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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Pergament und ein ungeheures Kreuz am Ufer des Meta ist
alles, was von der Villa de San Carlos bestanden hat. Die
Guahibos, deren Kopfzahl, wie man behauptet, einige Tau-
sende beträgt, sind so frech geworden, daß sie, als wir nach
Carichana kamen, dem Missionär hatten ankündigen lassen,
sie werden auf Flößen kommen und ihm sein Dorf anzünden.
Diese Flöße (valzas), die wir zu sehen Gelegenheit hatten,
sind kaum 1 m breit und 4 m lang. Es fahren nur zwei bis
drei Indianer darauf, aber 15 bis 16 Flöße werden mit den
Stengeln von Paulinia, Dolichos und anderen Rankengewächsen
aneinander gebunden. Man begreift kaum, wie diese kleinen
Fahrzeuge in den Stromschnellen beisammen bleiben können.
Viele aus den Dörfern am Casanare und Apure entlaufene
Indianer haben sich den Guahibos angeschlossen und ihnen
Geschmack am Rindfleisch und den Gebrauch des Leders bei-
gebracht. Die Höfe San Vicente, Rubio und San Antonio
haben durch die Einfälle der Indianer einen großen Teil ihres
Hornviehs eingebüßt. Ihretwegen können auch die Reisenden,
die den Meta hinaufgehen, bis zum Einflusse des Casanare
die Nacht nicht am Ufer zubringen. Bei niedrigem Wasser
kommt es ziemlich häufig vor, daß Krämer aus Neugranada,
die zuweilen noch das Lager bei Pararuma besuchen, von den
Guahibos mit vergifteten Pfeilen erschossen werden.

Vom Einflusse des Meta an erschien der Orinoko freier
von Klippen und Felsmassen. Wir fuhren auf einer 970 m
breiten offenen Stromstrecke. Die Indianer ruderten fort,
ohne die Piroge zu schieben und zu ziehen und uns dabei
mit ihrem wilden Geschrei zu belästigen. Gegen West lagen
im Vorbeifahren die Cannos Uita und Endava, und es war
bereits Nacht, als wir vor dem Raudal de Tabaje hielten.
Die Indianer wollten es nicht mehr wagen, den Katarakt
hinaufzufahren, und wir schliefen daher am Lande, an einem
höchst unbequemen Orte, auf einer mehr als 18° geneigten
Felsplatte, in deren Spalten Scharen von Fledermäusen staken.
Die ganze Nacht über hörten wir den Jaguar ganz in der
Nähe brüllen, und unser großer Hund antwortete darauf mit
anhaltendem Geheul. Umsonst wartete ich, ob nicht die Sterne
zum Vorschein kämen; der Himmel war grauenhaft schwarz.
Das dumpfe Tosen der Fälle des Orinoko stach scharf ab vom
Donner, der weit weg, dem Walde zu, sich hören ließ.

Am 13. April. Wir fuhren am frühen Morgen die
Stromschnellen von Tabaje hinauf, bis wohin Pater Gumilla

Pergament und ein ungeheures Kreuz am Ufer des Meta iſt
alles, was von der Villa de San Carlos beſtanden hat. Die
Guahibos, deren Kopfzahl, wie man behauptet, einige Tau-
ſende beträgt, ſind ſo frech geworden, daß ſie, als wir nach
Carichana kamen, dem Miſſionär hatten ankündigen laſſen,
ſie werden auf Flößen kommen und ihm ſein Dorf anzünden.
Dieſe Flöße (valzas), die wir zu ſehen Gelegenheit hatten,
ſind kaum 1 m breit und 4 m lang. Es fahren nur zwei bis
drei Indianer darauf, aber 15 bis 16 Flöße werden mit den
Stengeln von Paulinia, Dolichos und anderen Rankengewächſen
aneinander gebunden. Man begreift kaum, wie dieſe kleinen
Fahrzeuge in den Stromſchnellen beiſammen bleiben können.
Viele aus den Dörfern am Caſanare und Apure entlaufene
Indianer haben ſich den Guahibos angeſchloſſen und ihnen
Geſchmack am Rindfleiſch und den Gebrauch des Leders bei-
gebracht. Die Höfe San Vicente, Rubio und San Antonio
haben durch die Einfälle der Indianer einen großen Teil ihres
Hornviehs eingebüßt. Ihretwegen können auch die Reiſenden,
die den Meta hinaufgehen, bis zum Einfluſſe des Caſanare
die Nacht nicht am Ufer zubringen. Bei niedrigem Waſſer
kommt es ziemlich häufig vor, daß Krämer aus Neugranada,
die zuweilen noch das Lager bei Pararuma beſuchen, von den
Guahibos mit vergifteten Pfeilen erſchoſſen werden.

