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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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daß, unter den gegenwärtigen Verhältnissen der menschlichen
Organisation, die verschiedenen Menschenrassen, die schwarze,
gelbe, kupferfarbige und weiße, solange sie sich unvermischt
erhalten, durch den Einfluß des Klimas, der Nahrung und
anderer äußerer Umstände vom ursprünglichen Typus bedeutend
abweichen.

Ich werde Gelegenheit haben, auf diese allgemeinen Be-
trachtungen zurückzukommen, wenn wir die weiten Hochebenen
der Kordilleren besteigen, die vier- und fünfmal höher liegen
als das Thal von Caripe. Ich berufe mich hier vorläufig
nur auf das Zeugnis Ulloas. 1 Dieser Gelehrte sah die In-
dianer in Chile, auf den Anden von Peru, an den heißen
Küsten von Panama, und wiederum in Louisiana, im nörd-
lichen gemäßigten Erdstrich. Er hatte den Vorteil, daß er
in einer Zeit lebte, wo der Ansichten noch nicht so vielerlei
waren, und es fiel ihm auf, wie mir, daß der Eingeborene
unter der Linie im kalten Klima der Kordilleren so bronze-
farbig, so braun ist als auf den Ebenen. Bemerkt man Ab-
weichungen in der Farbe, so sind es feste Stammunterschiede.
Wir werden bald an den heißen Ufern des Orinoko Indianern
weißlicher Haut begegnen: Est durans originis vis.



1 "Die Indianer sind kupferrot, und diese Farbe wird durch
den Einfluß von Sonne und Lust dunkler. Ich muß darauf auf-
merksam machen, daß weder die Hitze noch ein kaltes Klima die
Farbe merkbar verändern, so daß man die Indianer auf den Kor-
dilleren von Peru und die auf den heißesten Ebenen leicht ver-
wechselt, und man diejenigen, die unter der Linie leben und die
unter dem 40. nördlichen und südlichen Breitengrade nicht unter-
scheiden kann." Noticias americanas, cap. 17. -- Kein alter
Schriftsteller hat die beiden Anschauungsweisen, nach denen man
sich noch gegenwärtig von der Verschiedenheit benachbarter Völker
nach Farbe und Gesichtszügen Rechenschaft gibt, klarer angedeutet,
als Tacitus im Leben des Agricola. Er unterscheidet zwischen der
erblichen Anlage und dem Einfluß des Klima, und thut keinen
Ausspruch, als ein Philosoph, der gewiß weiß, daß wir von den
ersten Ursachen der Dinge nichts wissen. "Habitus corporum varii
atque ex eo argumenta. Seu durante originis vi, seu procur-
rentibus in diversa terris, positio coeli corporibus habitum
dedit." Agricola, cap.
11.

daß, unter den gegenwärtigen Verhältniſſen der menſchlichen
Organiſation, die verſchiedenen Menſchenraſſen, die ſchwarze,
gelbe, kupferfarbige und weiße, ſolange ſie ſich unvermiſcht
erhalten, durch den Einfluß des Klimas, der Nahrung und
anderer äußerer Umſtände vom urſprünglichen Typus bedeutend
abweichen.

Ich werde Gelegenheit haben, auf dieſe allgemeinen Be-
trachtungen zurückzukommen, wenn wir die weiten Hochebenen
der Kordilleren beſteigen, die vier- und fünfmal höher liegen
als das Thal von Caripe. Ich berufe mich hier vorläufig
nur auf das Zeugnis Ulloas. 1 Dieſer Gelehrte ſah die In-
dianer in Chile, auf den Anden von Peru, an den heißen
Küſten von Panama, und wiederum in Louiſiana, im nörd-
lichen gemäßigten Erdſtrich. Er hatte den Vorteil, daß er
in einer Zeit lebte, wo der Anſichten noch nicht ſo vielerlei
waren, und es fiel ihm auf, wie mir, daß der Eingeborene
unter der Linie im kalten Klima der Kordilleren ſo bronze-
farbig, ſo braun iſt als auf den Ebenen. Bemerkt man Ab-
weichungen in der Farbe, ſo ſind es feſte Stammunterſchiede.
Wir werden bald an den heißen Ufern des Orinoko Indianern
weißlicher Haut begegnen: Est durans originis vis.



