die Spanier in Amerika lieben die Schokolade mit närrischer Leidenschaft, man müsse aber an "das schwarze Gebräue" ge- wöhnt sein, wenn einem nicht schon beim Anblick des Schaumes, der wie die Hefe über einer gärenden Flüssigkeit stehe, übel werden solle. Er bemerkt weiter: "Der Kakao ist ein Aber- glaube der Mexikaner, wie der Coca ein Aberglaube der Peru- aner." Diese Urteile erinnern an die Prophezeiung der Frau von Sevigne hinsichtlich des Gebrauches des Kaffees. Hernan Cortez und sein Page, der gentilhombre del gran Con- quistador, dessen Denkwürdigkeiten Ramusio bekannt gemacht hat, rühmen dagegen die Schokolade nicht nur als ein ange- nehmes Getränk, selbst wenn sie kalt bereitet wird, 1 sondern besonders als nahrhaft. "Wer eine Tasse davon getrunken hat," sagt der Page des Hernan Cortez, "kann ohne weitere Nahrung eine ganze Tagereise machen, besonders in sehr heißen Ländern; denn die Schokolade ist ihrem Wesen nach kalt und erfrischend." Letztere Behauptung möchten wir nicht unter- schreiben; wir werden aber bei unserer Fahrt auf dem Orinoko und bei unseren Reisen hoch an den Kordilleren hinauf bald Gelegenheit finden, die vortrefflichen Eigenschaften der Schokolade zu rühmen. Sie ist gleich leicht mit sich zu führen und als Nahrungsmittel zu verwenden und enthält in kleinem Raume viel nährenden und reizenden Stoff. Man sagt mit Recht, in Afrika helfen Reis, Gummi und Sheabutter dem Menschen durch die Wüsten. In der Neuen Welt haben Schokolade und Maismehl ihm die Hochebenen der Anden und ungeheure un- bewohnte Wälder zugänglich gemacht.
Die Kakaoernte ist ungemein veränderlich. Der Baum treibt mit solcher Kraft, daß sogar aus den holzigen Wurzeln, wo die Erde sie nicht bedeckt, Blüten sprießen. Er leidet von den Nordostwinden, wenn sie auch die Temperatur nur um wenige Grade herabdrücken. Auch die Regen, welche nach der Regenzeit in den Wintermonaten vom Dezember bis März unregelmäßig eintreten, schaden dem Kakaobaume bedeutend. Es kommt nicht selten vor, daß der Eigentümer einer Pflanzung von 50000 Stämmen in einer Stunde für 4000 bis 5000 Piaster Kakao einbüßt. Große Feuchtigkeit ist dem Baume nur
1 Der Pater Gili hat aus zwei Stellen bei Torquemada (Mo- narquia Indiana) bündig dargethan, daß die Mexikaner den Auf- guß kalt machten, und daß erst die Spanier den Brauch einführten, die Kakaomasse im Wasser zu sieden.
die Spanier in Amerika lieben die Schokolade mit närriſcher Leidenſchaft, man müſſe aber an „das ſchwarze Gebräue“ ge- wöhnt ſein, wenn einem nicht ſchon beim Anblick des Schaumes, der wie die Hefe über einer gärenden Flüſſigkeit ſtehe, übel werden ſolle. Er bemerkt weiter: „Der Kakao iſt ein Aber- glaube der Mexikaner, wie der Coca ein Aberglaube der Peru- aner.“ Dieſe Urteile erinnern an die Prophezeiung der Frau von Sevigné hinſichtlich des Gebrauches des Kaffees. Hernan Cortez und ſein Page, der gentilhombre del gran Con- quistador, deſſen Denkwürdigkeiten Ramuſio bekannt gemacht hat, rühmen dagegen die Schokolade nicht nur als ein ange- nehmes Getränk, ſelbſt wenn ſie kalt bereitet wird, 1 ſondern beſonders als nahrhaft. „Wer eine Taſſe davon getrunken hat,“ ſagt der Page des Hernan Cortez, „kann ohne weitere Nahrung eine ganze Tagereiſe machen, beſonders in ſehr heißen Ländern; denn die Schokolade iſt ihrem Weſen nach kalt und erfriſchend.“ Letztere Behauptung möchten wir nicht unter- ſchreiben; wir werden aber bei unſerer Fahrt auf dem Orinoko und bei unſeren Reiſen hoch an den Kordilleren hinauf bald Gelegenheit finden, die vortrefflichen Eigenſchaften der Schokolade zu rühmen. Sie iſt gleich leicht mit ſich zu führen und als Nahrungsmittel zu verwenden und enthält in kleinem Raume viel nährenden und reizenden Stoff. Man ſagt mit Recht, in Afrika helfen Reis, Gummi und Sheabutter dem Menſchen durch die Wüſten. In der Neuen Welt haben Schokolade und Maismehl ihm die Hochebenen der Anden und ungeheure un- bewohnte Wälder zugänglich gemacht.
