Das Waſſer des Stromes behielt ſeine ge-
wöhnliche Temperatur von 27,7°. Aber trotz der Abnahme
der Hitze nahm die Plage der Moskiten erſchrecklich zu. Nie
hatten wir ſo arg gelitten als in San Borja. Man konnte
nicht ſprechen oder das Geſicht entblößen, ohne Mund und
Naſe voll Inſekten zu bekommen. Wir wunderten uns, daß
wir den Thermometer nicht auf 35 oder 36° ſtehen ſahen;
beim ſchrecklichen Hautreiz ſchien uns die Luft zu glühen.
Wir übernachteten am Ufer bei Guaripo. Aus Furcht vor
den kleinen Karibenfiſchen badeten wir nicht. Die Krokodile,
die wir den Tag über geſehen, waren alle außerordentlich groß,
7 bis 8 m lang.

Am 14. April. Die Plage der Zancudos veranlaßte uns,
ſchon um 5 Uhr morgens aufzubrechen. In der Luftſchicht
über dem Fluſſe ſelbſt ſind weniger Inſekten als am Wald-
ſaume. Zum Frühſtück hielten wir an der Inſel Guachaco,
wo eine Sandſteinformation oder ein Konglomerat unmittelbar
auf dem Granit lagert. Der Sandſtein enthält Quarz-, ſogar
Feldſpattrümmer, und das Bindemittel iſt verhärteter Thon.
Es befinden ſich darin kleine Gänge von Brauneiſenerz, das
in liniendicken Schichten abblättert. Wir hatten dergleichen
Blätter bereits zwiſchen Encaramada und dem Baraguan am
Ufer gefunden, und die Miſſionäre hatten dieſelben bald für
Gold-, bald für Zinnerz gehalten. Wahrſcheinlich iſt dieſe
ſekundäre Bildung früher ungleich weiter verbreitet geweſen.
Wir fuhren an der Mündung des Rio Parueni vorüber, über
welcher die Macosindianer wohnen, und übernachteten auf
der Inſel Panumana. Nicht ohne Mühe kam ich dazu, zur
Beſtimmung der Länge des Ortes, bei dem der Fluß eine

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[98/0106] vom Rio Negro über den Caſſiquiare zurückkamen, und als ſie erfuhren, daß wir beim erſten großen Katarakt, bei Apures, angelangt ſeien, liefen alle davon in die Savannen weſtlich vom Orinoko. Am ſelben Platze und unter demſelben Namen hatten ſchon die Jeſuiten eine Miſſion gegründet. Kein Stamm iſt ſchwerer ſeßhaft zu machen als die Guahibos. Lieber leben ſie von faulen Fiſchen, Tauſendfüßen und Würmern, als daß ſie ein kleines Stück Land bebauen. Die anderen Indianer ſagen daher ſprichwörtlich: „Ein Guahibo ißt alles auf der Erde und unter der Erde.“ Kommt man auf dem Orinoko weiter nach Süden, ſo nimmt die Hitze keineswegs zu, ſondern wird im Gegenteil erträglicher. Die Lufttemperatur war bei Tage 26 bis 27,5°, bei Nacht 23,7°. Das Waſſer des Stromes behielt ſeine ge- wöhnliche Temperatur von 27,7°. Aber trotz der Abnahme der Hitze nahm die Plage der Moskiten erſchrecklich zu. Nie hatten wir ſo arg gelitten als in San Borja. Man konnte nicht ſprechen oder das Geſicht entblößen, ohne Mund und Naſe voll Inſekten zu bekommen. Wir wunderten uns, daß wir den Thermometer nicht auf 35 oder 36° ſtehen ſahen; beim ſchrecklichen Hautreiz ſchien uns die Luft zu glühen. Wir übernachteten am Ufer bei Guaripo. Aus Furcht vor den kleinen Karibenfiſchen badeten wir nicht. Die Krokodile, die wir den Tag über geſehen, waren alle außerordentlich groß, 7 bis 8 m lang. Am 14. April. Die Plage der Zancudos veranlaßte uns, ſchon um 5 Uhr morgens aufzubrechen. In der Luftſchicht über dem Fluſſe ſelbſt ſind weniger Inſekten als am Wald- ſaume. Zum Frühſtück hielten wir an der Inſel Guachaco, wo eine Sandſteinformation oder ein Konglomerat unmittelbar auf dem Granit lagert. Der Sandſtein enthält Quarz-, ſogar Feldſpattrümmer, und das Bindemittel iſt verhärteter Thon. Es befinden ſich darin kleine Gänge von Brauneiſenerz, das in liniendicken Schichten abblättert. Wir hatten dergleichen Blätter bereits zwiſchen Encaramada und dem Baraguan am Ufer gefunden, und die Miſſionäre hatten dieſelben bald für Gold-, bald für Zinnerz gehalten. Wahrſcheinlich iſt dieſe ſekundäre Bildung früher ungleich weiter verbreitet geweſen. Wir fuhren an der Mündung des Rio Parueni vorüber, über welcher die Macosindianer wohnen, und übernachteten auf der Inſel Panumana. Nicht ohne Mühe kam ich dazu, zur Beſtimmung der Länge des Ortes, bei dem der Fluß eine

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/106>, abgerufen am 24.04.2024.