1 „Die Indianer ſind kupferrot, und dieſe Farbe wird durch
den Einfluß von Sonne und Luſt dunkler. Ich muß darauf auf-
merkſam machen, daß weder die Hitze noch ein kaltes Klima die
Farbe merkbar verändern, ſo daß man die Indianer auf den Kor-
dilleren von Peru und die auf den heißeſten Ebenen leicht ver-
wechſelt, und man diejenigen, die unter der Linie leben und die
unter dem 40. nördlichen und ſüdlichen Breitengrade nicht unter-
ſcheiden kann.“ Noticias americanas, cap. 17. — Kein alter
Schriftſteller hat die beiden Anſchauungsweiſen, nach denen man
ſich noch gegenwärtig von der Verſchiedenheit benachbarter Völker
nach Farbe und Geſichtszügen Rechenſchaft gibt, klarer angedeutet,
als Tacitus im Leben des Agricola. Er unterſcheidet zwiſchen der
erblichen Anlage und dem Einfluß des Klima, und thut keinen
Ausſpruch, als ein Philoſoph, der gewiß weiß, daß wir von den
erſten Urſachen der Dinge nichts wiſſen. „Habitus corporum varii
atque ex eo argumenta. Seu durante originis vi, seu procur-
rentibus in diversa terris, positio coeli corporibus habitum
dedit.“ Agricola, cap.
11.
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[42/0050] daß, unter den gegenwärtigen Verhältniſſen der menſchlichen Organiſation, die verſchiedenen Menſchenraſſen, die ſchwarze, gelbe, kupferfarbige und weiße, ſolange ſie ſich unvermiſcht erhalten, durch den Einfluß des Klimas, der Nahrung und anderer äußerer Umſtände vom urſprünglichen Typus bedeutend abweichen. Ich werde Gelegenheit haben, auf dieſe allgemeinen Be- trachtungen zurückzukommen, wenn wir die weiten Hochebenen der Kordilleren beſteigen, die vier- und fünfmal höher liegen als das Thal von Caripe. Ich berufe mich hier vorläufig nur auf das Zeugnis Ulloas. 1 Dieſer Gelehrte ſah die In- dianer in Chile, auf den Anden von Peru, an den heißen Küſten von Panama, und wiederum in Louiſiana, im nörd- lichen gemäßigten Erdſtrich. Er hatte den Vorteil, daß er in einer Zeit lebte, wo der Anſichten noch nicht ſo vielerlei waren, und es fiel ihm auf, wie mir, daß der Eingeborene unter der Linie im kalten Klima der Kordilleren ſo bronze- farbig, ſo braun iſt als auf den Ebenen. Bemerkt man Ab- weichungen in der Farbe, ſo ſind es feſte Stammunterſchiede. Wir werden bald an den heißen Ufern des Orinoko Indianern weißlicher Haut begegnen: Est durans originis vis. 1 „Die Indianer ſind kupferrot, und dieſe Farbe wird durch den Einfluß von Sonne und Luſt dunkler. Ich muß darauf auf- merkſam machen, daß weder die Hitze noch ein kaltes Klima die Farbe merkbar verändern, ſo daß man die Indianer auf den Kor- dilleren von Peru und die auf den heißeſten Ebenen leicht ver- wechſelt, und man diejenigen, die unter der Linie leben und die unter dem 40. nördlichen und ſüdlichen Breitengrade nicht unter- ſcheiden kann.“ Noticias americanas, cap. 17. — Kein alter Schriftſteller hat die beiden Anſchauungsweiſen, nach denen man ſich noch gegenwärtig von der Verſchiedenheit benachbarter Völker nach Farbe und Geſichtszügen Rechenſchaft gibt, klarer angedeutet, als Tacitus im Leben des Agricola. Er unterſcheidet zwiſchen der erblichen Anlage und dem Einfluß des Klima, und thut keinen Ausſpruch, als ein Philoſoph, der gewiß weiß, daß wir von den erſten Urſachen der Dinge nichts wiſſen. „Habitus corporum varii atque ex eo argumenta. Seu durante originis vi, seu procur- rentibus in diversa terris, positio coeli corporibus habitum dedit.“ Agricola, cap. 11.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/50>, abgerufen am 23.11.2024.