Vom Einfluſſe des Meta an erſchien der Orinoko freier
von Klippen und Felsmaſſen. Wir fuhren auf einer 970 m
breiten offenen Stromſtrecke. Die Indianer ruderten fort,
ohne die Piroge zu ſchieben und zu ziehen und uns dabei
mit ihrem wilden Geſchrei zu beläſtigen. Gegen Weſt lagen
im Vorbeifahren die Caños Uita und Endava, und es war
bereits Nacht, als wir vor dem Raudal de Tabaje hielten.
Die Indianer wollten es nicht mehr wagen, den Katarakt
hinaufzufahren, und wir ſchliefen daher am Lande, an einem
höchſt unbequemen Orte, auf einer mehr als 18° geneigten
Felsplatte, in deren Spalten Scharen von Fledermäuſen ſtaken.
Die ganze Nacht über hörten wir den Jaguar ganz in der
Nähe brüllen, und unſer großer Hund antwortete darauf mit
anhaltendem Geheul. Umſonſt wartete ich, ob nicht die Sterne
zum Vorſchein kämen; der Himmel war grauenhaft ſchwarz.
Das dumpfe Toſen der Fälle des Orinoko ſtach ſcharf ab vom
Donner, der weit weg, dem Walde zu, ſich hören ließ.

Am 13. April. Wir fuhren am frühen Morgen die
Stromſchnellen von Tabaje hinauf, bis wohin Pater Gumilla

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[96/0104] Pergament und ein ungeheures Kreuz am Ufer des Meta iſt alles, was von der Villa de San Carlos beſtanden hat. Die Guahibos, deren Kopfzahl, wie man behauptet, einige Tau- ſende beträgt, ſind ſo frech geworden, daß ſie, als wir nach Carichana kamen, dem Miſſionär hatten ankündigen laſſen, ſie werden auf Flößen kommen und ihm ſein Dorf anzünden. Dieſe Flöße (valzas), die wir zu ſehen Gelegenheit hatten, ſind kaum 1 m breit und 4 m lang. Es fahren nur zwei bis drei Indianer darauf, aber 15 bis 16 Flöße werden mit den Stengeln von Paulinia, Dolichos und anderen Rankengewächſen aneinander gebunden. Man begreift kaum, wie dieſe kleinen Fahrzeuge in den Stromſchnellen beiſammen bleiben können. Viele aus den Dörfern am Caſanare und Apure entlaufene Indianer haben ſich den Guahibos angeſchloſſen und ihnen Geſchmack am Rindfleiſch und den Gebrauch des Leders bei- gebracht. Die Höfe San Vicente, Rubio und San Antonio haben durch die Einfälle der Indianer einen großen Teil ihres Hornviehs eingebüßt. Ihretwegen können auch die Reiſenden, die den Meta hinaufgehen, bis zum Einfluſſe des Caſanare die Nacht nicht am Ufer zubringen. Bei niedrigem Waſſer kommt es ziemlich häufig vor, daß Krämer aus Neugranada, die zuweilen noch das Lager bei Pararuma beſuchen, von den Guahibos mit vergifteten Pfeilen erſchoſſen werden. Vom Einfluſſe des Meta an erſchien der Orinoko freier von Klippen und Felsmaſſen. Wir fuhren auf einer 970 m breiten offenen Stromſtrecke. Die Indianer ruderten fort, ohne die Piroge zu ſchieben und zu ziehen und uns dabei mit ihrem wilden Geſchrei zu beläſtigen. Gegen Weſt lagen im Vorbeifahren die Caños Uita und Endava, und es war bereits Nacht, als wir vor dem Raudal de Tabaje hielten. Die Indianer wollten es nicht mehr wagen, den Katarakt hinaufzufahren, und wir ſchliefen daher am Lande, an einem höchſt unbequemen Orte, auf einer mehr als 18° geneigten Felsplatte, in deren Spalten Scharen von Fledermäuſen ſtaken. Die ganze Nacht über hörten wir den Jaguar ganz in der Nähe brüllen, und unſer großer Hund antwortete darauf mit anhaltendem Geheul. Umſonſt wartete ich, ob nicht die Sterne zum Vorſchein kämen; der Himmel war grauenhaft ſchwarz. Das dumpfe Toſen der Fälle des Orinoko ſtach ſcharf ab vom Donner, der weit weg, dem Walde zu, ſich hören ließ. Am 13. April. Wir fuhren am frühen Morgen die Stromſchnellen von Tabaje hinauf, bis wohin Pater Gumilla

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/104>, abgerufen am 25.04.2024.