Die Kakaoernte iſt ungemein veränderlich. Der Baum treibt mit ſolcher Kraft, daß ſogar aus den holzigen Wurzeln, wo die Erde ſie nicht bedeckt, Blüten ſprießen. Er leidet von den Nordoſtwinden, wenn ſie auch die Temperatur nur um wenige Grade herabdrücken. Auch die Regen, welche nach der Regenzeit in den Wintermonaten vom Dezember bis März unregelmäßig eintreten, ſchaden dem Kakaobaume bedeutend. Es kommt nicht ſelten vor, daß der Eigentümer einer Pflanzung von 50000 Stämmen in einer Stunde für 4000 bis 5000 Piaſter Kakao einbüßt. Große Feuchtigkeit iſt dem Baume nur
1 Der Pater Gili hat aus zwei Stellen bei Torquemada (Mo- narquia Indiana) bündig dargethan, daß die Mexikaner den Auf- guß kalt machten, und daß erſt die Spanier den Brauch einführten, die Kakaomaſſe im Waſſer zu ſieden.
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die Spanier in Amerika lieben die Schokolade mit närriſcher
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wöhnt ſein, wenn einem nicht ſchon beim Anblick des Schaumes,
der wie die Hefe über einer gärenden Flüſſigkeit ſtehe, übel
werden ſolle. Er bemerkt weiter: „Der Kakao iſt ein Aber-
glaube der Mexikaner, wie der Coca ein Aberglaube der Peru-
aner.“ Dieſe Urteile erinnern an die Prophezeiung der Frau
von Sevigné hinſichtlich des Gebrauches des Kaffees. Hernan
Cortez und ſein Page, der gentilhombre del gran Con-
quistador, deſſen Denkwürdigkeiten Ramuſio bekannt gemacht
hat, rühmen dagegen die Schokolade nicht nur als ein ange-
nehmes Getränk, ſelbſt wenn ſie kalt bereitet wird, 1 ſondern
beſonders als nahrhaft. „Wer eine Taſſe davon getrunken
hat,“ ſagt der Page des Hernan Cortez, „kann ohne weitere
Nahrung eine ganze Tagereiſe machen, beſonders in ſehr heißen
Ländern; denn die Schokolade iſt ihrem Weſen nach kalt und
erfriſchend.“ Letztere Behauptung möchten wir nicht unter-
ſchreiben; wir werden aber bei unſerer Fahrt auf dem Orinoko
und bei unſeren Reiſen hoch an den Kordilleren hinauf bald
Gelegenheit finden, die vortrefflichen Eigenſchaften der Schokolade
zu rühmen. Sie iſt gleich leicht mit ſich zu führen und als
Nahrungsmittel zu verwenden und enthält in kleinem Raume
viel nährenden und reizenden Stoff. Man ſagt mit Recht, in
Afrika helfen Reis, Gummi und Sheabutter dem Menſchen
durch die Wüſten. In der Neuen Welt haben Schokolade und
Maismehl ihm die Hochebenen der Anden und ungeheure un-
bewohnte Wälder zugänglich gemacht.
Die Kakaoernte iſt ungemein veränderlich. Der Baum
treibt mit ſolcher Kraft, daß ſogar aus den holzigen Wurzeln,
wo die Erde ſie nicht bedeckt, Blüten ſprießen. Er leidet von
den Nordoſtwinden, wenn ſie auch die Temperatur nur um
wenige Grade herabdrücken. Auch die Regen, welche nach der
Regenzeit in den Wintermonaten vom Dezember bis März
unregelmäßig eintreten, ſchaden dem Kakaobaume bedeutend.
Es kommt nicht ſelten vor, daß der Eigentümer einer Pflanzung
von 50000 Stämmen in einer Stunde für 4000 bis 5000
Piaſter Kakao einbüßt. Große Feuchtigkeit iſt dem Baume nur
1 Der Pater Gili hat aus zwei Stellen bei Torquemada (Mo-
narquia Indiana) bündig dargethan, daß die Mexikaner den Auf-
guß kalt machten, und daß erſt die Spanier den Brauch einführten,
die Kakaomaſſe im Waſſer zu ſieden.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/259>, abgerufen am 16.07.2024.
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